Sonntag, 16. Januar 2022

Auf Schatzsuche

Predigt zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 16. Januar 2022, über 1.Korinther 2,1-10



Liebe Schwestern und Brüder,


wir müssen über die Predigt sprechen.

Ab und zu muss es sein,

dass man nicht nur eine Predigt hört,

sondern auch darüber nachdenkt,

was eine Predigt ist, und wozu sie da ist.

So, wie man manchmal über das Fernsehprogramm spricht,

statt eine Sendung zu sehen,

weil sowieso nichts Vernünftiges kommt,

oder weil man sich freut,

dass endlich mal etwas Vernünftiges gesendet wurde.


Also, wozu ist eine Predigt da?

Paulus sagt: Um „das Geheimnis Gottes zu predigen.”

Später sagt er: „wir reden von der Weisheit Gottes,

die im Geheimnis verborgen ist.”

In der Predigt geht es also um Geheimnisse.

Hätten Sie das gedacht?

Mir war es bisher nicht bewusst,

dass ich „Geheimnisträger” bin.

Eine Predigt ist also weder ein Lehrvortrag

noch eine Unterhaltungssendung.

In ihr geht es um wichtige Dinge,

die nicht jede wissen darf,

nicht jeder wissen kann.

Es geht um Perlen, die man nicht vor die Säue werfen darf (Matthäus 7,6).


Geheimnisse haben in einer öffentlichen Veranstaltung,

wie sie ein Gottesdienst ist,

darum eigentlich nichts zu suchen.

Sie sind ja nicht für jede*n bestimmt,

sondern nur für einen auserwählten Kreis.

Gottes Geheimnis aber ist anderer Art.

Eigentlich ist es nämlich gar kein Geheimnis.

Jede darf, jeder soll es sogar wissen:

„Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht;

und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern”,

sagt Jesus (Matthäus 10,27).

Gottes Geheimnis soll verbreitet werden,

es soll unter die Leute.


Warum spricht Paulus dann von Gottes Geheimnis,

wenn es gar kein Geheimnis im üblichen Sinne ist?

Der Inhalt der Predigt, die Botschaft selbst, ist ein Geheimnis.

Die Predigt, auch wenn sie klar und einleuchtend ist,

spricht trotzdem über etwas Geheimnisvolles,

das nur Wenige verstehen.

Und diese geheimnisvolle Botschaft lautet:

Jesus Christus als Gekreuzigter.


Der gekreuzigte Messias - den Juden ist er ein Ärgernis.

Denn nach jüdischem Glauben wird der Messias, wenn er kommt,

das Friedensreich Gottes aufrichten.

Der Gedanke, dass der Messias zum Opfer wird,

ist eine Provokation.


Der gekreuzigte Messias - den Griechen ist er eine Torheit.

Denn es ist unvernünftig, dass ein Mensch,

der nicht einmal seinen eigenen Tod am Kreuz verhindern konnte,

den Tod besiegt haben soll (1.Korinther 1,23).


Gottes Geheimnis ist also nicht deshalb geheim,

weil es niemand wissen darf.

Es ist geheim, weil man es nicht verstehen kann.

Ja, weil es geradezu unvernünftig, unlogisch ist.

Darum helfen alle hohen Worte,

hilft alle Weisheit nichts:

man kann dieses Geheimnis nicht erklären -

sonst wäre es ja kein Geheimnis.

Klugheit und Schönheit der Predigt helfen nicht,

damit Sie, die Hörerinnen und Hörer der Predigt,

Gottes Geheimnis verstehen,

damit Gottes Weisheit zu Ihnen gelangt.


Aber es gibt ja noch den*), der predigt.

Vielleicht liegt es nicht so sehr an den Worten,

am Inhalt der Predigt,

sondern am Prediger selbst:

seinem Auftreten, seinem Charakter?

Wenn er ein freundlicher, sympathischer Mensch ist,

wenn man ihm gern zuhört,

wenn er unterhaltsam und klug predigt

und dem Volk dabei aufs Maul schaut,

wie Martin Luther sagte;

und wenn er dann auch noch vorbildlich seinen Glauben lebt,

dann müsste es doch funktionieren,

dass die Predigt Gottes Weisheit vermittelt.


Nein, sagt Paulus.

Wenn es auf den Prediger ankäme, würdet ihr mir glauben,

aber nicht Gottes Geheimnis.

Es geht in der Predigt nicht um mich,

auch wenn ich es bin, der sie ausrichtet.

Euer Glaube soll sich nicht an mir orientieren.

Deshalb komme ich zu euch in Schwachheit,

in Furcht und mit großem Zittern.

Ich bin nicht klug oder fromm,

ich bin sicher nicht klüger, nicht frommer als ihr.

Allenfalls weiß ich um meine Schwächen und Fehler.

Ich weiß um die Anmaßung und das Risiko,

die hinter dem Ansinnen stecken,

Gottes Geheimnis verkündigen zu wollen.

Ich mache auch kein Hehl aus meiner Schwäche.

Ich versuche nicht, mich gut zu präsentieren,

besser zu scheinen, als ich bin.

Denn in meiner Schwachheit wird Gott mächtig.


Das würde Paulus antworten.

Und er gibt auch gleich noch einen Maßstab an,

mit dem man seine und jede andere Predigt beurteilen kann,

ob sie wirklich Gottes Geheimnis ausrichtet

und nicht bloß Dönekens erzählt.

Dieser Maßstab ist der Beweis des Geistes und der Kraft.

Der Beweis des Geistes und er Kraft

ist kein weiterer Trick, den der Prediger beherrscht.

Als könne man beweisen, dass man von Gottes Geist beseelt,

von Gottes Kraft erfüllt ist!


Eine Predigt hat drei Personen zu tun:

mit Gott und seinem Wort,

dessen Geheimnis durch die Predigt einleuchten soll.

Mit dem Prediger, der dieses Geheimnis ausrichtet,

und es doch nicht ausrichten kann,

weil weder seine klugen Gedanken, sein gewinnendes Auftreten,

noch sein Lebenswandel es bewerkstelligen können,

dass Ihnen Gottes Geheimnis einleuchtet.

Deshalb braucht die Predigt die dritte Person.

Das sind Sie: die Hörerinnen und Hörer der Predigt.

Sie hören nicht bloß zu,

lassen sich nicht bloß berieseln,

wie man sich vom Fernsehprogramm berieseln lässt.

Sie machen mit bei der Predigt:

Sie erbringen den Beweis des Geistes und der Kraft.


Nun aber auch nicht so,

dass Sie ergriffen oder im Innersten getroffen sind.

Dass Sie gar in Ekstase geraten oder wie vom Donner gerührt sind,

nach der Predigt verwandelt, als ein anderer Mensch nach Hause gehen.

Es geht nicht um einen besonderen Effekt,

den die Predigt bei Ihnen verursachen muss, wenn sie gut sein soll.

Es geht vielmehr darum, dass Ihnen Gottes Geheimnis einleuchtet,

von dem Paulus spricht:

„Lass dir an meiner Gnade genügen;

denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig” (2.Korinther 12,9).


Paulus ist schwach und ängstlich,

weil er so Gottes Geist nicht im Wege steht.

Mit anderen Worten:

Es sind nicht seine Klugheit,

sein Wissen, seine Beredtsamkeit,

die seine Worte zu einer Predigt machen.

Es sind auch nicht sein Vorbild,

sein gutes Beispiel, sein fester Glaube.

Sondern es ist allein Gottes Geist,

der in, mit und unter seinem Wort

Gottes Weisheit hervorleuchten lässt.

So ist das bei jeder Predigerin, bei jedem Prediger.


Wenn Ihnen die Worte der Predigt einleuchten,

wenn aus ihnen Gottes Geheimnis hervorleuchtet,

ist das nicht das Verdienst der Predigt.

Höchstens in so weit,

dass es ihr gelungen ist,

Gottes Geist nicht allzu sehr im Wege zu stehen.


Überspitzt gesagt:

Gottes Geheimnis leuchtet Ihnen nicht wegen der Predigt ein,

sondern trotz der Predigt.

Denn ginge es bei der Predigt bloß ums Verstehen,

um Weisheit und schöne Worte,

dann hätten die Herrscher dieser Welt

den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.

Das hätten auch sie verstanden,

und dann hätten sie natürlich an Jesus geglaubt.


Das Geheimnis Gottes aber ist unverständlich.

Es ist anstößig und unvernünftig.

Darum kann man es nicht verstehen.

Es kann einem nur einleuchten.

Diese Erleuchtung bewirkt allein Gottes Heiliger Geist.

Diese Erleuchtung bewirkt der Geist bei Ihnen.

Dadurch kommen Sie ins Spiel,

die Hörerinnen und Hörer.

Darum sind Sie als Dritte im Bunde so wichtig,

ja, unverzichtbar für die Predigt.

Nicht, weil der Pastor jemanden braucht, der ihm zuhört.

Sondern weil nur durch Sie Gottes Geheimnis ans Licht kommt.


Als Hörerin oder Hörer der Predigt ist es Ihre Aufgabe,

Gottes Geist wirken zu lassen

oder ihm möglichst nicht im Wege zu stehen.

Man tut das, wenn man in der Predigt auf Gottes Weisheit hört.

Man tut das, indem man in der Predigt Gottes Geheimnis zu finden hofft,

wie man in den Wald geht, um Pilze zu finden

oder im Klee nach einem vierblättrigen Kleeblatt sucht.

Jesus erzählt im Gleichnis von einem Schatz im Acker

und von einer kostbaren Perle,

für die jemand alles gibt, was er hat (Matthäus 13,44-46).

Diesen Schatz, diese Perle gilt es zu finden.

Das heißt nicht, dass man sie in jeder Predigt

und bei jedem Prediger findet.

Aber ohne dieses Bemühen nützt die beste Predigt nichts.

Denn es spielt keine Rolle, wer predigt,

es spielt auch keine Rolle, wie gut oder schlecht die Predigt ist.

Es kommt nur darauf an,

den Geist wirken zu lassen,

der uns Gottes Geheimnis offenbart

und uns erleuchtet.

„Denn der Geist erforscht alle Dinge,

auch die Tiefen der Gottheit.”

Amen.


_____

*) Ich verwende hier und im Folgenden keine inklusive Form, weil ich beim Halten der Predigt als Mann vor der Gemeinde stehe.