Montag, 10. April 2023

süß-sauer

Liedpredigt am Ostermontag, 10.3.2023, über „Christ lag in Todesbanden” (EG 101)


Liebe Schwestern und Brüder,


wenn in Kriminalfilmen ermittelt wird,

sieht man manchmal, wie die Kripo-Beamten

Fotos vom Tatort, vom Opfer, von Verdächtigen,

wie sie Landkarten und Fundstücke an eine Pinwand heften.

Manchmal werden die einzelnen Zettel und Fotos noch

durch Striche oder rote Fäden verbunden.

Diese Mind-Map soll helfen, die Gedanken zu ordnen,

um den entscheidenden Hinweis auf den Täter zu finden.


Es scheint, als habe Martin Luther,

als er das Lied „Christ lag in Todesbanden” schrieb,

auch so eine Mind-Map erstellt -

wohl nicht an einer Pinwand;

die war damals noch nicht erfunden,

und die brauchte er auch nicht.

Sein Kopf war voller Bilder und Assoziationen aus der Bibel,

die sich fast wie von selbst zu diesem Lied ordneten.


Einigen dieser Bilder und Assoziationen des Liedes

möchte ich mit Ihnen nachgehen.

Am besten fangen wir gleich an,

indem wir die erste Strophe singen:


1. Christ lag in Todesbanden,

für unsre Sünd gegeben,

der ist wieder erstanden

und hat uns bracht das Leben.

Des wir sollen fröhlich sein,

Gott loben und ihm dankbar sein

und singen Halleluja, Halleluja.


Die erste Strophe fasst die Osterbotschaft zusammen.

Sie bildet sozusagen die Überschrift

und für Luther auch die Anknüpfung an seine Vorlage,

die er überarbeitet und ergänzt hat.

Genau genommen sind es zwei Vorlagen:


Einmal ist es das Lied „Christ ist erstanden”.

Man hört es aus der Melodie des Liedes heraus:

„Christ lag in Todesbanden” kling sehr nach

„Christ ist erstanden”,

ebenso klingt in der Zeile

„Des wir sollen fröhlich sein”

„des solln wir alle froh sein” an.


Die andere Vorlage ist die lateinische Sequenz

„Victimae paschali

laudes immolent Christiani” - zu deutsch:

„Dem Osteropfer bringen die Christen Lob dar”.


Eine Sequenz ist ein Lied,

das an das Halleluja nach der Epistel unmittelbar anschloss.

Im Mittelalter begann man,

das letzte „a” des Halleluja musikalisch auszuschmücken.

Die Kantoren, die den Gesang anführten, waren Musiker

und hatten Freude an der Ausgestaltung des Hallelujas.

Sie taten das, was man heute wohl

„improvisieren” nennen würde.

Dabei entstanden wunderbare Melodien.


Irgendwann kam jemand auf die Idee,

dass man diese Melodien nicht bloß auf dem Vokal „a” singen,

sondern ihnen einen Text unterlegen kann -

der natürlich zum Sonntag und zum Evangelium passen musste.

Die Sequenz war erfunden.

Im Mittelalter entstanden unzählige davon; 5.000 sind erhalten.

Die bekanntesten Sequenzen sind „Dies irae, dies illae”,

„Stabat mater” - dessen Vertonung durch Antonin Dvorak

die Kantorei im September aufführen wird -,

und eben „Victimae paschali laudes”.


Was diese Sequenz besonders macht,

ist das Duell zwischen Leben und Tod -

ein eindringliches Bild für das Paradox,

dass der am Kreuz Gestorbene, Christus,

den Tod überwindet.


Martin Luther setzt dieses Duell

in die Mitte seines Liedes, in die vierte Strophe.

In den zwei Strophen davor beschreibt er den Gegner Christi, den Tod;

die wollen wir jetzt singen:


2. Den Tod niemand zwingen konnt

bei allen Menschenkindern;

das macht alles unsre Sünd,

kein Unschuld war zu finden.

Davon kam der Tod so bald

und nahm über uns Gewalt,

hielt uns in seim Reich gefangen. Halleluja.


3. Jesus Christus, Gottes Sohn,

an unsrer Statt ist kommen

und hat die Sünd abgetan,

damit dem Tod genommen

all sein Recht und sein Gewalt;

da bleibt nichts denn Tods Gestalt,

den Stachel hat er verloren. Halleluja.


Das Lied ist fast unmöglich zu singen.

In der ersten Strophe passen die Reime noch unter die Melodie:

„…banden” und „erstanden”,

weil die Endungen „weiblich” sind:

Die Betonung liegt auf der vorletzten Silbe.

In allen anderen Strophen sind die Endungen „männlich”,

d.h. die Wörter sind nur einsilbig

oder die vorletzte Silbe ist unbetont:

„konnt“ - „Sünd”;

„Sohn” - „abgetan”.

Dadurch passen Text und Melodie nicht mehr zusammen.


Luther hat das Lied so gestaltet,

dass es sieben Strophen hat und jede Strophe sieben Silben

(mit Ausnahme der jeweils letzten; die hat acht).

Die Form des Liedes war ihm wichtiger als die Singbarkeit.

Vielleicht wollte er auch, dass man beim Singen „stolpert”,

damit man den Text nicht gedankenlos heruntersingt,

sondern darauf achtet, was man singt.


Wenn es in der 2. Strophe heißt, dass der Tod „bald” kam,

heißt das nicht, dass er schnell kam.

Im Mittelalter bedeutete „bald” auch stark, kräftig, übermächtig.

So steckt es noch in dem Wort „Raufbold”:

Das ist einer, mit dem man sich besser nicht anlegt.

Der Tod bekommt durch die Sünde Macht über uns,

wird übermächtig, sodass wir ihm nicht entrinnen können.


In der 3. Strophe nimmt Jesus die Sünde weg

und nimmt damit dem Tod seine Macht.

Ohne Sünde ist der Tod machtlos.

Jesus hat ihm mit der Sünde seinen „Stachel” gezogen.

Der Tod kann uns nicht mehr weh tun.

So verspottet ihn Paulus im 1.Korintherbrief (15,55):

„Der Tod ist verschlungen in den Sieg.

Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?”


„Der Tod ist verschlungen in den Sieg” -

diese Zeile kommt in der zentralen vierten Strophe vor,

die wir jetzt singen wollen:


4. Es war ein wunderlich Krieg,

da Tod und Leben rungen;

das Leben behielt den Sieg,

es hat den Tod verschlungen.

Die Schrift hat verkündet das,

wie ein Tod den andern fraß,

ein Spott aus dem Tod ist worden. Halleluja.


Wer gestern früh in der Ostermette war,

erinnert sich an das Bild vom Höllenrachen

auf dem Loste-Altar, das wir betrachtet haben.

Der Höllenrachen verschlingt die Toten -

die Christus in der Osternacht wieder befreit.

Den Höllenrachen hindert er daran,

jemals wieder zuzuschnappen,

indem er ihm eine Maulsperre verpasst.


In seiner ersten Predigt am Ostersonntag 1524,

dem Jahr, in dem er dieses Osterlied dichtete,

legt Martin Luther den Satz aus,

„der Tod ist verschlungen in den Sieg”:


„Paulus sagt nicht: Christus hat die Sünde weggeworfen,

sondern: er hat sie verschlungen (1.Kor 15,55).

Das hat drei Tage gedauert.

Vor Gott wars, als wenn ich einen Tropfen Wasser

in ein loderndes Feuer schütte;

es scheint, als müsse der Tropfen verschwinden.

So meinte man auch hier, Christus müsse vergehen,

aber er steht auf und wird der Herr aller Dinge.

Hosea sagt (13,14): Tod, ich will dein Tod sein.

Das ist ein feines Wort ‚ich werde des Todes Tod sein’,

ich will nicht töten wie Pilatus und Herodes,

sondern machen, dass der Tod überwunden wird.”


Christus hat den Tod nicht getötet;

dann hätte er den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Hätte er den Tod getötet, wäre der Tod immer noch mächtig.

Statt dessen hat er ihn ausgehungert,

indem er die Sünde wegnahm, die ihn stark machte.


Martin Luther scheint viel Freude

an diesem Bild des Essens zu haben.

Er kommt in den letzten Strophen darauf zurück.

Lassen Sie uns die letzten drei Strophen singen:


5. Hier ist das recht Osterlamm,

davon wir sollen leben,

das ist an des Kreuzes Stamm

in heißer Lieb gegeben.

Des Blut zeichnet unsre Tür,

das hält der Glaub dem Tod für,

der Würger kann uns nicht rühren. Halleluja.


6. So feiern wir das hoh Fest

mit Herzensfreud und Wonne,

das uns der Herr scheinen lässt.

Er ist selber die Sonne,

der durch seiner Gnaden Glanz

erleucht’ unsre Herzen ganz;

der Sünden Nacht ist vergangen. Halleluja.


7. Wir essen und leben wohl,

zum süßen Brot geladen;

der alte Sau’rteig nicht soll

sein bei dem Wort der Gnaden.

Christus will die Kost uns sein

und speisen die Seel allein;

der Glaub will keins andern leben. Halleluja.


Das Osterlamm erinnert an den Auszug aus Ägypten:

Kurz vor ihrer Befreiung aus Ägypten

feierten die Israeliten das erste Passa.

Jeder Haushalt musste dafür ein Lamm schlachten,

so hatte es Gott geboten.

Das Lamm durfte nicht gekocht,

es musste über dem offenen Feuer gebraten werden.

Mit dem Blut des Lammes sollten die Israeliten

die Türbalken an ihrer Haustür markieren.

In der Nacht sollte nämlich die 10. und schlimmste Plage

über die Ägypter hereinbrechen: Die Tötung der Erstgeburt.

Der Würgeengel würde durch die Straßen gehen

und in jedem Haus, das nicht mit dem Blut bezeichnet war,

den Erstgeborenen töten.


Nachdem sie diese furchtbare Plage

Dank des Blutes an ihrer Tür überstanden hatten,

mussten die Israeliten sich Hals über Kopf auf den Weg machen.

Den Teig, den sie als Sauerteig angesetzt hatten,

mussten sie ungesäuert mitnehmen

und unterwegs als Fladenbrot, als Matzen, backen.


Die Anspielung auf das gebratene Passalamm

ist im Original der 5. Strophe viel deutlicher:


„Hie ist das recht Osterlamm
davon Gott hat geboten.
Das ist an des Kreuzes Stamm
in heißer Lieb gebraten.”


Das war den Späteren doch zu drastisch,

darum haben sie es abgemildert zu

„in heißer Lieb gegeben”.

Aber eigentlich ist es ein sehr eindrückliches Bild,

dass sich Christus in seiner Liebe zu uns selbst verzehrt,

sich als Lamm gebraten hat.


Und dass wir Christus „essen”, ist uns eigentlich auch nicht fremd:

„Dies ist mein Leib”, sagt Jesus über das Brot beim Abendmahl.

Es ist ein süßes Brot.


Und noch einmal kehrt sich der Gedankengang um,

wenn Luther das Bild vom Passamahl hinter sich lässt

und von der geistlichen Speise spricht:

„Christus will die Kost uns sein

und speisen die Seel allein”.

Denn im 1.Korintherbrief, auf den Luther hier anspielt,

heißt es (5,6b-8):


„Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?

Darum schafft den alten Sauerteig weg,

auf dass ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid.

Denn auch unser Passalamm ist geopfert, das ist Christus.

Darum lasst uns das Fest feiern nicht mit dem alten Sauerteig,

auch nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit,

sondern mit dem ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit.”


Wir sind der Teig, aus dem das süße Brot gebacken wird.

Es liegt auch an uns, ob wir uns und anderen

das Leben sauer oder süß machen.


Wir feiern das Fest der Auferstehung.

Und wenn wir wollen, feiern wir es nicht nur heute.

Unser ganzes Leben kann ein Fest sein,

wenn Jesus, unsere Sonne, unser Herz mit seinem Licht erfüllt.

Nehmen wir seine Einladung mit in unseren Alltag.

Und wenn wir sauer werden wollen, erinnern wir uns an das Fest,

zu dem uns Jesus eingeladen hat.

Und vielleicht probieren wir dann,

ob wir wirklich sauer werden müssen

oder ob wir nicht auch süß sein können.