Sonntag, 28. Januar 2024

Herrlichkeit

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 28.1.2024, über 2.Korinther 4,6:

„Gott sprach: Aus der Finsternis soll Licht scheinen.

Gott schien in unsere Herzen.

Dadurch erleuchtete er uns.

Wir erkannten die Herrlichkeit Gottes.

Sie erstrahlt im Angesicht Jesu Christi.”


Liebe Schwestern und Brüder,


jeder Anfang liegt im Dunkeln.

Wir haben keine Erinnerung an den Beginn unseres Lebens,

an unsere Geburt.

Was beginnt, begann im Dunkel.

Nach dem im Dunkeln verborgenen Anfang kommt das Licht.

Das Licht der Welt, das wir erblickten.

Dem Licht folgen Worte.

Wir hörten, dass diese Helle „Licht” ist oder „Sonne”,

„Lampe” oder „Kerze”, an der man sich verbrennen kann.

Wir lernten, dass man nicht in die Flamme fassen darf,

dass das Licht nicht zu fassen, nicht zu greifen ist.

Schließlich wurde unser Verstand erleuchtet:

Was wir mit den Händen ergriffen,

fügte sich uns zu Begriffen, zum Begreifen und zur Erkenntnis.

Eines Tages wussten wir, was „Licht” war

und was es bedeutet.

Erst dann wurde es eigentlich Licht für uns.


Jeder Anfang liegt im Dunkeln.

In die Dunkelheit des Anfangs spricht Gott sein Wort:

Es werde Licht.

Gottes schöpferischer Anfang liegt im Dunkeln.

Wenn es vollbracht ist, wenn er das Wort gesprochen hat,

wird es Licht.

Licht lässt erkennen.

Erst im Licht sehen wir, was im Verborgenen geschah.

Licht macht den Unterschied,

ermöglicht zu unterscheiden:

Hier beginnt etwas, da hört es auf.

Hier bin ich, da bist du.


Gottes schöpferisches Handeln vollzieht sich,

bevor das Licht erstrahlt.

Es bleibt im Dunkeln, es bleibt verborgen.

Wir wüssten nichts von Gottes Schöpfung,

wäre nicht das Wort:

„Und Gott sprach: Es werde Licht.”

Der Glaube spricht das Wort des Schöpfers nach,

das niemand hören konnte,

weil noch nichts existierte.

Wer es nachspricht, wie Paulus es tut,

erkennt, wie das Licht in der Finsternis erstrahlt.


Das Licht scheint in der Finsternis.

Und es ist in unseren Herzen aufgegangen.

Sein Anfang liegt im Dunkeln.

Wie Gott am Anfang das Licht durch sein Wort erschafft,

so beginnt unser Glaube damit,

dass Gott das Licht des Glaubens in uns entzündet.

Wir bemerkten nichts davon.

Wir wussten es nicht,

bis wir zum ersten Mal die Welt in einem anderen Licht sahen.

Das göttliche Licht lässt uns eine andere Wirklichkeit sehen.


Diese andere Wirklichkeit unterscheidet sich von der Welt,

die uns umgibt.

Zugleich eröffnet sich die andere Wirklichkeit

mitten in der Welt:


Wir sehen am Himmel die Wolken ziehen,

wir sehen den Boden unter unseren Füßen;

wir sehen das Gras, sehen Bäume,

Fische, Insekten, Vögel.


Und wir sehen die andere Wirklichkeit:

Das alles ist Gottes Schöpfung.

Alles in ihr hat seine einzigartige Schönheit,

seinen Wert und seine Würde von Gott.

Alles Leben ist von Gott gewollt.

Alles Leben hat einen Sinn und ein Ziel.

Alles ist uns anvertraut,

damit wir sorgsam mit Gottes Schöpfung umgehen

und sie bewahren.


Wir sehen Menschen, große und kleine,

junge und alte, hell- und dunkelhäutige,

Frauen, Männer und alles dazwischen und darüber hinaus.


Und wir sehen die andere Wirklichkeit:

Diese Menschen sind unsere Nächsten,

die wir lieben wollen wir uns selbst.

Sie sind Gottes Kinder, wie wir.


Der helle Schein, den Gott in unsere Herzen gab,

fällt auf alles, was wir ansehen.

Wir sehen es, wie alle anderen es sehen.

Und zugleich sehen wir es im Lichte Gottes:

Bestimmt und umschlossen von Gottes Liebe, Gottes Macht.


Es gibt Gewalt, Bosheit und Willkür.

Doch Gott hat die Macht der Mächtigen gebrochen.

Er hält sich zu den Kleinen, Schwachen, Ohnmächtigen.

Er ermächtigt sie, sein Reich des Friedens

und der Gerechtigkeit zu bauen.


Es gibt Leid, Schmerz und den Tod.

Doch Gottes Liebe hat den Tod überwunden.

Seine Liebe kann nicht besiegt werden.

Sie lässt sich nicht unterkriegen.

Sie triumphiert über das Leid und über den Tod.


Im Licht, das Gott in unseren Herzen erschaffen hat,

das uns erleuchtet und uns Gottes Wirklichkeit

mitten in der Welt erkennen lässt,

sehen wir Gottes Herrlichkeit.


Gottes Herrlichkeit ist keine Steigerung dessen,

was wir als schön empfinden,

ins Übermenschliche und Unermessliche.

Gottes Herrlichkeit ist Alles, ist universal;

sie ist das All, das Universum.

Licht ist sein Kleid,

Sterne der Saum seines Gewandes.

Gott kleidet sich in die Schönheit seiner Schöpfung.


Durch das Licht des Glaubens erkennen wir,

dass die Wunder dieser Welt,

das Wunder des Lebens und das Wunder,

das unser Leben selbst ist,

ein Abglanz von Gottes Herrlichkeit sind.

Dieses Erkennen nennt der Theologe Friedrich Schleiermacher

„Sinn und Geschmack fürs Unendliche”.

Im Endlichen erkennen wir das Unendliche,

im Kleinen, Schwachen und Zerbrechlichen

die Größe und Allmacht Gottes.


Wer Sinn und Geschmack fürs Unendliche entwickelt hat,

der, dem wird die kleine Alltagswelt zu klein.

Gottes Herrlichkeit erweitert unsere Vorstellung,

überwindet Grenzen, Traditionen und Konventionen.


Auch die Grenzen, die wir zu anderen Menschen ziehen,

überwindet der Sinn und Geschmack fürs Unendliche.

Im Licht von Gottes Herrlichkeit gibt es keine Völker,

keine „Rassen” - die gibt es ohnehin nicht.

In seinem Licht fallen die Grenzen der Kulturen,

der Religionen, der Sprachen oder Ideologien dahin.

In seinem Licht hat nur die Menschheit bestand,

die von jedem einzelnen Menschen repräsentiert wird.

Jede und jeder ist ein wichtiger, unentbehrliches Teil

des Ganzen der Menschheit.

Nur als das Ganze der Menschheit

dürfen wir uns als Gottes Ebenbild verstehen.

Jesus Christus wurde ein Teil der Menschheit.

Ein Teil des Ganzen, ohne den das Ganze nichts ist.


So sehen wir in Gottes Antlitz,

wenn wir einander ins Gesicht schauen.

Wir sehen es nicht wirklich.

So stark ist das Licht des Glaubens nicht,

dass wir durch das Geschöpf hindurch

den Schöpfer erblicken könnten.

Doch auf jedem Gesicht leuchtet ein Abglanz

der Herrlichkeit Gottes.

Den kann der Glaube wahrnehmen,

der von Gottes Licht erleuchtet wurde.


Auf unseren Gesichtern ist es nur ein Abglanz.

Aber auf dem Angesicht Jesu erstrahlt sie,

die Herrlichkeit Gottes, schreibt Paulus.

Wo kann man dem Angesicht Jesu begegnen,

wo kann man es sehen?


Auf dem Turiner Grabtuch findet sich der Abdruck

des Gesichtes eines bärtigen Mannes.

Fromme Gemüter wollen darin das Gesicht Christi erkennen.

Doch ein Abdruck ist kein Erstrahlen,

und das Turiner Grabtuch war Paulus noch unbekannt.


Vielleicht ist es in Schönheit zu finden,

im Gesicht der Schönsten unter den Menschen.

Vielleicht sucht Deutschland deshalb das Supermodel,

weil sich eigentlich alle danach sehnen,

gesehen zu werden, angesehen und erkannt,

mit ihren Wünschen und Bedürfnissen,

ihrer Angst und ihrem Stolz.

Jesus würde uns so ansehen.


Aber solche äußerliche Schönheit ist nur um ihrer selbst willen da.

Sie sieht nur sich selbst.

Alle anderen sieht sie als Konkurrentinnen.

Sie spendet keine Wärme, keine Liebe, keinen Trost.


Sollte Jesus unter den Frommen zu finden sein?

Wer sich um den Glauben bemüht,

wer um des Glaubens willen auf vieles verzichtet,

wird die, wird der nicht allmählich selbst wie Jesus?

Wird der, wird die nicht durchsichtig auf Gott hin,

wie es die Heiligen für viele Menschen waren und noch sind?


Aber Jesus hat nicht Opfer gesucht, sondern Barmherzigkeit.

Keine geistlichen Höchstleistungen, sondern Liebe,

die sich selbst annehmen kann mit allen Fehlern und Schwächen.

Weil sie die Liebe spürt und aus der Liebe lebt,

mit der sie von Gott angenommen ist,

und so diese Liebe Gottes anderen weitergeben kann.


Das Antlitz Jesu, auf dem Gottes Herrlichkeit erstrahlt,

findet man in den Gesichtern derer,

die Jesus die „Kleinen” nennt:

Menschen, die bedürftig sind.

Menschen, die man an den Rand gedrängt hat,

Menschen, die man nicht mehr bei uns haben will,

weil sie nicht so sind wie wir.

Menschen, für die sich niemand interessiert.

Menschen, die man in Anstalten und Heimen vergessen hat.


Wer sich zu diesen Menschen begibt,

wer sich ihnen zuwendet,

ihnen Liebe schenkt und Freundlichkeit,

wird ein Leuchten auf ihren Gesichtern sehen.

Dieses Leuchten: Das ist die Herrlichkeit Gottes,

die im Angesicht Jesu Christi erstrahlt.

Mehr und größeres kann man in diesem Leben

von Gott nicht zu sehen bekommen.