Samstag, 18. Dezember 2021

unbefleckte Empfängnis

Predigt am 4. Advent, 19. Dezember 2021, über Lukas 1,26-38

Altar der Kirche in Karbow mit dem Kreuz Christi, unter dem links Maria und rechts Johannes steht.


Liebe Schwestern und Brüder,


Marie, die reine Magd bringt Gottes Sohn zur Welt. Ein schlichter Satz, hundertmal gehört, hundertmal mitgesungen in unterschiedlichen Variationen:

- „Gelobet seist du, Jesus Christ, dass du Mensch geboren bist von einer Jungfrau, das ist wahr; des freuet sich der Englein Schar.”

- „Euch ist ein Kindlein heut geborn von einer Jungfrau auserkorn.”

- „Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt

hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd.”

Ein schlichter Satz, der Widerspruch provoziert und nicht in unser Gottesbild passen will.


Gott will Mensch werden, einer von uns. Nicht wie wir, sondern: ein Mitmensch, ein Nächster. Das geht offenbar nur, wenn er den selben Anfang nimmt wie alles Leben, den selben Anfang wie wir, im Schoß einer Mutter. Um Mensch werden zu können, muss Gott „Fleisch annehmen”, wie es im Bibeldeutsch heißt (vgl. Joh 1,14). Gott braucht eine Mutter, die ihn neun Monate unter ihrem Herzen trägt, ihn ernährt mit ihrem Körper und auch mit ihrer Hoffnung, ihrer Liebe.


Maria ist „Mutter Gottes”. Ein paradoxer Name. Der ewige Gott hat keine Mutter. Er war immer, und er wird immer sein. Und dennoch: Um zur Welt zu kommen, die er doch selbst geschaffen hat, muss Gott geboren werden wie alle Lebewesen. Auch das ein Gedanke, der widersprüchlich ist und nicht in unser Gottesbild passt.


Dort der ewige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Hier wir, endliche Menschen, Gottes Geschöpfe. Wie können die beiden ungleichen Partner zusammenkommen? Wie ist das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in uns? Kann denn eine Frau Mutter Gottes sein, und welche Voraussetzungen braucht sie dafür? Darüber haben sich Generationen von Theologen die Köpfe zerbrochen. Herausgekommen ist, unter anderem, die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens.


Wenn Gott zur Welt kommt, kann das offenbar nicht auf dem Weg geschehen, den alles Leben nimmt, denn Gott ist so ganz anders als wir, ist Schöpfer, nicht Geschöpf. Darum muss die Zeugung anders sein als sonst, muss wunderbar sein. Wie Licht durch Glas dringt, ohne es zu zerstören, so dringt Gottes Geist in Maria ein, ohne eine Spur zu hinterlassen. Daher heißt es im Glaubensbekenntnis: „Geboren von der Jungfrau Maria.” Noch so ein Satz, der Widerspruch weckt und sich mit unserem Gottesbild beißt.


Die Jungfrauschaft Marias allein aber genügt nicht. Das „Gefäß”, das Gott einschließt, muss Gottes würdig sein. Es muss außergewöhnlich und kostbar, außergewöhnlich kostbar sein. Darum wurden und werden für das Abendmahl nur Gefäße aus Silber oder Gold verwendet - oder zumindest Gefäße, deren Oberfläche versilbert oder vergoldet wurde. Leib und Blut Christi sollen nur mit dem Edelsten Material in Berührung kommen.


Deshalb auch wird Maria in der Kunst als wunderschöne Frau dargestellt. Eine „Miss Universum” ist gerade hübsch genug, um Gottes Anspruch zu genügen. Ob das auch Gottes Ansicht ist, hat man sich dabei nicht gefragt, als Männer Marias Aussehen ausmalten und ihr Schönheitsideal zum Maßstab auch für die Gottesmutter machten.


Und schließlich genügt es auch nicht, dass Maria ein Mensch war wie alle anderen. Wenn sie Gott zur Welt bringt, muss sie ein besonderer Mensch sein, ach was, ein Übermensch, eine Wonder-Woman! Deshalb wurde gelehrt, Marias Eltern, Anna und Joachim, seien so fromm gewesen, dass Maria unbefleckt empfangen wurde. Zu deutsch: Was uns als Menschen ausmacht, dass wir einen eigenen Willen haben, dass wir uns manchmal falsch entscheiden, Fehler machen, uns selbst und andere verletzen, dass wir das Gute wollen und das Schlechte tun - all das besaß Maria nicht. Maria war mehr als jeder Mensch, aber sie hatte keine Menschlichkeit, weil sie keine Fehler machen, nichts anderes wollen konnte, als es Gottes Wille für sie war. Das scheint ihre Antwort an den Engel zu bestätigen:

„Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.”


Was ist das anderes, als ein sich Ergeben in Gottes Willen? Fast könnte man Resignation aus diesen Worten hören, als wollte Maria sagen: Ich kann ja doch nichts ändern, ich kann mich gegen Gott nicht durchsetzen. Es wird ohnehin geschehen, was Gott will.


Es wird Maria auch viel zugemutet: Sie wird schwanger, ohne verheiratet zu sein - ihr Ruf ist also schon mal ruiniert. Sie kennt den Vater nicht - jedenfalls nicht so, wie man normalerweise den Vater kennt. Und sie ist nicht nur eine Leihmutter für Gottes Kind, sondern zieht es für ihn groß und hat an seinem Schicksal teil. Seinetwegen muss die Familie ins Exil nach Ägypten gehen. Der alte Simeon prophezeit im Tempel: „durch deine Seele wird ein Schwert dringen” (Lukas 2,35). Man kann sich vorstellen, dass das passierte, als Maria ihren Sohn am Kreuz sterben sah.


„Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.” Diese Antwort Marias ist mehr als ein sich Fügen in das Unvermeidliche. Sicher, Maria bezeichnet sich als Magd - im Griechischen steht das Wort δούλη, was man sogar mit „Sklavin” übersetzen könnte. Eine Magd hat zu gehorchen. Aber sie hat ihren eigenen Willen. Und wenn der Herr nicht hinsieht, zeigt sie ihm einen Vogel, weil sie sich über ihn geärgert hat; tuschelt und lästert über ihn mit den anderen Mägden. Selbst eine Sklavin hat diese innere Freiheit, auch wenn sie zu ihrem Dienst gezwungen wird.


In dieser inneren Freiheit sagt Maria „Ja” zu der Zumutung, Mutter Gottes zu sein. Ohne dieses Ja, ohne Marias Ja wäre Gott nicht zur Welt gekommen. Das ist entscheidend: Gott wählte nicht den Weg der Gewalt, der Vergewaltigung, wie es die Götter der Griechen und Römer taten und damit Gewalt gegen Frauen zum „Kavaliersdelikt” verharmlosten. Gott wartet auf das Ja Marias, und dieses Ja genügt. Mit diesem Ja kann Gott zur Welt kommen. Weiter ist nichts nötig.


Vielleicht besagt ja der anstößige Satz des Glaubensbekenntnisses von der Jungfrauengeburt nicht anderes, als dass dieses eine Mal kein Mann nötig war - wo Männer sich doch sonst immer für unentbehrlich halten. Damit Gott zur Welt kommt, braucht es keinen Mann, sondern nur ein Ja: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.”


Damit braucht es auch keine wunderbaren Eigenschaften auf Marias Seite. Maria muss weder besonders schön noch besonders fromm sein, sie muss nicht auf unvorstellbare Weise sündlos sein, ja, sie braucht nicht einmal eine Jungfrau zu sein. Maria darf ein Mensch sein wir wir alle. Denn dass Maria Gottes Sohn empfängt, ist nicht ihre Leistung, ihre Würdigkeit. Es ist Gottes Tat. Gott entscheidet selbst, wer seiner würdig ist.


Wenn Maria Mensch sein durfte, dürfen wir es auch sein. Und gleichzeitig können wir Ja zu Gott sagen. Denn Gott, der uns geschaffen hat, macht uns seiner würdig. Gott bringt alles mit, Gott gibt uns alles, was es braucht, damit sein Wille auch durch uns Wirklichkeit werden kann. Gott „macht uns ihm genehm”, wie es in einem Morgenlied heißt (EG 452).


Gott kommt zur Welt, auch durch uns, wenn wir seinem Willen zustimmen und ihn tun. So kann es auch dieses Jahr Weihnachten werden, trotz Corona, trotz der Kriegsdrohung an der Grenze der Ukraine, trotz verhungernder Kinder und ertrinkender oder erfrierender Flüchtlinge: Weil Gott uns dazu bewegt, unsere Herzen zu öffnen, unsere Hände und unsere Haustüren, auch die Grenzen unseres Landes zu öffnen, damit er zur Welt kommen kann.

Amen.