Freitag, 7. Januar 2022

anunciaremos tu reino, senor

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, 9.1.2022, über Jesaja 42,1-9:

Refrain des Liedes: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn


Das ist mein Knecht, ich halte ihn.

Mein Auserwählter, an dem ich Gefallen habe.

Meinen Geist gebe ich ihm.

Recht wird er den Völkern schaffen.

Er wird nicht schreien und die Stimme nicht erheben;

seine Stimme wird er nicht draußen hören lassen.

Ein geknicktes Schilfrohr wird er nicht durchbrechen

und einen glimmenden Docht nicht auslöschen.

Zuverlässig schafft er Recht.

Er wird nicht verlöschen und nicht einknicken,

bis er auf Erden das Recht aufgerichtet hat,

und die Inseln warten auf seine Weisung.


So spricht Gott, der Herr,

der den Himmel geschaffen und aufgespannt hat,

der die Erde ausgebreitet hat und ihre Sprösslinge,

der Atem gab dem Volk auf ihr

und den Geist denen, die auf ihr wandeln:

Ich bin der Herr, der dich in Gnaden berufen hat,

und ich ergreife deine Hand

und ich werde dich behüten und dich machen

zum Bund des Volkes, zum Licht der Heiden,

zu öffnen die Augen der Blinden,

herauszuführen den Gefangenen aus dem Gefängnis,

aus dem Kerker die, die in Finsternis sitzen.

Ich bin der Herr, das ist mein Name.

Und meine Herrlichkeit gebe ich keinem anderen

und meinen Ruhm nicht den Gottesbildern.

Da, das Frühere trifft ein,

und das Neue kündige ich an.

Bevor es sprosst, verkündige ich es euch.



Liebe Schwestern und Brüder,


wer ist dieser Knecht, den Gott so gern hat und dem er so viel zutraut?


Uns fällt die Antwort leicht. Vielleicht dachten Sie sogar eben, was soll die Frage, das ist doch klar: Es ist Jesus, von dessen Taufe wir heute im Evangelium gehört haben. Dabei sagte die Stimme vom Himmel genau das, was Gott von seinem Knecht sagt: „Ich habe Gefallen an ihm.”


So eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es aber doch nicht. Für uns ist es Jesus, von dem hier die Rede ist. Jesaja aber hat diesen Text 500 Jahre vor Christi Geburt geschrieben. Da war von Jesus noch keine Rede. Nun könnte man sagen, Jesaja war doch ein Prophet, der wusste oder ahnte, dass in 500 Jahren einer kommen würde, auf den diese Beschreibung zutrifft. Aber würde es Menschen, die jetzt Ungerechtigkeit erleiden, wirklich trösten, wenn in 500 Jahren einer kommt, der diese Ungerechtigkeit beseitigt? Jesaja dachte offenbar an jemand anderen, an einen Zeitgenossen oder einen, der in naher Zukunft kommt. Aber an wen?


Von einem „Knecht” ist die Rede, nicht von einer Magd. Es wird also ein Mann erwartet. Ein „großer Mann”, darf man wohl ergänzen, denn es waren und sind noch immer die „großen Männer”, auf die sich die Hoffnung auf Veränderung, Verbesserung der Verhältnisse richtet. Ein mächtiger Politiker also, wie Alexander der Große, der die Größe im Namen trägt, Cäsar, Karl oder Friedrich der Große. Einer wie Obama, Trump oder Putin. Große Männer, von denen man große Taten erwartet und von denen solche Taten auch berichtet werden, weshalb ihre Namen im Geschichtsbuch stehen.


Leider stehen bei den großen Namen nicht die Fragen, die Bertolt Brecht einen lesenden Arbeiter stellen lässt:


„Der junge Alexander eroberte Indien.

Er allein?

Cäsar schlug die Gallier.

Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte

untergegangen war. Weinte sonst niemand?

Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer

siegte außer ihm?”


Was den Gottesknecht bei Jesaja auszeichnet, sind keine großen Taten, von denen wir in den Geschichtsbüchern lesen. Der Knecht Gottes steht ein für Gerechtigkeit. Ganz behutsam tut er das: Was schon geknickt ist, wird von ihm nicht zerbrochen. Was kurz vorm Verlöschen ist, erhält von ihm nicht den Todesstoß. Er selbst tritt zurückhaltend auf: kein wortgewaltiger Redner, kein Selbstdarsteller, sondern ein leiser Mensch ist er. Damit handelt er ähnlich wie Gott, der nicht mit Blitz und Donner kommt wie der Zeus der Griechen oder der Jupiter der Römer. Sondern in einem stillen, sanften Sausen begegnet (1.Könige 19,12) oder im Wunder eines Dornbusches, der nicht verbrennt (2.Mose 3,2).


Auch von Gottes Sohn wird erzählt, dass er kein Großer im Sinne großer Männer war, sondern, wie Bertolt Brecht dichtete,


„leicht war

Gesang liebte

Arme zu sich lud

und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben

und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.”


Aber, wie gesagt, von Jesus wusste Jesaja noch nichts.


Wer ist er dann, dieser Gottesknecht, der so behutsam ist, der das Recht aufrichtet, die Augen der Blinden öffnet und die Gefangenen befreit?


Einen Hinweis, wer es ist, gibt uns, für wen der Gottesknecht Recht schafft: für die Völker. Damit sind die Gojim gemeint, die Nichtjuden. Denn die Juden kennen Gottes Gebot und wissen, was Recht ist und was Gott von uns fordert, nämlich:


„Gottes Wort halten

und Liebe üben

und demütig sein vor deinem Gott.” (Micha 6,8)


Die Nichtjuden, die Gojim, die Völker, wissen das nicht. Was an dieser Stelle wie an vielen Stellen der Bibel, auch bei Jesaja, durchscheint, ist, wie eng in der Bibel Glaube und Gerechtigkeit verbunden sind.

Für unser Empfinden ist Glaube eine sehr persönliche Angelegenheit. Eine Privatsache, die nicht auf die Straße, in die Öffentlichkeit gehört, wo Recht und Gerechtigkeit zuhause sind.

Der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat den Glauben deshalb ein Gefühl genannt. Das stimmt wohl auch mit unserem Empfinden überein: Wir sagen, wir sind „ergriffen” vom Glauben. Ergriffenheit ist ein tiefes, bewegendes Gefühl.


Schleiermacher geht noch einen Schritt weiter, er sagt: Wir fühlen unsere Abhängigkeit, wenn wir glauben. Unsere Abhängigkeit von Gott. Diese Abhängigkeit beschreibt die Geschichte vom Vater, der Jesus um Heilung für seinen Sohn bittet und dabei ausruft: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!” (Markus 9,24) Der Vater, der alles versucht hatte, um seinem Sohn zu helfen, und der erfahren musste, dass auch die Ärzte und Fachleute und auch die Jünger Jesu das Kind nicht heilen konnten, erkennt, dass wir das Wesentliche, das Entscheidende nicht selbst tun können und dass wir sogar den Glauben von Gott bekommen müssen. Wir sind ganz und gar abhängig von Gott - schlechthin abhängig, sagt Schleiermacher. Wenn wir diese Abhängigkeit erkennen und akzeptieren, glauben wir - und werden erst dadurch wahrhaft frei.


Denn wahre Freiheit ist nicht, was der Neoliberalismus vertritt und was die Querdenker fordern: Tun und lassen zu können, was man will, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen.


Wahre Freiheit ist die Freiheit von Illusionen und Zwängen und Schuld. Wahre Freiheit ist eine Freiheit für: Die Freiheit, nach Gottes Gebot zu leben, Gerechtigkeit aufzurichten und so an Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit mitzubauen.


Ich denke, jetzt wissen Sie, wer der Gottesknecht ist, oder? Es ist kein großer Mann. Es sind alle die, die Gottes Gebot kennen. Alle, die durch den Glauben die Freiheit gewonnen haben, sich nicht nach der öffentlichen Meinung, nach dem Willen eines großen Mannes, einer Partei oder einer Ideologie richten zu müssen. Sondern die allein auf Gott und sein Wort hören. Es sind alle, die an Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit mitbauen. Jesus war so einer. Die Israeliten zur Zeit Jesajas waren solche Leute. Und wir sind so.


Wir sind Gottes Knechte und Mägde, von Gott berufen, von Gott gehalten und von Gott geliebt. Wir treten nicht großspurig auf. Wir kommen nicht groß raus. Vorsichtig schützen wir das Geknickte, bergen die blakende Flamme und treten, wo wir gehen und stehen, für Gottes Willen, für Gottes Gerechtigkeit ein.


Wir sind viele. Wir sind viel mehr, als wir denken. Und wenn auch die großen Männer laut tönen, wenn genagelte Stiefel dröhnend aufs Pflaster schlagen, werden sich doch Gottes Recht und Gottes Gerechtigkeit durchsetzen. Gottes Reich wird kommen. Wir haben unseren Anteil daran, weil wir um Gottes Recht und Gerechtigkeit wissen und weil wir glauben und beten: Dein Reich komme, Herr,

dein Reich komme.