Sonntag, 22. Januar 2023

Auf dem Weg des Glaubens

Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias, 22.1.2023, über Römer 1,17


Liebe Schwestern und Brüder,


„ich möchte Glauben haben”,

dichtete der Braunschweiger Pastor Eberhard Borrmann.

„Ich möchte Glauben haben,

der über Zweifel siegt,

der Antwort weiß auf Fragen

und Halt im Leben gibt” (EG Niedersachsen-Bremen Nr. 596).


Ja, so einen Glauben hätte ich auch gern.

Einen Glauben, den Jesus lobt,

wie den des Hauptmanns von Kapernaum:

„Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!”


Auch Paulus spricht vom Glauben

als Voraussetzung dafür, dass wir Gottes Gerechtigkeit erfahren:

„Gottes Gerechtigkeit wird im Evangelium offenbart

aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht:

Der Gerechte wird aus Glauben leben.”


„Aus Glauben zum Glauben” - was meint Paulus damit?

Einen Hinweis gibt das Bibelzitat, auf das er sich beruft:

„Der Gerechte wird aus Glauben leben.”

Paulus bezieht sich auf die Bibel,

wenn er vom Glauben spricht.

Der Glaube ist etwas, das man in der Bibel findet.

Was man in der Bibel findet, sind Geschichten vom Glauben,

wie das Evangelium vom Hauptmann von Kapernaum.

Oder Begriffe wie die, die Paulus

in seinem Brief nach Rom verwendet:

„Gerechtigkeit Gottes”, „Evangelium” oder eben „Glauben”.


Damit ist ausgeschlossen, dass der Glaube ein Gefühl ist -

ein Gefühl des Ergriffenseins

oder der „schlechthinnigen Abhängigkeit”,

wie F.D.E. Schleiermacher den Glauben beschrieb.

Das kann der Glaube auch sein,

aber für Paulus ist er kein Gefühl, nichts „Innerliches”.

Glaube ist etwas, das zu mir kommt, nicht aus mir,

wie es bei einem Gefühl der Fall wäre.

Der Glaube ist für Paulus der Ursprung der Gerechtigkeit Gottes.

Er ist Lebens-Mittel,

wenn nicht sogar die Voraussetzung für das Leben.

So erzählt es auch Matthäus:

Der Glaube des Centurio rettet seinem Knecht das Leben.


Kommt der Glaube aus der Bibel,

ist er nicht etwas, das wir „hervorbringen” oder „haben” könnten.

Wir finden den Glauben nicht in uns.

Er kommt zu uns sozusagen von außen, wie ein Brief oder Paket.

Jemand bringt uns den Glauben.

Es sind Menschen, die ihn uns bringen,

indem sie vom Glauben erzählen oder ihn uns vorleben.

Es sind die Gottesdienste, die wir miteinander feiern.

Es sind die biblischen Texte, die uns mehr spüren als wissen lassen,

was der Glaube ist.

Wir haben ein Gefühl dafür, was Glaube ist;

wir können glauben,

aber es fällt uns schwer, Glauben zu erklären.


Die erste Hälfte des Satzes „aus Glauben zum Glauben”

sagt uns: Wir „machen” den Glauben nicht,

wir finden den Glauben vor; er war vor uns da.


Der Glaube, den wir vorfinden,

hat die Bibel zum Inhalt, Gottes Wort.

Genauer gesagt:

Dass Gott uns durch die Bibel, durch sein Wort anspricht.

Gott spricht uns an: Das ist Anspruch und Zuspruch.


Anspruch ist z.B.:

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist

und was Gott von dir fordert, nämlich:

Gottes Wort halten und Liebe üben

und vor deinem Gott demütig sein” (Micha 6,8).


Ein Zuspruch ist ein Wort wie:

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage

bis an der Welt Ende” (Matthäus 28,20).


Dieser Anspruch und dieser Zuspruch kommen von außen auf uns zu:

„aus Glauben”.

Wenn wir uns angesprochen fühlen,

von Gott aufgefordert oder von Gott getröstet,

dann ist der Glaube bei uns angekommen:

„zum Glauben”.


Es ist Glaube, wenn biblische Worte uns ansprechen,

uns in Unruhe, in Bewegung versetzen:

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin,

Frieden zu bringen auf die Erde.

Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen,

sondern das Schwert” (Matthäus 10,34).


Und es ist Glaube, wenn wir Zuspruch und Trost durch sie erfahren:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;

ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein” (Jesaja 43,1).


Angesprochen wird man, wenn jemand direkt zu einem spricht:

„Entschuldigung, können Sie mir sagen, wie es zum Bahnhof geht?”

Aber das ist nicht mit dem „Anspruch” gemeint,

den Gottes Wort bei uns auslöst.

In diesem Moment spreche ich Sie an.

Das bedeutet aber nicht automatisch,

dass meine Worte Sie ansprechen.

Dass Worte uns ansprechen, zeigt unsere Reaktion:

Wir werden dazu bewegt, zuzustimmen oder zu widersprechen,

wir werden zum Nachdenken angeregt oder zum Handeln.

Wir empfinden etwas.


Kann man erklären, wie man es erreicht,

dass man von Worten angesprochen wird

oder dass man Zuspruch erfährt?

Ich habe es ja ganz offensichtlich nicht in der Hand,

dass meine Worte Sie ansprechen.

Etwas in uns muss den Anspruch oder Zuspruch annehmen.

Dieses Annehmen kann man nicht herbeiführen.

Das merkt man gerade dann, wenn man Trost braucht:

Da rauschen die besten und wohlmeinendsten Worte

manchmal an einem vorbei und berühren einen nicht.


Dass Gottes Wort bei uns ankommt,

kann man also nicht „machen”.

Glauben „hat” man nicht.

Man ist immer auf dem Weg zum Glauben.

Paulus’ Satz „aus Glauben zum Glauben”

beschreibt also eine Bewegung.

Beschreibt, woher wir kommen und wohin wir gehen.

Wir sind mit dem Glauben unterwegs.

Und das bedeutet, wir sind mit Gott unterwegs.

Gott, der uns in seinem Wort anspricht oder tröstet.

Der manchmal ganz nah ist

und manchmal schrecklich fern zu sein scheint.


So hat es schon das Volk Israel erlebt

auf seiner Wanderung von der Knechtschaft in Ägypten

ins Gelobte Land.

Der Glaube lag hinter ihnen:

Die Erkenntnis, dass sie in Ägypten in Unfreiheit gelebt hatten,

und die Erfahrung der Befreiung.

Und er lag vor ihnen:

Die Verheißung des Gelobten Landes,

in dem Milch und Honig fließen.

Auf dem Weg dorthin aber lagen Zweifel, Gottesferne,

Sinn- und Ziellosigkeit.

Und doch war Gott immer da, auf jedem Schritt der Wanderung.


Diese Geschichte vom Exodus des Volkes Israel,

seinem Weg der Befreiung aus der Knechtschaft ins Gelobte Land,

voller Anfechtungen, ist eine Geschichte des Glaubens.

Des Glaubens, der uns vorausliegt und zu uns kam.

Der Gott des Volkes Israel ist der Vater Jesu Christi ist unser Gott.

Und so, wie die Israeliten in der Wüste mit Gott unterwegs waren,

sind wir heute mit Gott unterwegs.

Der Glaube geht weiter, im wahrsten Sinne des Wortes,

geht weiter über die Generationen,

über Grenzen von Völkern und Nationen,

über alle Grenzen hinweg, die wir aufrichten,

um uns von anderen abzugrenzen;

um andere auszugrenzen, damit sie nicht bekommen, was wir haben,

nicht werden können, was wir sind.


Der Glaube kam zu uns, und durch uns kommt er zu anderen.

Ganz gleich, wer wir sind und wer diese anderen sind,

Griechen oder Barbaren, wie Paulus schreibt:

Es ist der eine Glaube an den einen Gott und Vater Jesu Christi,

den Vater aller Menschen.

Wir können diesen Glauben nicht besitzen,

deshalb können wir keinen Glauben „haben”.

Wir können ihn auch nicht verlieren,

denn er wird uns immer wieder neu geschenkt.

Er geht durch uns hindurch wie ein Strom.

Er setzt uns in Bewegung.

So sind wir mit Gott und allen Glaubenden unterwegs

auf dem Weg des Glaubens,

aus Glauben zum Glauben. Amen.