Freitag, 24. September 2021

Was das Leben lebenswert macht

Predigt zum Erntedank am Samstag, 25. September 2021 über 2.Korinther 9,8:

„Gott hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken.
So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht.
Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun.”

Liebe Schwestern und Brüder,

die Ernte eines Jahres ist eingefahren. Noch nicht ganz. Die Zuckerrübenkampagne hat gerade begonnen, und die meisten Äpfel hängen noch am Baum. Aber man kann doch schon einmal zurückblicken auf das vergangene Jahr. Wie war die Ernte dieses Jahr? Was haben wir an Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten genossen und genascht, eingefroren und eingekocht? Und was haben wir sonst noch so geerntet?
An Lob z.B. - oder an Kritik?
Welche schönen Erlebnisse hatten wir - und welche Tage möchten wir möglichst schnell vergessen?
Was haben wir erfahren, gelernt in diesem Jahr - und was haben wir verlernt, was können wir nicht mehr?
Welche Menschen sind uns begegnet, sind uns Freundin oder Freund geworden - und welche Menschen haben wir verloren?

Auch in diesem Jahr hat die Corona-Pandemie unser Leben bestimmt. Nicht mehr so sehr wie im letzten Jahr; Dank der Impfungen ist ein gewisses Maß an Normalität zurückgekehrt. Vieles war trotzdem noch nicht möglich. Manche*r hat dieses Jahr noch auf eine Urlaubsreise verzichtet. Bei Begegnungen mit anderen, besonders mit Fremden, fühlt man noch immer eine gewisse Befangenheit. Und die Masken können wir auch noch nicht zuhause lassen.

Die Corna-Pandemie fühlt sich an wie eine große Durststrecke. So vieles ging nicht, so vieles nur eingeschränkt. Das passt auf etwas bedrückende Weise zu den Trockenperioden, die wir durch den Klimawandel erleben. Dürre im Land, und Dürre in unserem Alltag - wofür soll man da dankbar sein, warum Erntedank feiern?

„Gott hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken.
So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht.
Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun.”

Wenn einem etwas fehlt - wenn man erkrankt ist, oder wenn man einen lieben Menschen verloren hat -, versuchen manche einen mit dem Hinweis darauf zu trösten, dass es anderen noch viel schlechter geht. Und man selbst versucht auch, sich das einzureden. Natürlich ist da etwas Wahres dran. Verglichen mit den Ärmsten der Armen - den Kindern, die im Jemen oder in der Sahelzone verhungern - ist jeder andere Mensch besser dran und kann dankbar sein. Aber das Maß können doch nicht die sein, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben. Der Maßstab muss doch vielmehr sein, was ein Mensch zu einem guten, gesunden und glücklichen Leben braucht. Das ist viel mehr als Wasser und Brot. Martin Luther zählt dazu in seiner Auslegung der Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser folgendes auf:

„Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen und Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.”

„Und desgleichen” - die Liste ist noch lange nicht zuende. Jeder Mensch braucht darüber hinaus noch etwas, was das Leben lebenswert macht. Für die eine ist es das Reiten, für den anderen der Spaziergang mit dem Hund. Das Angeln oder die Jagd, ein gutes Buch oder schöne Musik - wie die Orgelmusik in diesem Gottesdienst.

Wenn wir auf das Jahr zurückschauen, stellen wir fest: Das alles hatten wir. Unser Leben war lebenswert, auch unter Corona-Bedingungen. Vielleicht haben die Einschränkungen, so mühsam und belastend sie waren, uns gerade das spüren lassen: Was wir trotzdem alles hatten und tun konnten. Und was von dem Vielen, was wir zu brauchen meinen, gar nicht so notwendig war, wie es uns schien. 

Und vielleicht haben wir durch Corona sogar etwas gelernt, das wir jetzt als Ertrag aus dieser Zeit mitnehmen: Den Umgang mit Videokonferenzen. Die Arbeit im Home-Office. Die Nähe zu anderen trotz räumlichem Abstand. 

„Gott hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken.
So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht.
Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun.”

Wir haben viele Gaben von Gott bekommen. Damit ist nicht nur das gemeint, was wir zum Leben brauchen und was unser Leben lebenswert macht. Auch Zuhören ist eine Gabe. Sehen, was nicht in Ordnung ist, ist eine Gabe. Dinge reparieren können, Pflanzen zum Wachsen und Blühen bringen, Kinder betreuen, Kranke besuchen - auch diese Liste ließe sich lange fortsetzen mit dem, was jede und jeder von Ihnen jeweils kann.

Spätestens seit Corona haben wir gelernt, dass unsere Gaben wichtig sind, dass sie gefragt sind und  gebraucht werden. Gott hat uns so viele Gaben gegeben, damit wir aus unserem Überfluss anderen etwas abgeben können. Wiederum nicht nur unseren Besitz, Geld, oder Gegenstände. Sondern vor allem das, was wir können, womit wir anderen helfen können. Keine Gabe ist dafür zu unbedeutend, zu  gering. Niemand ist dafür zu klein, zu unwichtig, zu alt oder zu schwach. Deshalb heißt Erntedank auch: Danke sagen für die Menschen, mit denen wir zusammenleben und die uns von ihrer Zeit, ihrer Kraft, ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten etwas abgeben - so, wie Sie es tun.

Darum möchte ich Ihnen heute ausdrücklich Danke sagen:
Danke, dass Sie Ihre Gaben in diesem Jahr geteilt haben!
Danke, dass Sie mit Ihren Gaben Ihr Gemeinwesen und diese Gemeinde gestalten und bereichern!
Und auch Gott möchte ich dafür danken, dass er Ihnen diese Gaben geschenkt hat:
Danke, Gott, dass du diese Menschen so einzigartig, so liebenswert, so besonders gemacht hast!

Amen.