Donnerstag, 23. Dezember 2021

Was die Welt nicht sehen kann

Predigt am 1.Weihnachtstag, 25.12.2021, über 1.Johannes 3,1-2:

Seht, wie große Liebe uns der Vater geschenkt hat,
dass wir Kinder Gottes heißen und es sind.
Deshalb kennt uns die Welt nicht,
weil sie ihn nicht kennt.
Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes.
Und zugleich ist noch nicht erschienen,
was wir sein werden.
Wir wissen, wenn es erscheinen wird,
werden wir ihm gleich sein,
denn wir werden ihn sehen, wie er ist.


Liebe Schwestern und Brüder,

an Weihnachten gibt es etwas zu sehen. Nein, ich meine nicht „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Der kleine Lord“, auch nicht die x-te Wiederholung von „Tatsächlich Liebe” oder „Kevin allein Zuhaus”.

An Weihnachten gibt es das Leuchten in den Augen zu sehen, wenn die Geschenke ausgepackt werden. Und auch hier: Nicht das gierige Flackern, wenn es nicht zu viele Geschenke sein können, wenn sie nicht zu groß oder zu kostspielig sein können. Sondern das Leuchten, das die Liebe auslöst, die man beim Schenkenden spürt. Und zwar eher bei etwas Selbstgemachtem, als bei etwas Gekauftem, und sei es noch so wertvoll.

Auch von Gott bekommen wir an Weihnachten etwas geschenkt, das uns Gottes Liebe zu uns spüren lässt, nämlich, dass wir Gottes Kinder sind: Seine Töchter und Söhne.

Das klingt zunächst wie eine Floskel, und man möchte schon abwinken, ja, ja, Kinder Gottes, ich weiß … Wenn man das Kind einer Berühmtheit wäre oder eines gekrönten Hauptes, wäre das etwas anderes. Da wäre man ziemlich stolz, ihr oder sein Kind zu sein, und würde sich vielleicht sogar etwas darauf einbilden. Aber ist Gott denn nicht mehr, nicht größer als jeder Star und jede Monarchin? Warum empfinden wir da keinen Stolz?

Aber das Wichtigste ist ja gar nicht, dass wir Kinder dessen sind, den jeder kennt, auch wenn nicht jeder vor ihm Respekt hat. Das Wichtigste ist, dass Gott uns liebt, wie Eltern ihre Kinder lieben: unbedingt und unendlich. Und das, obwohl wir gar nicht Gottes leibliche Kinder sind, sondern angenommene Kinder, adoptiert durch die Taufe. Trotzdem stellt uns Gott seinem einzigen Sohn gleich, hat uns kein bisschen weniger lieb als ihn.

Wir gehören zu Gott. Damit gehören wir bereits zu einer anderen Wirklichkeit. Einer, die (wenn das möglich ist) wirklicher ist als die Realität. Weil Gott unsere Wirklichkeit durchdringt. Gott ist hinter den Dingen, Gott steht über den Dingen und ist alles in allem, umschließt alle Dinge, und wir mit ihm. Wir sind dadurch das, was man früher mit dem Wort „cool” bezeichnete: Die Welt kann uns nicht wirklich etwas anhaben, da stehen wir drüber.

Die Welt kann uns nichts anhaben, weil sie uns gar nicht sieht. Nicht, weil sie Gott ignoriert oder Gott nicht wahrhaben will. Wir danken, dass das der Grund wäre. Es ist aber genau andersherum: Es ist nicht so, dass die Welt uns nicht sehen will, sie kann uns gar nicht sehen.

Natürlich sind wir nicht unsichtbar, wir sind ja keine Gespenster.

Aber die Welt sieht nur, was sie sehen kann. Sie sieht uns als Menschen wie alle anderen auch, Menschen, die nichts Besonderes an sich haben, nichts Besonderes sind. Die Welt kann nicht sehen, was wir wirklich sind: Sie sieht nicht, dass wir Kinder Gottes sind. Dadurch verpasst sie die Gelegenheit, Gottes Liebe zu begegnen. Eine Liebe, die um ihrer selbst willen liebt, nicht als Belohnung für Schönheit, Wohlverhalten, Gehorsam oder die richtige Einstellung. Eine Liebe, die jeden Menschen als liebenswert erkennt, weil jeder Mensch von Gott gewollt und geliebt ist. 

Die Welt verpasst auch die Gelegenheit, das zu hören, was Gott über seine Schöpfung und seine Geschöpfe sagte: „Siehe, es war sehr gut”. Das sagt Gott zu einer jeden, einem jeden von uns: „Siehe, du bist sehr gut”. Du bist gut, nicht, weil du etwas kannst, nicht, weil du immer brav bist, nicht, weil du dich anstrengst, gut zu sein. Du bist gut, weil Gott dich liebt. Gottes Liebe macht uns gut.

Wir vergessen das oft. Meinen, wir wären nicht liebenswert, oder wir müssten uns Gottes Liebe erst verdienen oder hätten sie zwischenzeitlich verloren. Wenn wir so denken, werden wir uns selbst unsichtbar. Dann ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, obwohl wir schon Gottes Kinder sind und bleiben. Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, wenn uns das Vertrauen fehlt, dass Gottes Liebe uns meint. Uns so, wie wir sind. Wenn uns das Selbstvertrauen fehlt, uns auf diese Liebe unter allen Umständen zu verlassen.

Es ist aber so, dass Gott uns genauso lieb hat wie seinen Sohn. Wir sind seinem Sohn gleich. Wir sind Gott genauso viel wert, wir sind gleich viel geachtet. Gott wendet für uns die gleiche Energie auf, uns vom Tod zu retten, wie er es für seinen Sohn tat. Wir haben sein Versprechen: Wir werden Jesus sehen, wie er ist. Wir werden ihn sehen als den Auferstandenen, den Lebendigen, sitzend zur Rechten Gottes. Dort wird auch unser Platz sein. Denn es ist nicht so, dass an Gottes Seite nur Platz für eine oder einen wäre. Jede und jeder von uns wird Gott ganz nah kommen, wird Gott ganz nah sein.

Das ist Gottes Geschenk für uns. Nicht nur an Weihnachten, an jedem Tag unseres Lebens. An Weihnachten fällt es uns vielleicht leichter als sonst, Gottes grenzenlose Liebe zu uns zu sehen und  anzunehmen. Weil wir beim Blick in die Krippe uns wiedererkennen. Wir sehen uns gespiegelt in den Augen des göttlichen Kindes und spüren, dass er unser Bruder geworden ist. Wenn Jesus aber unser Bruder wurde, sind wir seine Geschwister. Wenn wir seine Geschwister sind, sind wir Kinder des einen Vaters im Himmel. Dann ist es wahr:

„Seht, wie große Liebe uns der Vater geschenkt hat,
dass wir Kinder Gottes heißen und es sind.”