Sonntag, 17. Dezember 2023

wer uns beruft

Predigt am 3. Advent, 17.12.2023, über Matthäus 11,2-11

Liebe Schwestern und Brüder,


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


was für eine dreiste Frage, die Johannes’ Jünger Jesus stellen,

noch dazu vor allen Leuten!

Sie stellen mit ihrer Frage

nichts weniger als seine Legitimität infrage:

Ist Jesus nun der Christus, der gekommene Kommende,

der Auserwählte, oder ist er es nicht?

Ist er mehr als Johannes der Täufer,

dem prophezeit wurde, der Vorläufer des Messias zu sein

und der auch Jünger um sich scharte,

oder ist er geringer als er?

Ist das Reich Gottes nahe herbeigekommen,

sind der neue Himmel und die neue Erde zum Greifen nah,

oder liegen sie noch in unerreichbarer Ferne?


Jesus sagt zu der Frage weder Ja noch Nein.

Er antwortet mit etwas, das jeder sehen und hören kann.

Die Jünger des Johannes sollen ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen:


Blinde sehen und Lahme gehen,

Aussätzige werden rein und Taube hören,

Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.


Welchen Schluss sollen Johannes’ Jünger daraus ziehen?

Welchen Schluss ziehen wir daraus?


Vielleicht ist erst einmal wichtig, was Jesus nicht sagt:

Jesus sagt nicht:


Der Wolf wohnt beim Lamm

und der Panther lagert beim Böcklein.

Kalb und Löwe grasen miteinander,

Kuh und Bärin weiden zusammen,

und der Löwe frisst Stroh wie das Rind.


Und er sagt auch nicht:


Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,

und jeder Mantel, durch Blut geschleift,

ist verbrannt und vom Feuer verzehrt.


Jesus reklamiert für sich nicht die Kennzeichen,

die ihn eindeutig als den gekommenen Kommenden,

als den Auserwählten, den Christus ausweisen würden.

Wenn diese Dinge eingetreten wären,

hätte sich die Frage erübrigt,

ob Jesus der ist, der da kommen soll.


Die Heilung von Blinden, Lahmen,

Aussätzigen und Tauben dagegen,

dass Tote aufstehen, und Arme gute Nachricht erhalten,

das alles sind wunderbare Dinge,

aber sie weisen nicht eindeutig auf Christus hin.

Sie lassen einen Interpretationsspielraum zu:

Das wurde nicht über den Messias geweissagt.


Vor allem fehlt die unbestreitbare Tatsache,

die das Kommen des Messias begleitet:

dass die Welt neu wird.

Das Neue trat nur für die Wenigen ein,

die Jesus begegnet sind, die er geheilt hat.

Heilen aber könnte auch eine gute Ärztin, ein guter Arzt;

das muss nicht zwangsläufig ein Kennzeichen des Messias sein.


Als würde er um die Schwäche dieses Argumentes wissen,

schiebt Jesus noch einen Satz nach:


Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.


Warum sollte man an Jesus Anstoß nehmen?

Weil es Zweifel gibt, ob er wirklich der Auserwählte ist,

und weil Jesus diese Zweifel nicht ausräumt.

Die Menschen, die er als Beweis anführt,

sind als Zeugen nicht überzeugend.

Behinderte Menschen, arme Leute

zählen gewöhnlich nicht zu denen, auf die man hört.


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


Solche Anfragen kennen wir auch.

Meist nicht in der unverholenen Weise,

wie Johannes’ Jünger sie stellen.

Wir kennen diese Anfrage verkleidet

in scheinbar mitfühlende, scheinbar besorgte Äußerungen:


„Du wirkst in letzter Zeit so erschöpft;

dein Amt ist wohl eine zu große Belastung für dich?”

oder

„Wie furchtbar muss es für dich sein,

dass manche Leute so unzufrieden mit deiner Arbeit sind!”

oder

„Man hört und liest gar nichts mehr von dir;

man weiß gar nicht, ob du noch etwas leistest!”


Zu solchen Anfragen von außen gesellen sich die eigenen Zweifel:

Bin ich gut genug?

Bin ich die Richtige, bin ich der Richtige

für dieses Amt, für diesen Beruf?

Dahinter steht die Frage nach der Berufung:

Man sucht sich ein Amt nicht aus.

Auch wenn man sich dazu bereit erklärt,

Lust dazu hat, sich dieses Amt zutraut:

In ein Amt wird man berufen.

Wenn fraglich wird, ob man gut genug,

ob man die oder der Richtige ist,

wird einem die Berufung selbst fraglich

und damit die Legitimität.


Man verleiht sich ein Amt nicht selbst.

Es sind die anderen,

die, für die man da sein soll,

die einem das Amt zutrauen

und manchmal auch aufbürden.

Die, denen das Amt zugute kommt,

legitimieren die Amtsträgerin, den Amtsträger.


So ist es auch mit dem Beruf,

der das Wort „Berufung” im Namen trägt.

Auch im Beruf kann man sich unsicher werden,

ob man die richtige Entscheidung getroffen hat.

Auch hier kann man gefragt werden,

direkt, oder verkleidet in angebliche Sorge,

ob man die Richtige, der Richtige für diesen Job ist.

Und auch hier sind es die Menschen, die einen brauchen,

die zu einem kommen, die einem vertrauen,

die für diesen Beruf legitimieren.


Jesus zählt in seiner Antwort an die Jünger des Johannes

die Menschen auf, die ihn brauchen

und die ihn dadurch als den Christus,

als den Auserwählten, den gekommenen Kommenden legitimieren:

Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube und Arme.

Nicht gerade beeindruckende Zeugen,

ich sagte es schon.


Besser wäre es gewesen,

er hätte Leute von Rang und Namen anführen können.

Leute, die in den Häusern von Königen ein- und ausgehen.

Aber die brauchen ihn nicht.

Die Armen brauchen ihn, die Ausgestoßenen,

die an den Rand Gedrängten und Benachteiligten.

Und so ist es nur konsequent,

dass Hirten von seiner Geburt berichten;

dass ein Fischer, der zudem noch als Unruhestifter,

als Zelot, verdächtigt wird,

ihn als den Christus bekennt,

und dass eine Frau - damals, und nicht nur damals,

auch jemand ohne Macht und Einfluss -

ihm mit Öl salbt:

Jesus, der Gesalbte der Frauen, der Messias, der Christus.


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


Menschen, die ihn brauchen

und die darauf vertrauen, dass er das Richtige für sie tun wird,

weisen Jesus als den Christus aus.

Und Gott weist Jesus als den Christus aus:

Bei seiner Taufe durch Johannes sagt Gott:

„Dies ist mein geliebter Sohn,

an dem ich Wohlgefallen habe.”


Gott steht auf der Seite der Armen, der Ausgestoßenen,

der an den Rand Gedrängten und Benachteiligten.

Darum geht Jesus gerade zu ihnen:

Um Gottes Willen zu tun

und weil diese Menschen ihn brauchen.

Überspitzt könnte man sagen:

Sie, die Armen, sind es, die Jesus zum Christus machen.


So ist es auch mit uns:

Was wir sind, sind wir nicht aus uns selbst,

sondern durch die Menschen, die uns brauchen

und sich darauf verlassen, dass wir das Richtige für sie tun.

Das legitimiert uns in unserem Amt,

in unserem Beruf, in unserer Berufung.

Das macht uns zu Freundinnen und Freunden,

zu Partnerinnen und Partnern,

zu Vater und Mutter.


Es bewahrt uns nicht vor Fehlern und Irrtümern -

schließlich sind wir nicht Jesus!

Aber gerade die Tatsache, dass wir Fehler machen,

dass wir uns manchmal irren,

bewahrt uns vor dem Glauben,

wir hätten unser Amt allein unserer Leistung,

unserem Können und Wissen zu verdanken

und nicht den Menschen, denen es zugute kommt.


Die Tatsache, dass wir Fehler machen,

bewahrt uns auch vor dem Glauben,

als käme die Kraft allein aus uns

und nicht von Gott, der uns zu unserer Aufgabe

berufen und befähigt hat.


Für die Menschen, die uns brauchen,

sind wir so richtig, wie wir sind.

Wir sind gut genug.

Natürlich kann man immer noch mehr tun,

immer noch besser werden.

Aber Gott hat uns berufen so, wie wir sind.

So, wie wir sind, sind wir ihm recht.

So, wie wir sind, sind wir gut genug,

sind wir die Richtigen, sind wir berufen.


Jesus hat noch einen Nachsatz über Johannes parat.

Einen, den dessen Jünger nicht mehr hören

und der auf den ersten Blick wie eine Retourkutsche

auf ihre dreiste Frage klingt:


Wahrlich, ich sage euch:

Unter allen, die von einer Frau geboren sind,

ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer;

der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.


Johannes, Vorläufer des Messias,

für seine Jünger und Verehrer der Größte,

ist kleiner als der Kleinste im Himmelreich.

Wie gut, dass die Jünger des Johannes

das nicht mehr hören mussten!

Aber so böse, wie der Satz klingt, ist er nicht gemeint.

Im Himmelreich, sagt Jesus mit diesem Satz,

kommt es nicht auf irdische Größe an.

Im Gegenteil: Bei Gott sind die Kleinsten die Größten.

Darum bricht Gottes Wirklichkeit

in einem hilflosen, schutz- und wärmebedürftigen

Säugling ein in unsere Welt.

Das Kind in der Krippe wächst zu einem Menschen heran,

der auf alle Gewalt verzichtet,

sich nicht zu schade ist, seinen Jüngern die Füße zu waschen

und allein der Liebe vertraut.

Der Liebe, die so leicht zu besiegen,

so leicht zu ignorieren ist

durch Oberflächlichkeit, Bosheit und Gewalt.

Die sich aber nicht unterkriegen lässt.

Die sich immer, immer wieder durchsetzt -

bis sie eines Tages alle und alles erfüllen wird in Gottes Reich.