Samstag, 24. Dezember 2022

wir brauchen einander

Predigt am Hl. Abend, 24.12.2022, über Lukas 2,14

Blick in den Schweriner Dom zur Christmette


Liebe Schwestern und Brüder,


„Ehre sei Gott in der Höhe

und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“,


singen die Engel bei den Hirten auf dem Felde.

Friede auf Erden - das ist ein Wunsch,

den man das ganze Jahr über haben kann.

Seit dem 24. Februar, seit 10 Monaten, begleitet er uns dauerhaft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Millionen von Toten,

mit all den unglaublichen Grausamkeiten

gab es eine Vielzahl von Kriegen -

als hätten die Schrecken des Weltkrieges nicht gereicht,

den Schwur zu halten, den damals viele gelobten:

„Nie wieder Krieg!“


Wir haben uns daran gewöhnt,

dass immer irgendwo Krieg herrscht.

Aber seitdem ist uns kein Krieg so nahe gekommen,

keiner so nahe gegangen wie der,

der der Ukraine von Russland aufgezwungen wurde.

Um so dringender der Wunsch nach Frieden,

gerade an Weihnachten.


Wer könnte Frieden bringen an Weihnachten?


Knecht Ruprecht mit seinem Sack voller Äpfel,

Nuss und Mandelkern?

Er hat auch eine Rute bei sich,

um damit böse Kinder zu bestrafen.

Diese Art der schwarzen Pädagogik,

die den Willen der Kinder brechen

und ihnen den Willen der Erwachsenen aufzwingen will,

ist heute glücklicherweise verpönt.

Frieden ist mit der Rute nicht zu erreichen.


Der gutmütige, lachende, harmlose Santa Claus,

den wir bei uns „Weihnachtsmann“ nennen,

hat den rutenschwingenden Knecht Ruprecht abgelöst.

Der Weihnachtsmann ist für alle Geschenke zuständig,

die sich heute Abend unterm Christbaum finden:

X-Box und iPhone, Lego und Barbie,

Kuscheltier, Kuscheldecke, Kuschelkissen … -

Sie werden ja gleich sehen,

was der Weihnachtsmann Ihnen heute gebracht hat.

Das ganze Spektrum unserer Konsumgüter -

aber den Frieden, den bringt auch der Weihnachtsmann nicht.


Wer bleibt denn noch, uns an Weihnachten den Frieden zu bringen?

Das Christkind!

Auch das Christkind bringt Geschenke,

wie es im Gedicht von Anne Ritter heißt:

„Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde, das Mützchen voll Schnee,
mit rot gefrorenem Näschen.

Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her -


Das Christkind hat mit dem Christus-Menschenkind,

dessen Geburt wir heute feiern, nur den Namen gemein.

Ein Neugeborenes wäre nicht in der Lage,

durch den Schnee zu stapfen, der Kälte zu trotzen

und einen schweren Sack hinter sich her zu ziehen.

Dazu müsste es erst viele Jahre alt werden.


Ein neugeborener Säugling kann gar nichts tun.

Ein Neugeborenes ist angewiesen auf die Zuwendung seiner Eltern.

Es braucht Nähe, Wärme, Nahrung, Schutz, Liebe.

Es ist völlig abhängig.


Abhängigkeit - das ist etwas, was wir auf keinen Fall wollen.

Wir wollen das Gegenteil: Unabhängigkeit.

Unabhängigkeit ist für uns gleichbedeutend mit Freiheit.

Ein freies, selbstbestimmtes Leben

scheint nur führen zu können,

wer von niemandem abhängig ist,

wer auf niemanden Rücksicht nehmen muss.

Unabhängigkeit - das ist die Losung unserer Zeit.


Aber diese Unabhängigkeit ist eine Illusion.

Wir sind abhängig, und wir bleiben es unser Leben lang.

Im privaten Leben wie als Gesellschaft.

Als Einzelne können wir nicht leben

ohne den Schutz und die Absicherungen, die uns der Staat gewährt.

Wir brauchen die gewachsenen Strukturen der Gesellschaft:

wir brauchen Gesundheitsversorgung, Schulen, Geschäfte,

Banken, Versicherungen, Versorgungsbetriebe,

die uns Wasser und Strom liefern,

den Müll und das Abwasser entsorgen.

Wir brauchen die Liebe eines anderen Menschen,

brauchen Anerkennung, Lob, Respekt -

all das können wir uns nicht selbst geben.


Und als Staaten leben wir gemeinsam auf einem Planeten,

den wir nur gemeinsam retten können - retten müssen,

weil wir sonst zusammen untergehen.

Als Menschen unterschiedlicher Herkunft bereichern wir einander.

Wir erweitern unseren Horizont.

Damit entwickeln wir die Ideen, die es braucht,

um sich neuen Herausforderungen zu stellen.


Unabhängigkeit als Freiheit zu verstehen,

verkennt die Wirklichkeit´.

Unabhängigkeit als oberstes Ziel

ist eine groteske Form des Selbstbetruges.

Wir können nicht ohne andere Menschen leben;

wir können als Staat nicht ohne andere Staaten existieren;

wir können nicht ohne unsere Umwelt leben.


Das Christus-Menschenkind in der Krippe erinnert uns daran,

dass wir abhängig sind voneinander,

dass alle mit allen zusammenhängen.

Wenn man diese Abhängigkeit erkannt und begriffen hat,

versteht man, dass man sich selbst schadet, wenn man anderen schadet.

Das Leid anderer bedeutet, dass auch wir werden leiden müssen,

oder unsere Kinder.

„Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen,

das tut ihnen auch”, sagt Jesus.


Wer begriffen hat, dass alles mit allem zusammenhängt,

wird anderen, wird der Umwelt,

wird den Mitmenschen nicht schaden wollen.

Der Verzicht darauf, anderen zu schaden -

das ist der erste Schritt zum Frieden.


So also bringt das Christus-Menschenkind den Frieden:

Indem es sich uns ausliefert in seiner Schwachheit und Hilflosigkeit

und damit das Beste in uns weckt:

Unsere Liebe. Unser Mitgefühl. Unsere Hilfsbereitschaft.


„Friede auf Erden!”

Die Engel verkündigen die Weihnachtsbotschaft

und die Hirten, die zur Krippe eilen,

finden den Frieden auf Heu und auf Stroh.

Treten auch wir zur Krippe.

Lassen wir uns anrühren vom Christus-Menschenkind,

gestehen wir uns ein, dass wir abhängig sind von unseren Mitmenschen,

und freuen wir uns darüber!

Lassen wir uns bewegen zum Frieden. Amen.