Samstag, 24. September 2022

Erntezeit

Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis, 25. September 2022, über Galater 5,25-6,10:

Der zum Erntedank geschmückte Altar der Kirche in Kühndorf

Wenn wir durch den Geist leben, lasst uns dem Geist auch folgen. Lasst uns nicht solche werden, die eingebildet sind, die einander herausfordern, einander beneiden. Liebe Geschwister, wenn auch ein Mensch bei einer Verfehlung ertappt wird, helft ihr, die ihr geistlich seid, diesem, das Richtige zu tun im Geist der Sanftmut, wobei du darauf achtest, dass du nicht selbst in Versuchung kommst. Tragt einander die Lasten und erfüllt so das Gesetz Christi. Wenn nämlich einer meint, etwas zu sein - obwohl er nichts ist -, täuscht er sich selbst. Doch jeder prüfe sein eigenes Werk, und dann wird jeder für sein Werk allein Anerkennung erhalten und nicht für das eines anderen. Jeder wird nämlich seine eigene Last tragen. Es soll aber der Schüler dem Lehrer Anteil gewähren an allen Besitztümern. Täuscht euch nicht, Gott lässt sich nicht austricksen! Was ein Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer auf seinen Leib sät, wird von seinem Leib Vergänglichkeit ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten. Als die, die das Gute tun, lasst uns nicht müde werden. Zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht matt werden. Während wir also noch Zeit haben, lasst uns das Gute tun gegenüber allen Menschen, am meisten aber gegenüber den Glaubensgenossen. 
(Übersetzung nach Offene Bibel)


Liebe Schwestern und Brüder,

es ist an der Zeit, auf die Ernte dieses Jahres zurückzublicken. Doch erst am kommenden Sonntag feiern wir Erntedank. Dann werden wir für die Früchte der Felder und Gärten danken, um sie anschließend dankbar zu genießen. Heute schauen wir auf andere Früchte, eine andere Ernte. Paulus schreibt:

„Was ein Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer auf seinen Leib sät, wird von seinem Leib Vergänglichkeit ernten. Wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.”

Die Ernte, von der Paulus spricht, sind nicht die Früchte des Feldes und der Gärten, mit denen wir am kommenden Sonntag den Altar schmücken und deren Farben und Formen - und vor allem deren Duft, Geschmack und Nährwert - wir genießen. Paulus spricht von Früchten, die wir von uns selbst ernten, von unserem Körper. Was für eigenartige Früchte könnten das sein?

„Wer auf seinen Leib sät” - im erste„Wer auf seinen Leib sät”n Moment könnte man denken, es gehe um die Pfunde, die man seinem Körper aufbürdet, wenn man die Früchte der Ernte im Übermaß genossen hat. Zu viel Fett jedenfalls beschleunigt unsere Vergänglichkeit, das sagen Ärztinnen und Ärzte immer wieder. Aber zu Paulus’ Zeiten kannte man den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Herzkrankheiten noch nicht. Korpulenz war damals chic, ein Schönheitsideal, und ein Zeichen von Wohlstand.

„Wer auf seinen Leib sät” - das könnte auch all das meinen, was man für die Schönheit tut: Vom Schminken und Hairstyling über Besuch von Kosmetikerin und Fitnessstudio, dem Kauf der neusten Mode und neuer Schuhe bis hin zu Tätowierungen und Piercings. Tatsächlich kämpfen wir mit allen Mitteln gegen die Spuren unserer Vergänglichkeit, gegen graue Haare, Falten und erschlafftes Bindegewebe an.

Es wäre möglich, dass Paulus die Sorge um den Körper und unseren Versuch, ihn zu verschönern, als Eitelkeit, vielleicht sogar als verwerflich angesehen hat. Jedenfalls wurde es im Laufe der Kirchengeschichte oft so gesehen. Aber Paulus’ erste Gemeindeleiterin - heute würde man sagen: Pastorin - war Lydia, eine Purpurhändlerin aus Korinth. Sie verdiente ihr Geld mit dem Streben nach Schönheit. Sie handelte mit Purpur, dem Stoff, aus dem die Träume der Reichen und Mächtigen waren.

Was also könnte Paulus sonst meinen, wenn er vom „Säen auf den Leib” spricht? Seine Adressaten, die Galater, waren der Überzeugung, man könne und müsse etwas für seinen Glauben tun. Dieses Tun bestand zum einen darin, dass man sich als Mann beschneiden ließ, wie es im Judentum üblich war. Aus dieser Beschneidung folgte das Zweite: Das Leben nach den Geboten der Tora, der fünf Bücher Mose. Die Beschneidung war ein - nicht für alle, aber doch für den Mann selbst - sichtbares Zeichen, dass man sich Gott gegenüber verpflichtet hatte, diese Gebote zu halten. Nicht nur die bekannten zehn, sondern alle 613 Ge- und Verbote, die sich in der Tora finden. Dagegen schreibt Paulus an, deswegen schreibt er seinen Brief an die Galater.

Was kann man denn dagegen haben, dass jemand die Gebote der Tora befolgen will? Ist es nicht ein Zeichen, dass man seinen Glauben ernst nimmt, ein Zeichen der Frömmigkeit? Die Frage ist, warum die Gebote befolgt werden. Paulus hat nichts gegen die Nächstenliebe. Er selbst ermuntert dazu, allen Menschen Gutes zu tun. Aber dieses Gute ist eine Folge des Glaubens, nicht seine Voraussetzung. Die Galater dachten, sie müssten sich den Glauben verdienen, indem sie sich an alle Gebote halten. Beschneidung und Halten der Gebote, das sind nun einmal die Bedingungen dafür, zum Gott Israels zu gehören, dem Vater Jesu Christi.

Was kann Paulus, der doch selbst Jude ist, dagegen haben, dass Christen den Weg ihrer jüdischen Geschwister wählen?

Für Paulus hat mit Jesus etwas Neues begonnen. Eine neue Zeit ist angebrochen. Gott selbst hat sie heraufgeführt. Eine Zeit, in der Gott auch die zu seinen Kindern machen will, die es vorher nicht waren: die Gojim, die Heiden. Und während für die Menschen jüdischen Glaubens weiterhin die Beschneidung und die Gebote gelten, ist das für die Nichtjuden anders. Sie bekommen den Glauben geschenkt, ohne Vorbedingungen, ohne Verpflichtungen.

Wenn, wie die Galater meinen, der Glaube nur durch die Erfüllung der Gebote zu haben ist, wird Glaube zu einer Leistung, die man erbringen muss. Dann liegt es an mir, ob ich in einer Beziehung zu Gott stehe oder mich von Gott entferne oder gar abwende. Eine solche Haltung ist das Gegenteil dessen, wofür die Taufe steht: Dass wir ein für allemal zu Gott gehören und diese Zugehörigkeit nie verlieren können. Und das ohne jede Voraussetzung, ohne eigene Leistung, gratis, sola gratia, wie Luther später sagen wird.

Darum unterscheidet Paulus zwischen Leib und Geist, darum dringt er so sehr darauf, auf den Geist zu säen - also sein Vertrauen auf den Geist zu setzen. Nicht auf unsere Klugheit, unseren Verstand, sondern auf den Heiligen Geist, der uns bei der Taufe geschenkt wurde und der bewirkt, dass wir glauben können. Auf diesen Geist sollen wir vertrauen, nicht auf die eigenen Fähigkeiten.

Doch uns, die wir auf die Leistung sehen, die wir uns und andere nach ihrer Leistung beurteilen, fällt ein Glaube viel leichter, den man sich erarbeiten muss, als einer, den man umsonst bekommt. Wer sich den Glauben verdient hat, der hat einen Anspruch auf Gottes Beistand und Liebe, so denken wir. Von Gottes Wohlwollen, Gottes Gnade abhängig zu sein, macht nervös und unsicher: Was, wenn Gott es sich anders überlegt? Dabei macht genau das den Glauben aus: Dass wir darauf vertrauen und uns darauf verlassen, dass Gott uns liebt, ohne dass wir es verdient hätten, und dass er diese Liebe, dieses Ja zu uns, niemals zurücknimmt.

Es ist Erntezeit. Wenn wir nächste Woche, an Erntedank, die Früchte bewundern, die wir durch eigener Hände Arbeit, im Schweiße unseres Angesichts gesät und geerntet haben - und damit auch ein bisschen uns selbst und unsere Leistung bewundern - schauen wir heute sozusagen auf das, was von selbst  gewachsen ist: Vertrauen ist gewachsen. Das Vertrauen, dass wir Gottes Kinder sind und bleiben, für immer. Das Vertrauen, dass wir Gott recht sind, wie wir sind. Und dass unser Leben unter einem guten Stern, unter Gottes Segen steht.

Gebe Gott, dass wir von diesem Vertrauen eine reiche Ernte einfahren.

Amen.