Sonntag, 24. Dezember 2023

Wann es Weihnachten wird

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2023, über Galater 4,4-7:

Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn,

geboren von einer Frau

und unter das Gesetz getan,

auf dass er die, die unter dem Gesetz sind, loskaufte,

damit wir die Kindschaft empfingen.

Weil ihr nun Kinder seid,

hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt,

der da ruft: Abba, lieber Vater!

So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind;

wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.


Liebe Schwestern und Brüder,


„als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Nicht nur damals, im Stall von Bethlehem,

jedes Jahr erfüllt sich die Zeit.

Die Kerzen auf dem Adventskranz geben den Takt vor,

in dem wir auf Weihnachten zugehen

und dabei dem Heiligen Abend immer näher kommen.


Heute endlich ist es soweit.

Es kann sich nur noch um wenige Stunden,

ach was!, Minuten handeln,

bis es wirklich Weihnachten ist.


Woran macht sich das fest?

Wann genau ist der Zeitpunkt,

an dem es Weihnachten wird?


Passiert es beim Weihnachtsevangelium,

wenn die Worte gelesen werden:

„Und sie gebar ihren ersten Sohn

und wickelte ihn in Windeln

und legte ihn in eine Krippe”?


Passiert es, wenn wir zum Ausgang

O du fröhliche” singen?


Wird es Weihnachten,

wenn zuhause die Bescherung stattfindet?


Oder ist es Weihnachten,

wenn der ganze Trubel endlich vorbei ist,

man sich in den Sessel oder aufs Sofa fallen lässt

und spürt, wie die Anspannung nachlässt

und Müdigkeit langsam aufsteigt -

in dem wohligen Wissen,

dass man morgen nicht arbeiten muss?


Beginnt also Weihnachten in der Kirche,

mit den altvertrauten Worten und Liedern,

beginnt es mit dem Schenken

oder mit der Ruhe, die nach dem Trubel einkehrt?


„Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Vielleicht ist die Vorstellung falsch,

dass es in einem bestimmten Moment Weihnachten wird,

wie zur Stunde der Geburt des Christuskindes,

bei der Bescherung, oder in der Ruhe danach.


Wenn man Mutter oder Vater wird,

ist man das noch lange nicht,

wenn das Kind zur Welt kommt.

Technisch ja, und auch vor dem Gesetz.

Aber man braucht Zeit, bis man begriffen hat,

dass man jetzt Mutter, Vater ist,

und was das bedeutet.


Eigentlich ist man nie Vater oder Mutter,

sondern wird es - die ganze Kindheit lang,

vielleicht sogar das ganze Leben.

Man bleibt ein Leben lang Mutter oder Vater,

selbst, wenn die Kinder aus dem Haus sind

und man sie nicht mehr „erzieht”.

Mutter- und Vatersein umfasst nicht nur den Moment der Geburt,

sondern das ganze Leben.


Wenn es also heißt: „als die Zeit erfüllt war”,

ist damit vielleicht nicht nur der Moment der Geburt gemeint,

sondern die Fülle der Zeit, die ein Menschenleben ausmacht.


In dieser Zeitfülle leben wir als Kinder Gottes.

Dazu hat uns Gottes Sohn gemacht.

Wir sind nicht mehr Knechte und Mägde des Gesetzes -

und, kann man hinzufügen,

auch nicht Mägde und Knechte der Wirtschaft, des Konsums,

irgendeiner hehren Idee oder eines Schönheitsideals.

Wir sind nicht Knechte und Mägde einer Ideologie,

eines Anführers oder einer Gruppe,

die über uns bestimmen wollen.

Wir müssen niemandes Erwartungen oder Wünsche erfüllen.


Als Kinder Gottes sind wir frei -

wir haben jetzt Gott zum Vater.

Wir bleiben zwar immer Kinder unserer Eltern,

wie unsere Eltern immer Mutter und Vater bleiben.

Aber weil Gott unser Vater ist,

können wir unsere Eltern loslassen und sie uns:

Gott kümmert sich jetzt um uns.


Die Freiheit der Kinder Gottes ist nicht die Freiheit,

zu tun und zu lassen, was man will.

Das kann man auch tun, ohne Gott zum Vater zu haben.


Die Freiheit der Kinder Gottes ist die Freiheit,

nichts tun zu müssen.

Aus dem Müssen wird ein Können, wird ein Dürfen.


Statt: Du musst mit deinen Geschwistern teilen,

heißt es nun: Du kannst deinen Geschwistern etwas abgeben.

Du kannst deinen Wohlstand, deine Freiheit

mit Menschen teilen, die das bisher nicht erleben konnten.

Gott hat dich reich beschenkt und sorgt dafür,

dass du alles hast, was du zum Leben brauchst.


Statt: Du musst die Natur schützen,

heißt es: Du brauchst das alles nicht,

was die Werbung dir aufdrängen will.

Dein Lebenssinn liegt nicht im Konsumieren und Besitzen,

sondern in den Beziehungen, die dich tragen

und durch die du andere trägst -

auch in deiner Beziehung zur Natur,

zu Pflanzen und Tieren.


„Du darfst” - das ist nicht nur eine Margarine.

Es ist vor allem die Erlaubnis,

sich von den Gesetzen zu trennen,

die unser Leben bisher bestimmten:


Du darfst freundlich zu anderen sein.

Du darfst ihnen ein Lächeln schenken.

Du darfst großzügig sein,

brauchst keine Angst haben, zu kurz zu kommen,

brauchst nicht neidisch zu sein

auf das Glück und den Wohlstand anderer.

Du darfst rücksichtsvoll sein, höflich, bescheiden.


Denn du musst niemandem beweisen,

was für ein harter Kerl,

was für eine starke Frau du bist.

Du darfst schwach sein.

Du darfst weinen.

Du darfst nicht mehr weiter wissen.

Gott wird für dich sorgen,

weil du sein Kind bist, seine Tochter, sein Sohn,

erfüllt, begleitet und getragen

vom Geist des Kindes in der Krippe.


„Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Weihnachten wird es nicht in einem bestimmten Moment.

Weihnachten ist auch nicht nur heute

und an den kommenden beiden Tagen.

An jedem Tag sieht Gottes Sohn in der Krippe uns freundlich an.

An jedem Tag macht sein Geist uns zu Gottes Kindern.

An jedem Tag ist Gott wie ein guter Vater,

wie eine gute Mutter zu uns.


Jeden Tag neu liegt das Kind in der Krippe.

Und diese Krippe sind wir:

In uns wird das Christuskind geboren.


„So lass mich nun dein Kripplein sein;

komm, komm und lege bei mir ein

dich und all deine Freuden”,

dichter Paul Gerhardt in einem alten Weihnachtslied.


Wir tragen das Christuskind in uns.

Aus unseren Augen lächelt es andere an,

mit unserer Hilfsbereitschaft macht es anderen Mut,

mit unseren Worten tröstet es,

mit unseren Händen heilt es.


Durch Liebe und Mitmenschlichkeit kommt das Christuskind

alle Jahre wieder zu uns und zu anderen,

so dass es für uns und für sie Weihnachten wird.

Weihnachten - an jedem Tag des Jahres.