Dienstag, 16. November 2021

wahre Schönheit kommt von innen

Predigt am Buß- und Bettag, 17.11.2021, über Matthäus 7,12-20


Liebe Schwestern und Brüder,

„bin ich schön?” Das fragt man sich, wenn man sich kritisch im Spiegel betrachtet. Man spricht es nicht aus, aber darauf zielt es ab, wenn man im Spiegel noch einmal überprüft, ob alles sitzt, die Frisur, das Makeup, die Krawatte, ob nirgendwo ein Fussel oder Fleck den Eindruck trübt, oder etwa ein Knopf nicht geschlossen ist.

„Bin ich schön?” Ich möchte nicht nur selbst mit meinem Aussehen zufrieden sein. Ich möchte mich auch sehen lassen können, möchte nicht auffallen - oder gerade mit meiner Erscheinung Eindruck machen. Ich möchte anderen gefallen, möchte, dass sie einen guten Eindruck von mir gewinnen oder behalten.

„Ein guter Baum bringt gute Früchte.” Was ist ein guter Baum? Ist ein guter Baum auch schön? Kann man von einem Baum mit geradem Stamm, symmetrischen Ästen, dichter, grüner Krone auch gute Früchte erwarten?

Bei Menschen denken wir so: Ist jemand sauber und adrett gekleidet, hat man gleich Vertrauen zu ihm. Trägt jemand einen Arztkittel, ist man beeindruckt, trägt jemand Uniform, zeigt man Respekt. Das nutzen wir aus, indem wir uns zu besonderen Anlässen besonders anziehen: Zu einem Vorstellungsgespräch bindet man eine Krawatte um, trägt man ein Kostüm. Das nutzen auch Betrüger aus, indem sie sich seriös kleiden und dadurch Menschen in falscher Sicherheit wiegen, die sie dann übers Ohr hauen. Auf das Äußere kommt es an.

Ist das bei einem Baum auch so? Hängt, ob er gute Früchte trägt, von seinem Aussehen ab? Liegt es nicht vielmehr am Boden, an Feuchtigkeit und Wärme, an Nährstoffen und Bestäubung? Wenn das alles vorhanden ist, bringt der Baum seine Frucht sozusagen von selbst.

Bei einem Baum lehrt die Erfahrung, dass es nicht auf das Aussehen ankommt. Bei Menschen denken wir nicht so. Da meinen wir, ein schöner Mensch müsste auch zugleich ein guter Mensch sein.

Aber was ist überhaupt Schönheit? Ist jemand schön, der einen schlanken, sportlichen Körper hat, ebenmäßige Gesichtszüge, eine reine Haut, volles Haar?
Ist jemand schön, der sich schöne Kleidung leisten kann, der immer sauber und adrett gekleidet ist?
Ist jemand schön, der mit den Schönen und Reichen per Du ist, mit dem man sich gern schmückt, den man gern kennen oder gar zu seinen Freunden zählen würde?

Es gab einmal einen Werbespruch, der lautete: „Natürliche Schönheit kommt von Innen”. Mit diesem Spruch wurde eine Pille verkauft, die für einen glatten, rosigen Teint sorgen sollte. Es ist ein Traum, den viele träumen: Dass man bloß eine Pille einzunehmen bräuchte, um strahlend schön zu sein, schlank und faltenfrei.

Leider ist das Gegenteil der Fall: Schönheit ist harte Arbeit. Wer schön sein will, muss leiden. Muss regelmäßig und ausdauernd Sport treiben, auf seine Ernährung achten, Zeit und Geld in seinen Körper investieren. Solche Menschen bewundern wir für ihre Disziplin und für das Ergebnis ihrer  Anstrengungen: ihren perfekten Körper, ihre makellose Haut.

Aber der Werbespruch hat recht: Natürliche Schönheit kommt von innen. Denken Sie an das Strahlen junger Eltern, die sich über ihr Neugeborenes beugen - sind sie nicht schön?
Denken Sie an Ihr Lächeln, wenn Sie ein Baby bestaunen und es dazu bringen wollen, dass es zurücklächelt: Dann sehen Sie schön aus - denn sonst würde das Baby vor Angst weinen.
Denken Sie an die Liebe, die in unserem Blick liegt, wenn wir die Partnerin, den Partner ansehen, die Kinder oder Enkelkinder: Dann sind wir schön.
Was uns in diesem Moment erfüllt, sind Liebe, Freundlichkeit, Güte.

Liebe, Freundlichkeit, Güte - das wünscht sich wohl jede und jeder für sein Leben. Wie sagt es Jesus? „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch.” Die sogenannte „Goldene Regel”. Es gibt sie auch in anderer, weniger komplizierter Form: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.” Aber zwischen diesen beiden Sätzen gibt es einen gravierenden Unterschied: Die einfache Regel spricht davon, etwas zu lassen: Sie spricht davon, zu unterlassen, was man selbst nicht erleiden möchte. Diese Regel wird erfüllt, indem man -- nichts tut. Denn dann tut man ja nichts Böses.
Jesus dagegen fordert uns auf, zu handeln, indem wir anderen das geben, was wir von ihnen erhalten möchten: Liebe. Freundlichkeit. Güte.
Man könnte diese Liste noch erweitern um Respekt, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl - all das, was wir empfinden, wenn wir einen Menschen ansehen, den wir lieben.

Ein Mensch, den wir lieben, ist für uns schön. Nicht, weil er oder sie die Schönheitsideale erfüllt, die unsere Gesellschaft aufstellt und die sich mit der Mode ändern. Sondern weil die Liebe uns seine oder ihre wahre Schönheit erkennen lässt: Die Schönheit, die von innen kommt. Und weil der geliebte Mensch sozusagen spiegelt, was wir ihr oder ihm an Liebe, Freundlichkeit und Güte entgegenbringen.

So werden Menschen schön: Nicht durch eigene Anstrengung, sondern durch die Begegnung mit anderen: Ihre Freundlichkeit lässt sie leuchten, ihre Liebe lässt sie erstrahlen, ihre Güte lässt sie gut sein.
Das ist die enge Pforte, durch die wir gehen sollen. Warum finden sie nur so wenige? Weil wir nicht von anderen gespiegelt werden wollen, sondern uns selbst in anderen spiegeln möchten. Wir möchten  bewundert werden, nicht andere bewundern. Wir möchten geliebt werden, nicht andere lieben. Wir möchten etwas bekommen, aber möglichst nichts dafür geben müssen.

Wir finden die enge Pforte nicht, weil wir meinen, unsere Schönheit herstellen zu können, herstellen zu müssen, statt sie uns von anderen schenken zu lassen. Weil wir meinen, Schönheit könne man kaufen, oder bekäme sie in Form einer Pille.

Dabei muss man sich Schönheit erarbeiten. Entweder durch Sport und Disziplin, durch Pflege des eigenen Körpers.
Oder indem man tut, was Jesus uns rät: Anderen das zu tun, was wir uns von ihnen wünschen: Liebe, Freundlichkeit und Güte. Dadurch werden wir schön. Und dadurch werden auch alle anderen Menschen schön.

Dass Äußere kann täuschen. Hinter einer seriösen Fassade kann sich ein Schweinehund verbergen. In einem wunderschönen, perfekten Körper kann ein Herz aus Stein stecken.
An Liebe, Freundlichkeit und Güte lässt sich wahre Schönheit erkennen - Schönheit, die nicht an sich selbst genug hat, sondern die ansteckend wirkt und andere schön sein lässt.