Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Judika, 21. März 2021, über Hiob 19,19-27
„Ich weiß, dass mein (Er)Löser lebt.”
Hiob sitzt in der Asche und schabt mit einer Scherbe die Geschwüre auf seiner Haut. Er hat alles verloren. Alle haben sie ihn verlassen.
Hiob hat das Netzwerk verloren, das ihn getragen, ihm Reichtum und Einfluss verschafft hatte. Das Netz der Familie und Freunde, die zu ihm hielten. Das Netz der Angestellten, die für ihn arbeiteten und den Laden am Laufen hielten. Das Netz der Klienten, die von ihm abhängig waren oder ihm einen Gefallen schuldeten. Hiob beklagt, dass seine Knochen nur noch an Haut und Fleisch hängen würden. Er hat die Sehnen und Bänder verloren, die alles zusammenhalten, miteinander verbinden und die Kraft übertragen - ein Bild dafür, wie lebenswichtig sein Netzwerk für ihn war.
Sogar von Gott fühlt Hiob sich verlassen. Und nicht nur verlassen, sondern sogar verfolgt. Er hat das Gefühl, Gott habe sich gegen ihn gestellt. Sogar zu Gott ist die Verbindung abgerissen.
Wer Liebeskummer erleidet, wer einen geliebten Menschen verlor oder schwer erkrankt ist, wird vielleicht ähnlich wie Hiob empfinden: Das Gefühl, von den Mitmenschen wie abgeschnitten und aus den Netzwerken gefallen zu sein, in denen man sich früher bewegte und die einem Sicherheit und Halt gaben.
Wer Schweres erleidet, erfährt zwar Mitleid und Betroffenheit. Aber die Mitmenschen stehen wie auf einem anderen Ufer, denn sie selbst erleiden nicht, was man gerade aushalten muss: Sie sind nicht krank, sie müssen nicht den Verlust des geliebten Menschen empfinden, das Ende einer Partnerschaft. Mit diesem Gefühl der Verzweiflung muss man allein zurechtkommen, findet keine Möglichkeit, es den anderen zu erklären. Manchmal gibt es nicht einmal mehr einen Draht zu Gott.
Hiob ist von allen verlassen, und trotzdem ist er nicht allein. Einer ist da, der für ihn einstehen wird: sein Löser.
In Israel war der Löser ein Verwandter oder Angehöriger; dazu verpflichtet, die Familie eines Verstorbenen zu erhalten, indem er den Besitz des Verstorbenen übernahm und dessen Witwe heiratete, wie es das Buch Rut erzählt. Der Löser sorgte noch nach dem Tod dafür, dass dem Verstorbenen und vor allem seiner Familie Recht widerfuhr.
Auf dieses Recht vertraut Hiob. Ein Recht, das sogar ihm zusteht, der aus allen menschlichen Bezügen, aus allen Netzwerken gefallen ist. Sogar Hiob bleibt nicht völlig allein. Mag selbst Gott sich von ihm abgewendet haben, sein Löser wird für ihn und sein Recht einstehen.
Aus dem Löser, auf den Hiob hoffte, wurde der Er-löser, der für uns einsteht: Jesus Christus. Christus, der selbst die Einsamkeit des Leides, das Verlassenwerden von seinen Freunden und sogar die Gottverlassenheit erlitten hat. Christus ist unser Löser, der uns auch im größten Unglück, in tiefster Einsamkeit beisteht. Durch die Taufe sind wir so eng mit ihm verbunden, dass wir geradezu ein Recht auf seinen Beistand erworben haben. Wir können uns darauf verlassen, selbst wenn wir das Gefühl haben, von Gott verlassen zu sein.
Unser Erlöser lebt. Er verknüpft uns mit Gott, wenn unsere Verbindung zu Gott abgerissen ist. Er verknüpft uns mit seinem Netzwerk, der Gemeinde, wenn das Netz der Menschen, auf die wir zählen konnten, zerrissen ist. So gibt er uns eine Zukunft, die sogar über die Grenze des Todes hinaus reicht.