Sonntag, 7. Mai 2023

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Predigt am Sonntag Kantate, 7. Mai 2023, über 1.Samuel 16,14-23


Liebe Schwestern und Brüder,


die Lage, in der Saul sich befindet, ist aussichtslos:

Gottes Geist hat ihn verlassen.

Saul spürt, dass seine Beziehung zu Gott sich verändert hat.

Statt Begeisterung empfindet er nun Bedrückung.

Gott beseelt und beflügelt ihn nicht mehr,

Gott macht ihm zu schaffen.


Das 1. Samuelbuch erklärt diesen Sinneswandel Gottes damit,

dass Saul nicht tat, was Gott ihm befohlen hatte.

Gott war von Saul enttäuscht.

Für ihn war er als König untragbar geworden.

Darum wurde das Königtum von Saul genommen und David gegeben.

Unmittelbar vor dem Predigttext wird erzählt,

wie Samuel zu Isai kommt, sich dessen Söhne zeigen lässt

und schließlich David, den Jüngsten, zum König salbt.

David kommt inkognito als Gesalbter,

als heimlicher neuer König an den Hof des König Saul.


Eine solch brüske Abkehr Gottes aus Enttäuschung

wird auch an anderer Stelle der Bibel beschrieben.

Am Anfang der Sintflutgeschichte heißt es:


„Als aber der Herr sah,

dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden

und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar,

da reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden,

und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach:

Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde.”


Es klingt so, als sei es mit Saul genauso:

Gottes Erwartungen an Saul wurden enttäuscht, darum lässt er ihn fallen,

ohne ihm eine zweite Chance zu geben, wie er sie später David gewährt.


Aber hier geht es nicht um Gott, sondern um Saul.

Saul, der sich in einer ausweglosen Situation wiederfindet.

Gott hat sich nicht von Saul abgewandt.

Aber Saul empfindet es so;

er fühlt sich von einem bösen, strafenden Gott heimgesucht.


Das Gefühl, in einer Sackgasse festzustecken,

vom Leben, vom Schicksal oder von Gott benachteiligt

oder sogar bestraft zu sein,

ist auch manchen von uns nicht fremd.

Alles hat sich gegen eine:n verschworen.

Immer hat man das Nachsehen, wird man benachteiligt.

Alle anderen haben Glück, man selbst geht aber immer leer aus.

Wenn dieses Gefühl der Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit überhand nimmt,

spricht man von einer Depression.

Wer an einer Depression erkrankt, fühlt sich genauso ohnmächtig wie Saul

und könnte wohl auch einem bösen Geist die Schuld geben.


Es muss aber nicht gleich so schlimm kommen.

Die Schwester der Depression ist die Schwermut,

in die man manchmal verfällt,

in der man aber nicht gleich versinkt.

Aus der Schwermut kann man wieder herausfinden.

Dabei hilft, wie der Predigttext zeigt, die Musik.


Schwermut, das ist eine gedrückte,

eine bedrückende Stimmung, eine Ver-Stimmung.

Im Deutschen ist die Stimmung mehrdeutig:

Sie beschreibt eine Atmosphäre, z.B. die Abendstimmung.

Sie beschreibt, wie man sich fühlt, wie man gestimmt ist.

Und man bezeichnet mit der Stimmung den Wohlklang eines Musikinstrumentes

wie der Harfe, die David spielt.

Wenn ein Instrument gestimmt ist, klingt es schön und „richtig”.

Wenn es verstimmt ist, kann es nicht nur einem musikalischen Menschen

die gute Laune verderben.


David ist bei Saul als Stimmungsmacher angestellt.

Mit seinem Instrument sorgt er dafür, dass Sauls Stimmung sich aufhellt.

Seine Verstimmung vergeht; Saul wird durch Davids Harfenspiel besser gestimmt.

Das liegt sicher daran, dass David sein Instrument beherrscht

und dass er es gestimmt hat.

Katzenmusik hätte Saul nicht geholfen.


Aber auch die schönste Musik hellt nicht automatisch eine düstere Stimmung auf.

Es muss noch etwas dazukommen.


Chorsänger:innen lernen, auf die anderen im Chor zu hören.

Und auf den Kantor, der den Einsatz gibt.

Bevor man zu singen beginnt, stimmt man ein in den Ton, den er angibt.

Erst, wenn sich alle auf denselben Ton eingestimmt haben,

stellen sich Einklang und Harmonie ein.


Stimmt man in einen Ton, eine Melodie ein, macht man sich diese Musik zu eigen.

Nimmt sie in sich auf, wird durchlässig dafür, um sie dann weiterzugeben.

Wer in eine Melodie einstimmt, kann von ihr ergriffen werden.

Jede:r, die schon einmal einen Ohrwurm hatte, weiß, was ich meine.

Musik kann ergreifen, und sie kann auch verändern.

Darum drehen manche den Lautsprecher auf, bis sie den Bass im Bauch spüren:

Sie lassen sich von der Musik durchfluten und mitreißen,

lassen die Musik wie eine Dusche alles wegspülen, was sie belastet oder beschäftigt.


Ob man sich so passiv von der Musik ergreifen und umstimmen lässt,

oder ob man aktiv in die Musik einstimmt und die Melodie mitsingt:

Musik verändert die Stimmung und kann auch aus der Schwermut befreien.

Musik kann die Mauern, in die wir uns eingeschlossen fühlen

oder die wir selbst um uns gezogen haben, verflüssigen, rissig werden lassen,

sogar zum Einsturz bringen.

So haben vielleicht auch die Posaunen von Jericho die Mauern der Stadt

nicht durch ihre Lautstärke eingerissen,

oder weil die Töne so schrecklich schrill klangen, dass die Steine dadurch zerplatzten.

Sondern weil die Musik die Blockaden löst, die uns von Gott trennen -

oder mit denen wir uns von Gott trennen -,

und Gott dadurch wirken, Wunder wirken kann.


David erreicht mit seiner Musik, dass der böse Geist Saul verlässt.

Vielleicht aber war es genau andersherum:

Durch Davids Musik findet Saul zu der Begeisterung zurück,

die ihn früher mit Gott verbunden hat.


Sauls Tragik besteht darin, dass er sich mit David unwissentlich

seinen Nachfolger ins Haus geholt hat.

Er tritt mit David in eine Konkurrenz, bei der er nur verlieren kann.

Als König hat Saul keine Zukunft mehr - die gehört David.

In seiner Beziehung zu Gott dagegen ist noch alles möglich.

Es müsste Saul nur gelingen, das Gefühl loszuwerden,

dass sich alles gegen ihn verschworen hat.

Diesen Stimmungswandel kann die Musik herbeiführen.

Sie kann Mut machen, Verfestigungen lockern,

sodass neue Möglichkeiten in den Blick kommen.

Sodass Gott wieder in den Blick kommt und man erkennt:

Er ist nicht Gegner oder Feind, sondern Freund.

Er könnte Wunder wirken, wenn man ihn ließe.


Was die Musik nicht leisten kann: Dieses Wunder zu wirken.

Das vermag nur Gott.

Damit Gott wirken kann, bedarf es nur eines Schrittes aus dem Kreis heraus,

den die Schwermut gezogen hat.

Die Musik kann diesen Kreis aufbrechen.

Den Schritt heraus, den muss man selber gehen.