Sonntag, 18. Dezember 2022

Grund ewiger Freude

Predigt am 4. Advent, 18.12.2022, über Philipper 4,4-7:

Freuet euch in dem Herrn allewege,

und abermals sage ich: Freuet euch!

Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen!

Der Herr ist nahe!

Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen

lasst eure Bitten in Gebet und Flehen

mit Danksagung vor Gott kundwerden!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.



Liebe Schwestern und Brüder,


„nun lach doch mal!” heißt es,

wenn der Gesichtsausdruck nicht zur Stimmung passt.

Man war in Gedanken woanders,

bei den Sorgen, die eine:n täglich begleiten;

bei einem Problem, das nach einer Lösung verlangt,

oder einfach nur ganz bei sich.


„Nun lach doch mal!”

Manche können das, auf Knopfdruck lachen.

Schauspieler:innen sowieso.

Aber gespielte Fröhlichkeit ist keine echte Freude -

die empfindet man ohnehin nur selten.

Jetzt, an Weihnachten, ist so eine Zeit.

Da kann man in Gesichter blicken, die vor Freude leuchten.


Echte, wahre Freude - was ist das überhaupt?

Muss man sie denn von der gespielten,

der aufgesetzten Fröhlichkeit unterscheiden?

Ist es nicht egal, ob die Freude echt oder aufgesetzt ist -

Hauptsache, lustig!?


Mir jedenfalls ist es nicht gleichgültig.

Dazu ist echte, wahre Freude ein zu seltener Gast bei mir.

Wann freut man sich schon mal von Herzen?

Wann ist man erfüllt von diesem warmen Gefühl,

das die Augen strahlen lässt und das Gesicht leuchten?

Das Dankbarkeit weckt für ein Geschenk,

für diesen besonderen Menschen,

für den einmaligen Moment in der Natur,

auf dem Wasser, im Theater oder Konzert?


Wie passt die wahre Freude, dieser seltene Gast,

mit Paulus’ Aufforderung zusammen, allezeit fröhlich zu sein?

Anders gefragt:

Wie soll Freude zur Lebenshaltung werden können,

wenn sie sich so selten einstellt?


Die Antwort auf diese Frage findet sich in den Worten

„in dem Herrn”.

„In dem Herrn”, das verweist auf eine Quelle der Freude,

die sich außerhalb unserer Reichweite befindet.

Eine Quelle, die wir nicht beeinflussen können,

die nicht in unserer Macht steht.


Die Freude, die Paulus meint, ist also keine,

die von außen in uns angestoßen wird,

durch besondere Erlebnisse,

oder meinetwegen durch die Aufforderung:

„Nun lach doch mal!”.


Es ist eine Freude, die von innen kommt,

aus uns selbst heraus.

Aber ohne, dass wir sie „gemacht” hätten.

Sie ist vielmehr die Antwort auf eine Erfahrung,

die wir mit dem Herzen machen.

Eine Erfahrung, die Paulus „in dem Herrn sein” nennt,

oder an anderen Stellen: „in Christus sein”.


Die Geburt des Christus-Menschenkindes,

die wir an Weihnachten feiern,

ist die Ursache dieser Freude.

Darum variieren die Lieder,

die wir in diesen Tagen singen,

Paulus’ Aufforderung in unterschiedlicher Weise.

In der Adventszeit sangen wir:

„Er ist die rechte Freudensonn,

bringt mit sich lauter Freud und Wonn” (EG 1,3)

oder „Ihr lieben Christen, freut euch nun,

bald wird erscheinen Gottes Sohn” (EG 6,1).

Heute werden wir zum Ausgang singen:

„Tochter Zion, freue dich!” (EG 13,1)

An Weihnachten wird es dann heißen:

„Freuet euch, ihr Christen alle” (EG 34,1),

„Nun singet und seid froh” (EG 35,1)

und natürlich „O du fröhliche” (EG 44,1).


Ein neugeborenes Menschenkind weckt Freude.

Man kann gar nicht anders,

als dieses bezaubernde Wesen aus ganzem Herzen anzuhimmeln.

Gestandene Erwachsene werden beinahe kindisch,

wenn sie einen Säugling sehen;

sie brabbeln „Dutzi, dutzi, du!”,

als wären sie nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Diese zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit

ist eine Folge wahrer Freude:

Sie überwältigt, lässt Stand, Rang und Namen vergessen.

Man verliert dabei unter Umständen sogar die Contenance

- und schämt sich kein bisschen dafür.


Doch nach durchwachten Nächten,

vollen Windeln und Erbrochenem auf der Schulter

bekommt diese Freude Risse.

Spätestens wenn aus dem wundervollen Wesen

eine freche Göre oder ein Rotzbengel geworden ist,

mischen sich in die Freude auch Ärger und Zorn.

Wenn man dann so richtig sauer ist,

fällt einem, wenn es gut geht, wieder ein,

wie man damals dahingeschmolzen ist vor Liebe

beim Anblick dieses kleinen Wunders.

Wie unglaublich lieb man es hatte - und immer noch hat.


Das beseitigt nicht die Ursache des Ärgers.

Aber es relativiert sie.

Der Ärger verliert nun nicht mehr sein Maß,

schießt nun nicht mehr übers Ziel hinaus,

weil man dem geliebten Menschen zwar die Meinung sagen,

ihm aber nicht wehtun möchte.

Genau das ist gemeint, wenn Paulus schreibt:

„Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen!”:

Wir erkennen, wenn es gut geht, in dem nervigen Nachbarn,

dem unhöflichen Jugendlichen, der unheimlichen Ausländerin,

dem fiesen Lehrer, der bedrohlichen Polizistin

den Menschen wieder, der wir selbst sind,

genauso liebenswert, genauso bedürftig der Liebe

wie wir.


Diese Liebe, die wir unseren Liebsten gegenüber empfanden

und hoffentlich immer noch empfinden

wird vom Kind in der Krippe in uns geweckt.

Es ist die Liebe, mit der es uns liebt.

Obschon noch ein schwacher, hilfloser Säugling,

lässt uns das Kind in der Krippe sehen und erfahren,

dass es unseretwegen zur Welt kam.

Um uns, Sie und mich, spüren zu lassen,

um es uns, Ihnen und mir, zu zeigen,

was wir einander mit Worten sagen:

Ich habe dich lieb.


Das Kind in der Krippe teilt es uns ohne Worte mit:

Ich habe dich lieb.

Du bist ein besonderer Mensch.

Dein Leben ist unendlich wertvoll.

Nicht, weil du soundso viel besitzt,

dies oder das geleistet hast.

Sondern weil ich dir dieses Leben geschenkt habe,

damit du Glück, Freude und Schönheit erfährst.

Damit du dich allezeit freuen kannst in mir.


Das Kind in der Krippe schenkt uns seine Liebe.

Wenn wir dieses Geschenk annehmen können,

wird es uns zu einer Quelle immerwährender Freude.

Was auch immer geschehen mag:

Wir sind Gott recht so, wie wir sind.

Unser Leben ist gelungen, ist vollkommen,

so bruchstückhaft, vergeblich oder eingeschränkt

es uns auch manchmal erscheinen mag.


„Freuet euch in dem Herrn allewege,

und abermals sage ich: Freuet euch!”

Wie man in Christus, der Quelle der Freude, lebt?

Paul Gerhard verrät es uns in seinem Weihnachtslied

„Ich steh an deiner Krippen hier”.

Dazu braucht es nur einen einzigen, innigen Wunsch:

„So lass mich doch dein Kripplein sein;

komm, komm und lege bei mir ein

dich und all deine Freuden” (EG 37,9).


Amen.