Freitag, 10. Dezember 2021

Geheimniskrämer

Predigt am 3. Advent, 12. Dezember 2021, über 1.Korinther 4,1-5:

Man soll uns als Diener Christi

und Verwalter der göttlichen Geheimnisse ansehen.

Daher verlangt man übrigens von den Verwaltern,
dass sie sich als zuverlässig erweisen.

Mir aber ist es einerlei, ob ich von euch befragt werde
oder von einem menschlichen Gericht.
Ja, nicht einmal mich selbst befrage ich.

Ich habe mir nämlich nichts vorzuwerfen,
aber darin bin ich nicht gerechtfertigt.

Wer mich aber befragt, ist der Herr.

Daher richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt,

der ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist,
und die Absichten des Herzens bekanntmachen wird,

und dann wird jedem Anerkennung zuteil werden von Gott.



Liebe Schwestern und Brüder,


wer bin ich?

Die Frage ist, wenn man sie sich überhaupt stellt -

oder, anders gesagt: wenn man sich ihr überhaupt stellt -

schwer zu beantworten.

Auch deshalb schwer zu beantworten,

weil sofort die andere Frage dazu kommt,

die wir uns vergleichsweise oft stellen:

Was denken die anderen von mir?


Wer bin ich?

Diese Frage ist auch abhängig davon,

in welchem Zusammenhang man sie stellt.

Wer bin ich als Vater oder Mutter?

Wer bin ich als Partnerin, als Partner?

Wer bin ich als Freund*in oder Kolleg*in?

Wer bin ich als Sohn oder Tochter,

als Schülerin oder Schüler?


Wenn man so fragt,

fragt man, wer man für andere

oder im Blick auf andere ist.

Aber wer bin ich für mich?

Lässt sich das überhaupt sagen?

Kann man sich isoliert, unabhängig von anderen betrachten?


Wer bin ich?

Paulus beantwortet diese Frage im Blick auf den christlichen Glauben.

Und weil dieser Glaube keine Privatsache ist,

sondern sich in der Gemeinde abspielt

und zugleich vor den Augen der Welt,

verbindet Paulus in seiner Antwort die beiden Fragen,

wer ich bin, und was andere von mir denken:


Man soll uns als Diener Christi und Verwalter der göttlichen Geheimnisse ansehen.


Diener Christi - das ist wohl keine Bezeichnung,

die wir selbst für uns wählen würden.

Entweder, weil wir das, was wir als Gläubige tun,

nicht als „dienen” verstehen.

Oder weil uns das zu verbindlich ist.

So, als wären wir bei Christus fest angestellt,

während wir den Glauben lieber

als etwas Freiwilliges, Unverbindliches verstanden wissen möchten.


Aber „Verwalter der göttlichen Geheimnisse”?

Auf diese Bezeichnung wären wir selbst nie gekommen.

Was sind überhaupt diese „göttlichen Geheimnisse”?

Es sind die Sakramente - Taufe, Abendmahl -,

und die Beichte, die Vollmacht zu binden und zu lösen,

also die Sünde zu vergeben,

die Jesus seinen Jüngern erteilt hat.

Bei Paulus sind es noch nicht die Pastor*innen,

die die Sakramente verwalten,

die Beichte hören und die Absolution erteilen.

Jede Christin, jeder Christ ist Verwalter der göttlichen Geheimnisse.


Daher verlangt man übrigens von den Verwaltern,
dass sie sich als zuverlässig erweisen.


„Verwalter” und „Diener” sind keine Titel,

auf die man sich etwas einbilden

oder mit denen man sich schmücken könnte

(wenn man das denn wollte).

Es sind Aufgaben, die wir als Christen erfüllen sollen.

Wir tun dies vor aller Augen

und werden danach beurteilt,

ob man sich auf uns verlassen kann.

Das heißt doch wohl nicht,

dass wir Taufe, Abendmahl und Beichte

eifersüchtig vor der Welt verstecken

und die Latte besonders hoch legen sollen für die,

die uns darum bitten.

Sondern genau andersherum:

Sie zu spenden, wenn wir danach gefragt werden.


Nun fragen Sie sich vielleicht:

Wie kann ich als „einfaches Gemeindeglied”

taufen, Abendmahl feiern oder die Beichte abnehmen?

Das darf ich doch gar nicht!

Wir haben uns daran gewöhnt,

diese Aufgaben an die Pastor*innen zu delegieren,

„um der Ordnung willen”, wie Martin Luther betont.

Das heißt aber nicht, dass nicht jede* Getaufte* es auch könnte und dürfte.

Ich denke an die „Babuschki” in der ehemaligen Sowjetunion,

die zuhause viele Kinder getauft

und so den christlichen Glauben im Atheismus bewahrt haben.

Und ich denke an die Seelsorgegespräche,

die jede* von uns schon geführt hat.

Bei solchen Gesprächen haben wir auch Vergebung zugesagt,

wenn auch vielleicht nicht ausdrücklich im Namen Gottes.


Mir aber ist es einerlei, ob ich von euch befragt werde
oder von einem menschlichen Gericht.
Ja, nicht einmal mich selbst befrage ich.


Als Diener Christi und Verwalter,

der öffentlich, vor aller Augen,

mit Gottes Geheimnissen umgeht,

ist man Rechenschaft schuldig.

Unsere eingangs gestellte Frage:

„Wer bin ich?” hat ja auch den Anteil,

dass wir uns fragen, wer wir für andere sind.

Dahinter steht oft die bange Frage:

Bin ich richtig?

Bin ich gut so, wie ich bin?

Oder sollte ich klüger, fleißiger, fröhlicher,

hübscher, schlanker, sportlicher,

ernster, würdevoller, liebevoller,

aufmerksamer, bescheidener, vorsichtiger,

mutiger, frecher, größer oder kleiner sein?


Für einen Diener Christi,

einen Verwalter der göttlichen Geheimnisse,

gelten diese menschlichen Maßstäbe nicht.

Wir sind gut und richtig so, wie wir sind.

Wir sind Gott recht so, wie wir sind.

Das gilt insbesondere gegenüber unseren eigenen Maßstäben,

die manchmal viel strenger und unbarmherziger sind

als die, die von außen an uns angelegt werden.


Ich habe mir nämlich nichts vorzuwerfen,
aber darin bin ich nicht gerechtfertigt.


Wer bin ich?

Die Frage verlangt nach einer Antwort,

die wir uns nicht selbst geben können.

Natürlich können nur wir selbst wissen,

wer wir wirklich sind.

Aber diese Antwort sucht Bestätigung:

Sehe nur ich mich so,

oder bin ich tatsächlich so, wie ich mich sehe?

Diese Bestätigung kann man sich nicht selbst geben.


Diese Bestätigung können einem aber auch nicht die Mitmenschen geben.

Sie urteilen ja nicht unparteiisch,

sondern legen ihre Maßstäbe an uns an.

Selbst, wenn sie nur das Beste für uns wollen,

selbst, wenn sie uns lieben,

sehen sie uns mit ihren Augen.

Das kann sehr wohltuend sein,

wenn einem gesagt wird:

„Ich habe dich lieb” oder

„Du bist die liebste Omi auf der Welt!”

Es kann eine* trösten,

wenn man hören darf:

„Das ist doch nicht so schlimm!” oder

„Ich verzeihe dir.”

Aber es bleibt trotzdem der Rest eines Zweifels.

Man freut sich, aber kann es doch nicht wirklich glauben.


Wer mich aber befragt, ist der Herr.


Das Jüngste Gericht,

der Richterstuhl Gottes,

vor dem wir einmal werden erscheinen müssen,

wirft seine Schatten voraus.

Den Menschen des Mittelalters machte es schreckliche Angst.

Sie gaben buchstäblich ihr letztes Hemd,

um die Strafe zu mildern,

indem sie Ablass kauften,

der ihnen die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen versprach.

Denn dass sie in diesem Jüngsten Gericht schuldig gesprochen werden würden,

stand für sie außer Frage.

Ist Gott doch der,


der ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist,

und die Absichten des Herzens bekanntmachen wird.


Ein Gott, der das kann:

Der sieht, was wir gern verheimlichen würden

und manchmal sogar vor uns selbst verbergen,

der unerbittlich ans Licht zerrt,

was wir nur im Geheimen zu denken wagen,

ein solcher Gott, der das alles sieht und weiß,

wird doch wohl zutiefst von uns enttäuscht sein.


Daher richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.


Hat Paulus Sorge, dass unser Urteil über uns und andere

zu milde ausfallen könnte, weil wir nicht alle Fakten kennen?

Weil wir in die wahren Abgründe des Herzens

noch gar nicht geblickt haben?


Aber wie kann man nur auf einen solchen Gedanken kommen!?

Würde Gott uns denn zu Verwaltern seiner Geheimnisse machen,

wenn es Zweifel an unserer Eignung gäbe?

Taufe, Abendmahl und Sündenvergebung sind die Heiligtümer unserer Kirche.

Uns sind sie anvertraut,

ohne dass wir gefragt werden,

ob wir uns auch die Hände gewaschen haben,

ob wir „würdig” sind

oder uns ihnen gewachsen fühlen.


Da wir aber auch keinen Grund für Eigenlob haben,

nicht auf die eigene Gerechtigkeit oder Vollkommenheit bauen können,

bleibt nur eines:

Gott selbst macht uns ihm recht.

Mit der Aufgabe gibt Gott uns auch die Fähigkeit,

sie zu lösen.


Und dann wird jedem Anerkennung zuteil werden von Gott.


Paulus spricht von Anerkennung,

nicht von Urteil oder Strafe,

nicht einmal von Kritik.

Paulus geht nicht davon aus, dass wir versagen könnten,

ja, nicht einmal davon, dass an unserem Tun etwas auszusetzen wäre.

Wo es doch mancherlei gäbe,

was wir an uns auszusetzen hätten.

Und auch manch anderer hätte etwas über uns zu meckern,

wenn man ihn fragen würde -

und leider oft auch ungefragt.

Gott aber nicht.

Gott hat nichts als Anerkennung für uns.


Wer bin ich?

Jetzt können wir eine Antwort auf diese Frage geben:

Ich bin Gottes geliebtes Kind.

Ich bin Gott recht so, wie ich bin.

Ich bin Gott so recht, dass ich seine Geheimnisse verwalten darf,

mit anderen Worten:

Die Liebe weitergeben,

mit der Gott uns liebt.

Amen.