Samstag, 29. Mai 2021

neue Geburt

Predigt am Sonntag Trinitatis, 30.6.2021, über Johannes 3,1-13

„Wer die Notwendigkeit der Wiedergeburt nicht einsieht,
der versteht auch nicht, dass sie durch Jesus möglich geworden ist.” 

(Rudolf Bultmann, Das Johannesevangelium, KEK, 106f)


Eine Nachtgeschichte wird erzählt – keine Gutenachtgeschichte –, und wir hören sie am hellichten Tag. Sie ist eine Nachtgeschichte, weil sie dunkel ist, rätselhaft und geheimnisvoll. Vom Wind ist die Rede, der bläst, wohin er will. Und vom Missverständnis über das neu geboren Werden, als könne man in den Bauch der Mutter zurück krabbeln. Neu geboren werden – was soll das bedeuten? „Ich fühle mich wie neu geboren”, das mag jemand sagen, der sich mal richtig ausschlafen konnte, oder die nach einem anstrengenden Tag aus der Dusche kommt. Man hört auch von Menschen, die ein neues Leben beginnen wollen. Vielleicht haben wir selbst mit dem Gedanken gespielt, noch einmal neu anzufangen mit dem Leben, mit der Liebe oder mit dem Glauben. Vielleicht haben wir es sogar getan. Beides ist hier nicht gemeint, weder dieses belebende Gefühl, noch der Neustart im Leben. Es geht beim neu geboren Werden nicht darum, sein Leben zu ändern. Es geht viel grundsätzlicher um die Frage, wie man zu Gott kommt, wie man Gottes Reich zu sehen bekommt.

Gottes Reich, Gottes Friede, der alle Vernunft weit übersteigt: Wer damit in Berührung, wer in seine Nähe kommt, erlebt sein blaues Wunder, meint Nikodemus. Aber Gottes Reich macht sich nicht durch Zeichen und Wunder bemerkbar. Jedenfalls nicht durch solche Zeichen und Wunder, die eine*n zum Staunen bringen, sodass man unter dem Eindruck dessen, was man da gerade erlebt hat, dem Wundertäter glaubt. Auf diese Weise sind unzählige Menschen verführt worden, die auf der Suche nach dem Wunder, im Glauben an ein Zeichen vom Himmel, selbst ernannten Messiassen, Führern und Predigern hinterhergelaufen sind. Jesus blockiert diesen Weg: Zu Gott, in Gottes Reich gelangt man nicht durch den Glauben an Wunder, sondern nur durch eine neue Geburt. Und damit ist gleich ein Zweites ausgeschlossen: Man kann das nicht selbst tun. Eine Geburt erleidet man, man wird geboren. Auch die neue Geburt im Glauben wird erlitten, nicht selbst gemacht. Man kann sein Leben ändern, man kann den Glauben finden oder verlieren, aber im Glauben neu gebären kann man sich nicht selbst. Fleisch ist Fleisch und Geist ist Geist. Von Gottes Welt zu unserer führt kein Weg, den wir beschreiten, da ist keine Tür, die wir öffnen könnten. Jeder Versuch, es zu tun, wirft uns nur auf uns selbst zurück. Wir gelangen nicht zu Gott, sondern bleiben in uns selbst gefangen. Man dreht sich nur im Kreis, wenn man meint, sich nach dem Himmel auszustrecken.

Darum ist es nötig, dass wir erst einmal begreifen und für uns selbst annehmen: Wir kommen Gott aus eigener Anstrengung keinen Schritt näher. Wir können uns, unser Leben ändern, so oft und so viel wir wollen, wir können gute oder bessere Menschen sein, das alles hilft uns gar nichts. Der einzige Weg zu Gott ist eine neue Geburt aus Wasser und Geist – mit anderen Worten: Die Taufe. So unscheinbar die Taufe ist, sie ist das Wunder, das uns zu neuen Menschen macht.

Aber natürlich ist nicht die Taufe das Wunder, als gäbe es eine Möglichkeit, Wasser zu weihen oder zu verzaubern, sodass wir dadurch neu geboren werden. Das wäre wieder nur der Versuch, sich selbst neu zu machen. Die Taufe ist vielmehr der Weg, wie wir zu Jesus kommen. Wir kommen zu Jesus nicht durch eine Entscheidung, die wir an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde trafen. Wir kommen zu Jesus auch nicht durch Überzeugung oder durch ein Ergriffensein. Sondern weil Gott uns durch seinen Geist, den er uns in der Taufe schenkt, fähig macht, zu glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist, Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben.

So wird Jesus die Tür, durch die wir zu Gott gelangen. Eine Tür, die nicht wir gefunden und aufgeschlossen haben. Gott hat sie uns finden lassen, und Gott hat sie uns geöffnet. 

Heute feiern wir Trinitatis, wir feiern das Geheimnis der Dreieinigkeit Gottes. Dem Geheimnis, dass wir neu geboren werden müssen, um zu Gott zu gelangen, entspricht das Geheimnis, dass Gott uns auf dreifache Weise begegnet:

Gott begegnet uns als der, dessen Reich nicht von dieser Welt ist,
und das doch unsere Welt berührt und von Gott her verwandelt.

Gott begegnet uns in Jesus Christus, der uns den Weg in Gottes Welt eröffnet hat
und der die Tür ist, durch die wir zu Gott gelangen.

Und Gott begegnet uns im Heiligen Geist, der uns verwandelt zu neuen Menschen,
die fähig sind zum Glauben, zur Hoffnung und zur Liebe.