Montag, 23. Mai 2022

beten und Bouillon

Predigt am Sonntag Rogate, 22. Mai 2022, über Lukas 11,1-14


Liebe Schwestern und Brüder,


der Künstler und Kinderbuchautor Janosch hat mehrere Geschichten über den kleinen Bären und seinen Freund, den kleinen Tiger, geschrieben. Eine dieser Geschichten heißt: „Komm, ich mach dich gesund, sagte der Bär”. In dieser Geschichte ist der kleine Tiger krank. Sein Freund, der Bär, kümmert sich um ihn und will ihn verwöhnen:

„Ich koch dir etwas Dolles“, sagte der kleine Bär, „sag mir mal deine Leibspeise!“⠀

„Springforelle mit Mandelkernsosse, Kartöffelchen und Semmelbröseln.“⠀
„Haben wir nicht“, sagte der kleine Bär, „sag was anderes.“⠀
„Eiernudeln mit Mandelkernsosse und Semmelbröseln“, sagte der kleine Tiger.⠀
„Haben wir auch nicht“, sagte der kleine Bär, „sag noch etwas anderes.“⠀
„Semmelbrösel“, sagte der kleine Tiger, aber die hatten sie auch nicht.⠀
„Sag doch mal: Bouillon!“, sagte der kleine Bär.⠀
„Ja, Bouillon“, rief der kleine Tiger, „das wollte ich haargenau sagen.“


Wenn es ums Beten geht, ist es ein bisschen so wie in dieser Geschichte: Das, um was man bittet, bekommt man meistens nicht. Statt dessen hat Gott etwas anderes für uns - etwas in der Art wie die Bouillon. Bouillon ist eigentlich genau das Richtige, wenn man krank ist. Trotzdem kann die Bouillon nicht mithalten mit einem Leibgericht. Vielleicht ist es so, dass Gott auch uns etwas gibt, was besser für uns ist als das, was wir uns wünschen - nur, dass es in unseren Augen eben kein Leibgericht ist, sondern bloß eine Bouillon.


Mit unseren Wünschen ist es eine verzwickte Sache. Das zeigt die Geschichte vom Sams, das jede Menge Wünsche zu vergeben hat - aber Herr Taschenbier wünscht sich immer das Falsche - bis er alle Wünsche vergeudet hat, die das Sams für ihn hatte.


Oder die Geschichte vom Hans im Glück, der unbefangen das Wertvolle, das er besitzt, in etwas eintauscht, das weit weniger wert ist, und dabei trotzdem glücklich bleibt: sie ist ein Beispiel dafür, dass unsere Wünsche nicht immer gut überlegt sind.


Oder die Geschichte vom Fischer und sin Fru, wo die Frau des Fischers nicht genug bekommen kann

und sich immer mehr wünscht, bis sie schließlich wieder in ihrem Pisspott sitzt; sie erzählt, wie unersättlich unsere Wünsche manchmal sein können.


Trotzdem sagt Jesus bei Lukas nicht, dass man sich mit seinen Wünschen nicht an Gott wenden sollte. Er sagt auch nicht, welche Wünsche erfüllt werden und welche nicht, sondern:

„wer da bittet, der empfängt;

und wer da sucht, der findet;

und wer da anklopft, dem wird aufgetan”.


Jesus ermuntert uns dazu, Gott mit unseren Wünschen in den Ohren zu liegen und dabei hartnäckig zu bleiben. Er zeigt am Beispiel des bittenden Freundes, dass man bekommt, was man braucht, wenn man beharrlich bleibt. Und er vergewissert uns durch das Beispiel der Eltern, die ihren Kindern nie eine Schlange statt eines Fisches, nie einen Skorpion statt eines Eis geben würden, dass wir von Gott nur Gutes erwarten dürfen.


Aber unsere Erfahrung mit dem Beten ist doch eine andere. In der Regel werden unsere Wünsche nicht erfüllt. Weder der nach einer besseren Zensur, noch der nach einem Lottogewinn. Und leider auch nicht unser Bitten für einen Menschen, der schwer erkrankt ist; unsere Bitte um Frieden, um ein Ende des Hungers in der Welt. Gott erfüllt diese Wünsche nicht. Gott wirkt keine Wunder, greift nicht ein, ändert nicht unser Schicksal, so hartnäckig wir auch darum bitten.


Also kann es doch nicht stimmen, was Jesus sagt, dass Beharrlichkeit zum Ziele führt, dass empfängt, wer Gott um etwas bittet, findet, wer sucht, und aufgetan bekommt, wer anklopft.


Oder ist es so wie in der Geschichte vom kleinen Bären und dem Tiger, dass Gott sehr wohl etwas für uns hat - nur eben nicht das, was wir gern hätten, sondern eben nur Bouillon? Und wenn es so ist, was wäre dann die Bouillon, die Gott uns geben will?


Lukas verrät es uns:

„Wenn ihr, die ihr böse seid,

euren Kindern gute Gaben zu geben wisst,

wie viel mehr wird euer Vater im Himmel

den Heiligen Geist geben, die darum bitten!”


Der Heilige Geist ist sozusagen die Bouillon in unserer Geschichte mit Gott. Und wie die Bouillon nicht gerade Begeisterung auslöst, so ist auch der Heilige Geist etwas, mit dem wir nichts rechtes anzufangen wissen. Was soll der Heilige Geist nützen, wenn ein lieber Mensch schwer erkrankt? Wie könnte er verhindern, dass man sich Sorgen macht um seinen Arbeitsplatz, um den Krieg in der Ukraine, um den Klimawandel, um einen erkrankten Menschen oder um die Zukunft? Wie sollte der Heilige Geist Frieden bringen, Regen für den ausgedörrten Boden; wie sollte er den Klimawandel aufhalten?


Liegt es daran, dass wir vielleicht nicht „richtig” beten, nicht intensiv, nicht hartnäckig genug? Oder dass wir nicht gut genug sind, nicht „würdig”, damit Gott unsere Bitte überhaupt anhört und erfüllt? Aber wer wäre dann überhaupt „würdig”? Trotzdem nennt uns Jesus „böse”:

„Wenn ihr, die ihr böse seid …”


Fühlen Sie sich böse? Ich nicht. Ich, wir meinen es doch gut! Wir geben und versuchen immer wieder unser Bestes, wir leisten unseren Beitrag für das Miteinander in der Gesellschaft, für den Schutz vor einer Krankheit wie Corona, für den Erhalt unserer Umwelt.


Doch der Klimawandel geschah nicht zufällig. Der Krieg in der Ukraine wurde in böser Absicht angezettelt; wir waren Zeug:innen seiner Vorbereitung und konnten, wollten es nicht glauben. In diesem Krieg ist, wie in jedem Krieg, viel Böses, ja, Schreckliches geschehen. Auch wenn Sie, wenn wir nicht böse sind: Im Menschen schlummert die Fähigkeit, böse zu sein, Böses zu tun. Auch in uns. Böses, das nicht nur vorsätzlich getan wird, sondern auch durch Unterlassung, aus Dummheit oder aus Desinteresse. Die Fähigkeit zum Bösen gehört zu unserem Menschsein wie die Tatsache, dass wir zwei Augen und zwei Ohren haben. Sie gehört ebenso zu uns wie die Fähigkeit, zu lieben und unseren Kindern Gutes zu tun - und manchmal auch wildfremden Menschen.


Die Fähigkeit zum Bösen gehört zu uns, sie gehört zu unserem Leben. Zu unserem Leben gehören auch Krankheit, Irrtum, Scheitern, Liebeskummer, Streit und der Tod. Sie bleiben uns nicht erspart, so sehr wir uns das wünschen. Wenn wir bitten, davon verschont zu werden, bitten wir im Grunde um ein anderes Leben, eine andere Welt als die, in der wir existieren. Eine andere Welt zu bekommen ist aber nicht möglich. Wir haben nur die, auf der wir leben; damit müssen wir auskommen. Eine andere Welt, das wäre nicht nur ein Wunder, es wäre weit mehr als das: Es wäre die Auflösung, die Vernichtung unserer Wirklichkeit - und damit auch all des Schönen und Guten, das wir erlebt haben, das wir gerade erleben und das wir noch erleben werden. Eine andere Welt zu bekommen, ist nicht möglich. Aber diese Welt zu ändern: das ist möglich.


Dazu dient das Gebet: Es verändert die Welt. Das Beten lässt uns erkennen, was in unserer Macht steht, und was nicht. Wir können nicht verhindern, dass wir krank werden, dass wir uns irren, andere verletzen und selbst verletzt werden. Aber wir können verhindern, dass Krieg ausbricht. Und wir können jemandem, der Krieg führt, in den Arm fallen. Wir können verhindern, dass die Temperatur weiter steigt und die Wüsten noch größer werden. Wir können verhindern, dass Menschen verhungern müssen. Das ist unsere Aufgabe, nicht Gottes. Es steht in unserer Macht, es zu ändern - denn es ist durch unser Tun dazu gekommen.


Das Beten zeigt uns, wo wir gefragt sind; es zeigt uns, was wir verändern können. Und es zeigt uns, wo wir uns ändern können, ändern müssen. Ja, das Beten verändert uns. Wenn wir Gott unsere Wünsche sagen, unsere Ängste und Sorgen, weitet sich unser Blick: Wir sehen mit Gottes Augen auf uns und unsere Mitmenschen. Mit Gottes liebevollen Augen, in denen wir Gott so recht sind, wie wir sind, und unsere Mitmenschen auch. Mit Gottes gerechten Augen, die dort hinsehen, wo Unrecht geschieht, wo Menschen leiden, ungleich behandelt werden; wo Gottes Schöpfung zerstört wird.


Darum sollen wir um den Heiligen Geist bitten. Der Heilige Geist hilft uns, in dieser Welt zu bestehen, die gleichzeitig unglaublich schön und unendlich grausam sein kann. Er lässt uns einen neuen Versuch wagen, wenn wir scheitern. Und noch einen. Und noch einen. Und noch einen. Er lässt uns Irrtümer erkennen und befreit uns von ihnen. Er gibt uns Zuversicht, Trost und Hoffnung, wenn wir krank sind.

Er gibt uns Kraft und Phantasie, uns und diese Welt zu verändern, gegen den Tod zu protestieren und ihm die Stirn zu bieten.


Wie er das macht? Indem er uns erkennen lässt und uns dessen versichert, dass wir Gottes Kinder sind,

seine Töchter und Söhne, die er über alles liebt. Seine Liebe zeigt Gott uns dadurch, dass sein Sohn sich dem Bösen ausgesetzt hat, zu dem wir Menschen fähig sind. Er hat es auf sich genommen und überwunden. Damit hat er uns deutlich gemacht, dass Gott auf unserer Seite steht: Gott ist für uns, nicht gegen uns. Gott will unser Leben, nicht unseren Tod. Gott will, dass wir glücklich sind, nicht, dass wir uns schuldig fühlen.


Gott steht auf der Seite des Lebens, der Liebe und der Barmherzigkeit. Gott verwandelt diese Welt und gibt uns so eine Zukunft. Gott verwandelt diese Welt durch uns, die wir von Gottes Geist verwandelt werden, jeden Tag neu.