Sonntag, 8. Januar 2023

Ein Fingerzeig (2)

Predigt zur Einführung des Kirchengemeinderates am 1.Sonntag nach Epiphanias, 8.1.2023, über Johannes 1,29-34

Matthias Grünewald, Isenheimer Altar, Detail: Johannes der Täufer zeigt mit dem Finger


Liebe Schwestern und Brüder,


woran erkennt man jemanden, den man nie zuvor gesehen hat?


Das Problem taucht häufiger auf als man denkt.

Wenn man eine unbekannte Person

am Bahnhof oder Flughafen abholt.

Wenn ein:e Fremde:r seinen Besuch ankündigt, z.B. der Pastor.

Wenn man sich zu einem Blind Date verabredet.


Am Bahnhof oder Flughafen werden Schilder hochgehalten.

Das Gesicht des Pastors kennt man aus dem Gemeindebrief.

Beim Blind Date kann die Art, wie man sich zu erkennen gibt,

den Verlauf des weiteren Abends beeinflussen:

Kommt sie im knallroten Kleid,

er mit einer Rose zwischen den Zähnen?

Oder finden beide subtilere Zeichen, an denen sie sich erkennen?


Das Problem des Erkennens hat auch Christ:innen

zu allen Zeiten beschäftigt, nur andersherum:


Gott selbst kommt auf die Erde in seinem Sohn Jesus Christus.

Wieso hat das niemanden aufhorchen lassen?

Warum haben nur so wenige Menschen erkannt,

dass Jesus der Christus ist, Gottes Sohn?


Im Evangelium bekennt Johannes der Täufer,

dass sogar er Jesus nicht kannte.

Dabei war Jesus sein Cousin:

Elisabeth, seine Mutter, war mit Maria verwandt (Lukas 1,36).


Mit seinem Eingeständnis, dass er Jesus nicht kannte,

obwohl er ihn doch eigentlich kennen müsste,

wird ein Unterschied markiert:

Man konnte Jesus als Menschen kennen,

sogar mit ihm verwandt sein,

ohne zu wissen, dass er Gottes Sohn ist.

Seine Göttlichkeit war verborgen -

so sehr, dass selbst Nahestehende sie nicht bemerkten.

Sogar die Wunder, die Jesus tat, seine Heilungen

konnte man offenbar auch anders erklären als damit,

dass dabei Gott am Werk war.


Das beantwortet die Frage,

warum so wenige Jesus als Christus erkannten:

Die Tatsache, dass Jesus Gottes Sohn ist,

drängt sich einem nicht auf.

Sie spricht nicht für sich, leuchtet nicht unmittelbar ein.


Wer sich das nicht vorstellen kann,

braucht sich nur daran zu erinnern,

wie oft er/sie selbst den Wald vor lauter Bäumen nicht sah.

Wie oft ein Bild, ein Gedicht, ein Musikstück

unverständlich, rätselhaft, nichtssagend blieben, bis - - -

ja, bis jemand kam und uns zeigte,

was wir da sahen, lasen oder hörten.


„Siehe, das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt trägt”,

sagt Johannes und „outet” damit Jesus als Sohn Gottes.

Ohne seinen Fingerzeig,

wie ihn Matthias Grünewald so unübersehbar

auf dem Isenheimer Altar dargestellt hat,

wüssten wir nichts von Christus.


Über die Generationen hinweg

wurde dieser Fingerzeig weitergegeben.

Johannes, der Evangelist, hat ihn uns überliefert.

Matthias Grünewald hat ihn gemalt.

Johann Sebastian Bach hat ihn in der Matthäuspassion vertont.

Eltern und Großeltern,

Katechetin, Gemeindepädagoge, Kantor,

Religionslehrerin oder Pastor haben uns davon erzählt.


Von den ersten, die Jesus als Gottes Sohn erkannten

bis zu uns heute gibt es eine ununterbrochene Kette

von Zeug:innen, die wie Johannes auf Jesus zeigen und erklären:

„Siehe, das ist Gottes Lamm”.


Die Kirchenältesten, die heute in ihr Amt eingeführt werden,

stehen in dieser Kette, sind wichtige Glieder dieser Kette.

Sie sorgen, dass dieser Fingerzeig weitergegeben wird -

indem sie ihn selbst weitergeben,

durch ihre Art, wie sie leben und anderen begegnen;

indem sie als Lektor:in im Gottesdienst das Evangelium lesen;

indem sie öffentlich für ihren Glauben,

für diesen Dom, für diese Gemeinde einstehen.


Und indem sie in ihrem Amt als Kirchenälteste

die Voraussetzungen dafür schaffen und erhalten,

dass in diesem Dom, in dieser Gemeinde von Jesus erzählt werden kann.

- Dass Kinder im Kindergottesdienst, in der Christenlehre,

im Konfirmandenunterricht, im Kinder- und Jugendchor

davon hören und singen.

- Dass es im Gottesdienst die Möglichkeit

zur Begegnung mit dem Lamm Gottes gibt.

- Dass der Dom erhalten wird,

der selbst ein Fingerzeig ist

und der Raum, in dem wir Gott begegnen.

- Dass immer wieder neue Form dieser Begegnungen

ermöglicht und versucht werden,

wie z.B. die von Günther Uecker gestalteten Fenster.

- Dass Gehälter gezahlt, Arbeitsbedingungen geschaffen werden,

damit Mitarbeiter:innen wie die Sekretärin, der Gemeindepädagoge,

der Küster, der Kantor oder der Pastor

ihren Teil dazu beitragen,

auf ihre Art und mit ihren Gaben,

dass die Kette der Zeug:innen niemals abreißt.


Johannes zeigt uns Jesus als Lamm Gottes.

Aber er selbst weiß nicht, dass er es ist!

„Ich kannte ihn nicht”, sagt er gleich zweimal.


Damit wir in Jesus Gottes Lamm erkennen,

ist noch etwas nötig: Gottes Heiliger Geist,

der uns die Augen und das Herz auftut.

Gott selbst sorgt durch seinen Geist dafür,

dass wir seinen Sohn erkennen,

dass die Kette der Zeug:innen niemals abreißt,

indem er Menschen beruft und begeistert für die Sache Jesu.


Wir dürfen die Kirchenältesten,

die heute zu ihrem Dienst eingesegnet werden,

auch ansehen als Menschen,

die Gott berufen hat zu diesem Dienst,

für die Sache seines Sohnes begeistert hat.


Auch die Mitarbeiter:innen der Gemeinde

hat Gott zu ihrem Dienst bestimmt und berufen,

und sie haben sich rufen lassen.

Darum haben wir gleich zu Beginn des Gottesdienstes

Gott mit dem ersten Lied um seinen Heiligen Geist gebeten

für Christiane Lazarus und für die Kirchenältesten,

die jetzt eingeführt werden.


Gottes Geist begleite sie in ihrem Dienst für die Gemeinde.


Er erfülle sie, damit sie die Mühen der Ebene

und manche Durststrecke überstehen,

auf alte Fragen neue Antworten finden

und den Mut haben, neue Wege zu beschreiten.


Er begeistere sie, dass sie durch ihre Freundlichkeit,

ihr Engagement, ihre tägliche Arbeit

zeigen und davon erzählen, was sie bewegt,

sodass der Fingerzeig durch die Kette der Zeug:innen

weitergegeben wird.


Bis wir eines Tages mit eigenen Augen sehen,

was uns die Zeug:innen vor Augen malten. Amen.