Sonntag, 23. Juli 2023

Ein Zeichen der Hoffnung

Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis, 23.7.2023, über Apostelgeschichte 2,41-47

„Die das Wort annahmen, ließen sich taufen;

und an diesem Tag wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen.”


Liebe Schwestern und Brüder,


dreitausend neue Gemeindeglieder

sind der Traum jede:r Gemeinde und jede:r Pastor:in.

Dreitausend neue Gemeindeglieder -

das sind dreitausend Kirchensteuerzahler:innen;

das ist die Gewähr dafür, dass die Stellen

von Kirchenmusiker:in, Gemeindepädagog:in und Pastor:in

noch lange Zeit erhalten bleiben.

So kann man das sehen.

So haben wir uns angewöhnt,

die Zahl derer zu betrachten,

die noch Kirchenmitglieder sind

oder neue Mitglieder der Kirche werden.


Dreitausend neue Gemeindeglieder,

das sind jedoch zuerst und vor allem

dreitausend Menschen,

die das Wort angenommen haben.

Das Wort, das eine Gemeinschaft begründet,

die sich den Bedürftigen verpflichtet weiß;

die alles gemeinsam besitzt

und mit dieser Art zu leben positiv auf die Gesellschaft einwirkt.


Solch positive Energie hat die Gesellschaft bitter nötig.

Unsere Gesellschaft ist gespalten.

Nicht nur geht die Schere zwischen Arm und Reich

immer weiter auseinander.

Es gibt auch Gruppen in unserer Gesellschaft,

die unsere Regierung abschaffen wollen

und am besten auch gleich unsere demokratische Ordnung.

Die Verschwörungstheorien anhängen

und die Meldungen in Tageszeitung und Tagesschau für Lügen halten.


Es gibt Gruppen in unserer Gesellschaft,

die sind voller Neid auf die finanzielle Unterstützung,

die anderen gewährt wird;

die sind voller Hass auf Menschen,

die Zuflucht oder eine Heimat bei uns suchen;

auf Menschen, die anders leben, anders lieben als sie.


Es gibt Gruppen in unserer Gesellschaft,

die fühlen sich abgehängt und vergessen;

die fühlen sich überrollt von den Veränderungen;

die verstehen schon lange die Welt nicht mehr.


Diese Spaltung unserer Gesellschaft ist beängstigend.

Neu ist sie nicht.

Früher blieben die Verschwörungstheorien,

der Neid und der Hass auf die Anderen

im Dunstkreis der Stammtische.

Heute sind sie gesellschaftsfähig geworden.


Unsere Gesellschaft hat die positive Energie nötig,

die von der Zahl der dreitausend Getauften

aus der Apostelgeschichte ausgeht.

Aber ist diese Zahl realistisch.

Im Jerusalem zur Zeit Jesu wäre es undenkbar,

dass eine Massentaufe von dreitausend Menschen

ohne Aufruhr und Eingreifen der Behörden

hätte stattfinden können.


Man kann auch zu recht fragen,

ob es jemals eine Gemeinschaft gegeben hat,

in der Privatbesitz nicht mehr existierte

und alles der Allgemeinheit gehörte.

In der gemeinsamer Besitz verkauft wurde,

um mit dem Erlös Notleidenden zu helfen.


Die sozialistischen Experimente

des vergangenen Jahrhunderts jedenfalls

haben schmerzvoll gezeigt,

dass auch der neue sozialistische Mensch

durch und durch der alte blieb,

der sich selbst der Nächste ist.

Auch im Sozialismus waren nicht alle gleich,

sondern einige gleicher als die anderen.

Sie nahmen sich Freiheiten heraus,

die sie anderen nicht zugestehen wollten.


„Alle hatten alle Dinge gemeinsam”,

das hat nie funktioniert.

Aber das bedeutet ja nicht,

dass es keine gute Idee ist.

Und es gibt sie ja, die Dinge,

die alle gemeinsam besitzen:

Es sind unsere öffentlichen Plätze,

die Parks und Spielplätze,

die Seen und Wälder

und auch unsere Kirchen.


Doch gerade das, was allen gehört,

scheint niemandem zu gehören.

Jedenfalls gehen wir mit den öffentlichen Orten um,

wie wir niemals unseren Privatbesitz behandeln würden.

Auch unseren Dom können wir ohne Aufsicht nicht öffnen,

weil sonst Dinge gestohlen oder zerstört werden würden.

Und wenn irgendwo im Dom eine Tür offen bleibt,

kann man sicher sein, dass jemand nachsieht,

was wohl dahinter ist.

So würde sich niemand verhalten,

der bei jemandem zu Gast ist.


Früher war mehr Respekt vor dem, was allen gehört.

Im Mittelalter gab es die Allmende,

eine Weide- oder Waldfläche,

die von allen gemeinsam genutzt und gepflegt wurde.

Auf Englisch heißt die Allmende „commons”.

Sie erlebte mit der Entstehung des Internet eine Wiedergeburt.

Die Pionier:innen des Internet waren fasziniert von der Idee,

das Wissen der Welt allen Menschen kostenlos zugänglich zu machen.

Werke von Schriftsteller:innen, Musiker:innen, Künstler:innen

allen zur Verfügung zu stellen.

Die „creative commons” waren geboren:

der Gedanke, dass andere die Früchte der eigenen Arbeit

nutzen und verwenden durften,

solange auch ihre Schöpfungen gemeinfrei blieben.

Dadurch entstand eine Allmende des Wissens.

Programme wie Linux oder Wikipedia prägten das Internet

und sind bis heute ein wichtiger Teil davon.


Eine ähnliche Faszination wie die Pionier:innen des Internet

erlebten die Menschen damals in Jerusalem.

Da entstand eine neue Gemeinschaft,

die es so noch nicht gegeben hatte

und die bis heute etwas Einmaliges ist:


Keine Hippie-Kommune,

in der Menschen aus der Gesellschaft aussteigen,

um sich selbst zu finden,

neue Lebensformen, neue Formen der Liebe auszuprobieren.


Kein sozialistisches Experiment,

in der alle sich dem Prinzip der Gleichheit

und der Parteilinie unterwerfen.


Keine „Volksgemeinschaft”, die sich abgrenzt von anderen

und alle ausgrenzt, die irgendwie „anders” sind.


Kein Fanclub, der einen Star anhimmelt

und seine Allüren erträgt.


Keine Verbindung, in der Beziehungen zählen,

eine Hand die andere wäscht

und man sich gegenseitig auf Pöstchen und Posten hievt.


Und auch kein „Inner Circle”,

in dem man durch Bussi-Bussi oder Dresscodes zeigt,

dass man dazugehört -

und die anderen bestenfalls Zaungäste sein dürfen.


Die neue Gemeinschaft derer, die sich „Christen” nennen,

wird untereinander verbunden durch das Wort.

Dieses Wort ist das eine Wort Gottes,

durch das er die Welt ins Sein rief.

Das Wort, das Fleisch wurde und unter uns wohnte.

Das Vergebung lebte, Barmherzigkeit und Liebe

gerade zu denen, denen Gemeinschaft verweigert wurde.


Dieses Wort ist das Wort der Bibel,

das uns Gottes Willen verkündet

und von dem erzählt,

der das Wort Gottes war und ist.


Wer dieses Wort annimmt, macht es sich zu eigen.

Identifiziert sich damit, und lässt sich damit identifizieren:

Lässt sich als Christ:in sehen und erkennen.

Nicht allein durch das Zeichen des Kreuzes,

das man um den Hals trägt,

oder den Fisch, der am Heck des Autos klebt.

Sondern indem man zu vergeben, zu lieben

und barmherzig zu sein versucht,

wie Jesus vergeben, geliebt

und Barmherzigkeit erwiesen hat.


Weil dieses Wort die Gemeinschaft der Christ:innen begründet,

spielen die Herkunft, die politische Gesinnung,

der Bildungsgrad, der Besitz oder die soziale Stellung

keine Rolle in der Gemeinde.

Es ist auch unwichtig, ob man sich kennt oder gar mag.

Diese Gemeinschaft ist kein Selbstzweck.

Sie existiert, weil sie eine Aufgabe zu erfüllen hat:

Das Wort Gottes zu bezeugen nach innen und nach außen.


Nach innen:

Jesus hat versprochen: „Wo zwei oder drei

in meinem Namen versammelt sind,

da bin ich mitten unter ihnen.”

Wir kommen als Gemeinde zusammen,

damit wir von der Gegenwart Jesu erfüllt und gestärkt werden.

Wir kommen zusammen,

weil man sich nicht selbst sagen kann:

Gott hat dir vergeben.

Du bist Gott recht so, wie du bist.

Du bist ein Kind Gottes, ein geliebtes Kind Gottes.


Wir sagen und zeigen es uns in dieser Gemeinschaft

immer dann, wenn wir als Gemeinde zusammenkommen.

Wir sagen und zeigen es auch denen,

die wir nicht kennen,

die wir auf der Straße nicht grüßen würden,

die wir vielleicht nicht einmal eines Blickes würdigten.

Hier erkennen wir sie als Geschwister:

Als die, die, wie wir, von Gott geliebt und angenommen sind.


Nach außen

setzen wir der Menschenverachtung

die Mitmenschlichkeit entgegen;

dem Hass auf Fremde, auf anders Lebende oder Liebende

die Liebe Gottes, die alle Menschen annimmt, wie sie sind;

dem Neid, der Bitterkeit, dem Ressentiment

die Vergebung, die dankbar erkennen lässt,

wie viel uns von Gott geschenkt ist.


Damit setzen wir ein Zeichen.

Ein Zeichen, an dem sich andere orientieren können

auf der Suche nach einem besseren, einem menschlichen Leben.

Wir setzen ein Zeichen, das Hoffnung gibt:

Diese Welt ist noch zu retten.

Ein Zeichen, das zuversichtlich macht,

dass man Besitz teilen, Notleidenden helfen kann,

ohne Angst haben zu müssen, selbst zu kurz zu kommen.

Ein Zeichen, das Mut macht,

das Andersartige, das Neue, das Fremde

nicht als Bedrohung anzusehen,

sondern als Freund:in zu begrüßen.


Dreitausend neue Gemeindeglieder

werden es damals nicht gewesen sein.

Auch keine dreihundert.

Vielleicht nicht einmal dreißig.

Wie viele es auch immer waren:

Sie setzten ein Zeichen.

Sie veränderten die Welt.


Durch das Christentum, durch die Kirche

kam nicht nur Gutes in die Welt,

nicht nur Hoffnung, Zuversicht und Mut,

nicht nur Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

Immer wieder wurde das Wort vergessen,

das diese besondere Gemeinschaft begründet.

Menschen setzten sich an die Stelle des Wortes,

wähnten sich gleicher als die anderen,

mit Freiheiten, die sie anderen verwehrten.


Aber das Wort lief weiter.

Auch heute ruft und beruft es Menschen,

andere Wege zu beschreiten,

andere Lieder zu singen,

die der Welt Hoffnung machen

auf Heilung und auf Frieden.