Sonntag, 28. Mai 2023

mit den Augen Gottes

Predigt am Pfingstsonntag, 28. Mai 2023, über 1.Korinther 2,12-16:

Wir haben nicht den Weltgeist empfangen,

sondern den Geist, der von Gott kommt,

damit wir erkennen, was uns von Gott geschenkt wurde.

Was wir reden, sagen wir nicht mit Worten,

die durch menschliche Weisheit gelehrt wurden,

sondern in Worten, die der Geist uns lehrte,

indem wir Geistliches geistlich deuten.

Ein diesseitig orientierter Mensch nimmt nicht an,

was von Gottes Geist kommt.

Für ihn ist es Unsinn, und er kann es nicht verstehen,

weil es geistlich beurteilt wird.

Ein geistlicher Mensch beurteilt alles,

wird aber selbst von niemandem beurteilt.

Denn „wer hat den Geist des Herrn erkannt,

dass er ihn belehrte?“ (Jesaja 40,13)

Wir aber haben den Geist Christi.



Liebe Schwestern und Brüder,


am vergangenen Sonntag sind elf Konfirmand:innen

hier im Dom konfirmiert worden.

Bei solchen Anlässen stellt sich die Frage besonders,

die eine:n immer wieder einmal ins Grübeln bringt:

Was soll man schenken?


Bei der Konfirmation ist die Antwort ziemlich leicht:

Geld ist als Geschenk immer willkommen.

Doch wer eine:r Konfirmand:in nahe steht,

gar Patentante oder Patenonkel ist,

gibt sich nicht mit einem Geldgeschenk zufrieden,

sondern möchte etwas Besonderes schenken.

Etwas, das die - im Idealfall herzliche - Beziehung spiegelt,

die man zu seinem Patenkind hatte.

Etwas, das hilfreich ist für den zukünftigen Weg ins Leben,

das Orientierung gibt und an die Schenkende erinnert.


Hat man dann nach langem Überlegen und Suchen

das passende Geschenk gefunden,

stellt sich die Frage, ob die Beschenkte auch würdigen wird,

was man sich an Gedanken und Mühe damit gemacht hat;

ob ankommt, was man mit dem Geschenk sagen will.

Darum wird manchmal vorsichtshalber

eine Karte oder ein Brief geschrieben und beigelegt,

als Beipackzettel oder Gebrauchsanleitung

die mit Worten sagt, was das Geschenk allein

womöglich nicht ausdrücken kann.


Wir hatten zwar nicht Konfirmation -

jedenfalls ist sie bei den meisten von uns eine Weile her -,

aber auch wir bekamen etwas geschenkt.

Daran erinnert uns das Pfingstfest,

und daran erinnert uns der Predigttext.

Gott hat uns beschenkt, schreibt Paulus.

Paulus sagt nicht, was Gott uns geschenkt hat.

Offenbar versteht es sich aber nicht von selbst.

Darum braucht dieses Geschenk

einen Beipackzettel, eine Gebrauchsanleitung -

nicht in Form eines Briefes,

sondern in Gestalt des Heiligen Geistes.

Durch Gottes Geist, so schreibt Paulus,

erkennen wir, was uns von Gott geschenkt wurde.


Dabei ist der Geist Gottes selbst eine Gabe, ein Geschenk -

das feiern wir ja heute an Pfingsten.

Muss hier etwa ein Geschenk das andere erklären?

Das erinnert an den Bauern, der den Jockel ausschickt,

er soll den Hafer schneiden.

Weil der Jockel nicht tut, was er soll,

schickt ihm der Bauer den Pudel hinterher,

der ihn an seine Aufgabe erinnern soll.

Aber auch der Pudel tut nicht, was er soll,

und so schickt der Bauer den Knüppel,

das Feuer, das Wasser, den Ochsen usw.,

bis es ihm schließlich zu bunt wird

und er selbst dafür sorgt, dass sein Auftrag ausgeführt wird.


Uns wird der Heilige Geist hinterher geschickt,

um das erste Geschenk Gottes zu erklären.


Was ist das für ein Geschenk,

das es uns erst erklärt werden muss?

Anscheinend haben wir nicht einmal bemerkt,

dass wir etwas von Gott geschenkt bekamen.

Der Heilige Geist erklärt es uns nicht nur,

er lässt uns überhaupt erst einmal das Geschenk erkennen.


Im Römerbrief schreibt Paulus (Römer 1,18-20):

„Die Menschen wollten Gottes Wirklichkeit nicht wahrhaben.

Denn eigentlich hätten sie Gott erkennen können,

weil er den Menschen etwas von sich gezeigt hat:

Gott, der Unsichtbare, hat die Welt geschaffen.

Und wenn man vernünftig nachdenkt,

kann man von der Schöpfung, die man sieht,

auf den Schöpfer, den man nicht sieht, schließen

und erkennen, dass er ewig, mächtig und göttlich ist”

(Klaus Berger, Das Neue Testament, S. 151).


Diese Welt ist von Gott geschaffen, schreibt nicht nur Paulus -

die ganze Bibel erzählt davon, dass Gott der Schöpfer ist.

Die Welt ist seine Schöpfung,

Gott hat sie uns geschenkt, wie er uns das Leben geschenkt hat.

Das ist das Geschenk, das man nicht von selbst erkennt.

Weil die Orientierung am Diesseits den Blick dafür verstellt.

Weil man nicht erkennt, was die Welt in Wahrheit ist,

wenn man nicht mit Gott dem Schöpfer rechnet,

nicht an Gott, den Schöpfer glaubt.


Wir kennen das von der Kunst.

Von einem abstrakten Kunstwerk sagen manche:

Was soll das darstellen? Das ist doch keine Kunst!

Es sind nicht nur Banausen, die das sagen.

Wir selbst haben wohl schon vor einem Kunstwerk gestanden

und gerätselt, was es darstellen, was es uns sagen soll.

Eine Gebrauchsanleitung in Form eines Kunstführers,

eines erklärenden Textes zeigte uns, was zu sehen war.

Mit einem Mal erkannte man etwas.

Sobald sich diese Erkenntnis einstellt,

erkennt man auch andere Werke als Kunst,

die man vorher keines Blickes gewürdigt hat.


Das gilt nicht nur für abstrakte Kunst.

Vincent van Goghs Bilder galten zu seinen Lebzeiten

nicht als Kunstwerke.

Selbst Kunstexperten - oder gerade die Kunstexperten -

sahen in ihnen nur Stümperei,

die verunglückten Versuche eines Ungebildeten.

Heute sind van Goghs Werke die teuersten Gemälde der Welt.

Natürlich sagt der Preis eines Kunstwerkes

nichts über seinen wahren Wert aus.

Aber dass wir heute anders über Kunst denken

und z.B. die Arbeiten von Menschen mit einer Behinderung

als Kunstwerke erkennen und anerkennen können,

und dass es heute abstrakte Kunst gibt,

haben wir van Gogh zu verdanken.


Nicht selten ist eine Gebrauchsanweisung, eine Erklärung nötig,

damit man versteht, was man sieht und womit man es zu tun hat.

Das gilt auch für den Dom, dessen Einrichtung,

dessen „Prinzipalstücke”, wie sie Pastor Mischok nennt,

von immer weniger Menschen erkannt und verstanden werden.

Ja, Bedeutung, Sinn und Zweck dieses Gotteshauses selbst

sind vielen Menschen inzwischen schleierhaft.


Das gilt erst recht für unsere Welt.

Es macht einen gewaltigen Unterschied,

ob man die Welt als Materiallager sieht,

das einem beliebig zur Verfügung steht

und mit dem man tun und lassen kann, was man will -

oder ob man begreift, dass sie Gottes Schöpfung ist,

die uns zu treuen Händen anvertraut wurde.

Die Welt gehört uns nicht.

Sie gehört keinem Menschen, aber gerade deshalb

ist sie nicht zur Plünderung freigegeben.

Wir sind Gott, ihrem Schöpfer, verantwortlich

und ihm Rechenschaft schuldig

über unseren Umgang mit dem, was er geschaffen hat.


Es macht auch einen gewaltigen Unterschied,

ob man die Geschöpfe dieser Erde als Verbrauchsmaterial ansieht,

das unsere Bedürfnisse, unseren Appetit, unsere Gier stillen muss,

oder ob man erkennt, dass wir in Wahrheit ihre Mitgeschöpfe sind.

Franz von Assisi nannte sie in seinem „Sonnengesang”

Schwestern und Brüder.

Und Charles Darwin hat in seinem bahnbrechenden Werk

„Über die Entstehung der Arten” dargelegt,

dass wir mit allen Lebewesen auf dieser Erde verwandt sind.


Und schließlich macht es auch einen gewaltigen Unterschied,

ob man andere Menschen als „Ausländer”, „Asylbetrüger”,

„Asoziale” oder „Behinderte” abstempelt -

oder ob man sie als das erkennt, was sie wirklich sind:

Unsere Nächsten, unsere Schwestern und Brüder.

Gottes Töchter und Söhne wie wir.


All das erkennt man nicht von allein.

Man erkennt nicht von allein, dass das Leben ein Geschenk ist,

ein Geschenk Gottes.

Dass diese Welt, alle Geschöpfe darin, unsere Mitmenschen

Geschenke sind, die unser Leben bereichern und erfüllen,

es überhaupt erst lebenswert machen.

Man erkennt auch nicht von allein,

dass wir ein Geschenk sind,

ein Geschenk Gottes für unsere Mitmenschen,

wie es der Dichter Petrus Ceelen formuliert:


Manche Menschen wissen nicht,

wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind.


Manche Menschen wissen nicht,

wie gut es tut, sie nur zu sehen.


Manche Menschen wissen nicht,

wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.


Manche Menschen wissen nicht,

wie wohltuend ihre Nähe ist.


Manche Menschen wissen nicht,

dass sie ein Geschenk des Himmels sind.


Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen.


Wir können nicht wissen,

dass wir ein Geschenk Gottes sind,

und dass Gott uns selbst so reich beschenkt

mit dieser Welt, unseren Mitmenschen

und den vielen Menschen,

die wir noch kennenlernen können;

mit den Pflanzen und Tieren,

die diese Welt erfüllen und schön machen.

Darum macht Gott uns ein zweites, großes Geschenk:

Das Geschenk seines Geistes.

Mit Hilfe seines Geistes können wir die Welt

und unsere Mitmenschen mit Gottes Augen sehen.


Wir sehen ihre Schönheit - und ihre Zerrissenheit.

Wir sehen ihr Glück - und ihr Leid.

Wir sehen, was gut ist und stark -

und was schwach und hilfsbedürftig.

Wir sehen Gerechtes, und wir sehen Ungerechtigkeit.

Wir unterscheiden Reichtum und Wohlstand

von Gier und Ausbeutung,

unterscheiden Hilfsbereitschaft von Bevormundung,

scheinbare Schwäche von Menschlichkeit und Nachsicht.


Wem Gott einmal so die Augen öffnete,

wer die Welt einmal mit Gottes Augen sah,

kann die Welt nicht mehr anders denn als Gottes Schöpfung sehen.

Und wie man an einem abstrakten Kunstwerk

nicht mehr achtlos vorbeigeht,

sobald man gelernt hat, es zu verstehen,

und einen van Gogh nicht für eine wilde Kleckserei hält,

so sieht man auch anders,

wenn man mit Gottes Augen zu sehen lernte:

Man sieht in jedem Menschen die Schwester oder den Bruder,

sieht in jedem Lebewesen das Mitgeschöpf.

Und empfindet Ehrfurcht und Respekt vor allem Leben.


Mit einer veränderten Einstellung zum Leben

verändert sich auch unser Verhalten.

Und so verändern Menschen, die von Gottes Geist ergriffen wurden,

Schritt für Schritt die Welt.


Das alles bewirkt Gottes Heiliger Geist.

Heute, an Pfingsten, erinnern wir uns an dieses Geschenk.

Indem wir uns erinnern,

lesen wir den liebevollen Brief,

den Gott seinem Geschenk des Lebens an uns mitgab.

Erfüllt von Gottes Geist wissen wir,

wie wir uns für dieses Geschenk revanchieren können:

Durch einen liebevollen Blick mit Gottes Augen

auf unsere Welt, unsere Mitmenschen,

der sich zeigt durch Freundlichkeit - - - und ein Lächeln.