Mittwoch, 16. November 2022

bereit sein ist alles

Ansprache am Buss- und Bettag, 16.11.2022, über Offb 3,1-6:

1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat: Ich kenne deine Werke, dass du den Ruf hast, du lebst, aber du bist tot. 2 Werde wach und stärke den Rest, der im Begriff steht zu sterben. Denn ich habe deine Werke nicht fertig vor meinem Gott gefunden. 3 Erinnere nun, was du empfangen und gehört hast und bewahre es und bekehre dich! Denn wenn du nicht wach bist, werde ich kommen wie ein Dieb, und du weißt nicht, zu welcher Stunde ich zu dir komme. 4 Aber du hast einige Leute in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben und die mit mir wandeln werden in weißen Gewändern, denn sie sind würdig. 5 Wer überwindet, der wird bekleidet werden mit weißen Gewändern, und sein Name wird nicht ausgelöscht aus dem Buch des Lebens. Und ich werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. 6 Wer Ohren hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! 

Ernst Barlach, Engel, im Barlach-Haus in Güstrow

Liebe Schwestern und Brüder,

harte, schwer erträgliche Worte sind das: „Ich kenne deine Werke, dass du den Ruf hast, du lebst, aber du bist tot.” Gerichtet sind sie an eine Gemeinde in einer Stadt, die es nicht mehr gibt. Sardes lag im Westen der heutigen Türkei, an einer wichtigen Straße zum ägäischen Meer. Warum sollten uns Worte kümmern an eine Gemeinde, die schon lange nicht mehr existiert?

Man könnte auch anders fragen: Warum sprechen uns diese Worte heute noch an, obwohl sie gar nicht uns gelten?

Sie haben sicher schon einmal ein Gespräch mit angehört, in dem über Sie geredet wurde, ohne dass die Gesprächspartner wussten, dass Sie dabei waren. Es ist unangenehm, Zeuge eines solchen Gespräches zu werden. Denn selbst, wenn nur Gutes gesprochen wird: Es wird über einen geredet, nicht mit einem. Wenn aber Schlechtes erzählt wird, verletzt einen das ganz besonders. Mehr, als wenn einem die Kritik direkt ins Gesicht gesagt würde. Man trägt es lange mit sich herum, denkt viel darüber nach - ob es stimmt, was sie an einem kritisieren. Oder wie sie darauf kommen, so etwas von einem zu denken.

Wir werden Zeugen eines Gespräches zwischen zweien, die über einen Dritten sprechen, den es heute nicht mehr gibt. Trotzdem fühlen wir uns angesprochen. Wir fühlen uns angesprochen, weil in diesem Gespräch Dinge verhandelt werden, die auch uns betreffen: Das Buch des Lebens, in dem auch wir geschrieben stehen wollen.
Die Ermahnung, wach zu sein - das erinnert an die sieben törichten und die sieben klugen Jungfrauen, die auf den Bräutigam warteten, der sich verspätet hatte. Als er endlich kommt, sind sieben bereit. Die anderen sieben sind es nicht und dürfen nicht zur Feier.
Es erinnert an die Jünger im Garten Gethsemane, die Jesus bat, mit ihm zu wachen; aber sie konnten die Augen nicht offenhalten.
„Du lebst, aber du bist tot” - diese Formulierung erinnert an das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, über den der Vater sagt: „dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden.”

All diese Dinge kreisen um die Frage: Wie bleibt man mit Gott in Beziehung? Eine Beziehung, die eng verbunden ist mit unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. In der Art dieser Beziehungen zeigt sich, wie es um unsere Gottesbeziehung bestellt ist.

„Du hast den Ruf, du lebst, aber du bist tot.” Der Tod, von dem hier die Rede ist, ist der soziale Tod: die Beziehungslosigkeit. Als der verlorene Sohn, der sich sein Erbe auszahlen lässt, noch Geld in der Tasche hat, hat er viele Freunde, die sich gern von ihm einladen und aushalten lassen. Als aber das Geld vertan ist, verliert er auch die angeblichen Freunde. Er ist ganz allein. So allein, dass es niemanden gibt, der ihm etwas zu essen geben will, ja nicht einmal jemanden, der ihm Schweinefutter anbietet.
Zum Glück ist es bei uns anders! Wir haben unsere Familie, Partnerin oder Partner, Geschwister, Kinder, Eltern. Wir leben in einem sozialen Netz, das uns hält.

Doch wenn wir in Beziehung zu den Menschen stehen, die wir lieben und die uns lieben, denen wir oder die uns verpflichtet sind, bedeutet das noch nicht, dass auch mit unserer Gottesbeziehung alles zum Besten steht: „Wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben?”, fragt Jesus (Matthäus 5,46-47). „Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Geschwistern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?“ 

Um mit Gott in Beziehung zu sein, ist mehr nötig. Wachheit ist gefragt. Ein Wachsein, das jederzeit damit rechnet, das Jesus kommt. Denn Jesus kommt überraschend und dann, wenn man nicht darauf vorbereitet ist, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Wie bereitet man sich auf einen Besuch vor, den man nicht planen kann?
Wenn man normalerweise Besuch erwartet, räumt man auf, bezieht das Gästebett, legt Handtücher heraus und kauft ein.
Wenn man Jesus erwartet, achtet man auf seine Mitmenschen, seine „Nächsten”, wie es im Gebot heißt „Liebe deine:n Nächste:n wie dich selbst.”

Die oder der Nächste, das sind nicht die Menschen, die uns am nächsten stehen - die Familie, die Freunde, der oder die Liebste. Wie Jesus im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter zeigt, sind unsere Nächsten die Menschen, die uns buchstäblich vor die Füße gelegt werden. Menschen, die wir nicht kennen. Fremde, um die wir normalerweise sogar einen Bogen machen würden.

Auf das Kommen Jesu bereitet man sich also vor, indem man die Augen aufhält nach Menschen, die bedürftig und in Not sind, wie der verlorene Sohn. Menschen, von denen Jesus sagt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern, das habt ihr mir getan.”
Wer Jesus erwartet, hält sich bereit für andere, denn in diesen Anderen, Fremden begegnet uns Jesus selbst.

Wir wissen, dass wir für unsere Nächsten bereit sein sollen. Denn wir waren selbst schon in ihrer Lage und haben uns gewünscht, jemand wäre bereit für uns, wäre da, als wir Hilfe brauchten. Deshalb fühlen wir uns angesprochen von Worten, die vor fast 2.000 Jahren an eine Gemeinde geschrieben wurden, die es heute nicht mehr gibt, und die doch heute noch genauso aktuell sind wie damals.

Amen.