Sonntag, 7. Januar 2024

Platz schaffen

Predigt am 1.Sonntag nach Epiphanias, 7.1.2024 über 1.Korinther 1,26-31

Liebe Schwestern und Brüder,


„am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und die Erde war wüst und leer.”

Mit diesen Worten beginnt die Bibel;

damit beginnt das schöpferische Handeln Gottes.

Gott erschafft aus dem Nichts die Welt.

Damit Etwas werden kann, muss erst Nichts sein.

Bzw. wenn schon etwas da ist,

muss es erst beiseite geräumt werden,

damit etwas Neues entstehen kann.


Wer Hausaufgaben machen, einen Brief schreiben will,

muss dafür Platz auf dem Schreibtisch schaffen.

Muss so viel zur Seite schieben,

dass Schulbuch und Heft,

dass Laptop oder Computertastatur einen Platz finden.


Neues beginnt damit, dass dafür Platz geschaffen wird.

Altes muss weichen - in den Müll, auf den Dachboden,

in die Hände anderer oder zumindest an die Seite.


Das gilt auch für unser Denken.

Das Denken ändert sich zum Glück selten von heute auf morgen.

Ganz allmählich, fast unmerklich

verändern sich Ansichten und Meinungen.

Aber auch hier gilt: Bevor Neues gedacht werden kann,

muss Altes beiseite geschoben

oder ganz aufgegeben werden.


Das Alte: Das sind die Vorstellungen und Ansichten,

in die man quasi hineingewachsen ist.

Man hat sie als Kind unzählige Male gehört

und dadurch verinnerlicht,

bevor man gelernt hatte, sie zu hinterfragen.

Inzwischen sind sie selbstverständlich geworden.

Man kommt gar nicht mehr auf den Gedanken,

dass es auch anders sein, anders gehen könnte.


Um auf andere Gedanken zu kommen,

braucht es einen Anstoß von außen.

Die Begegnung mit jemandem,

die oder der es anders sieht, anders macht.

Dieser Anstoß setzt das eigene, eingefahrene Denken

wieder in Bewegung.

Am Ende dieser Bewegung kann es geschehen,

dass man eine Meinung, eine Überzeugung beiseite schiebt,

von der man nie gedacht hätte,

dass man sie ändern könnte.


Paulus nennt solche Überzeugungen „dem Fleische nach”;

heute würde man wohl von menschlichen Maßstäben sprechen.

Er zählt sie auf: Weisheit, Macht, Vornehmheit.

Weisheit und Vornehmheit sind Begriffe,

die wir heute kaum noch verwenden.

Statt „Weisheit” könnte man sagen: Bescheid wissen;

statt „Vornehmheit” Einfluss.

Nur mit der Macht ist es heute noch so wie damals:

Über Macht spricht man nicht, man hat sie -

oder hat sie nicht.


Bescheid wissen, Macht und Einfluss

sind miteinander verbunden

und treten oft zusammen auf:

„Wissen ist Macht”, sagt man.

Wer Bescheid weiß, hat auch Einfluss.

Und Einfluss zu haben bedeutet, Macht zu besitzen.


Bescheid wissen, Macht und Einfluss haben sind Mittel,

um etwas zu erreichen,

seinen Willen, seine Vorstellungen durchzusetzen

und zu verwirklichen.

Über diese Mittel sagt Paulus, Gott habe sie nicht erwählt.

Gott erwählte das Gegenteil:

das Törichte, das Schwache, das Geringe und Verachtete.

Mit Dummheit, Schwäche und ohne Einfluss

erreicht man aber nichts -

und hat auch nichts zu melden.


Dummheit, Schwäche, keinen Einfluss -

Paulus meint damit seine Leser, die Korinther.

An wen würden wir denken?

An Flüchtlinge vielleicht.

Sie sind nicht dumm,

aber sie beherrschen unsere Sprache noch nicht,

wissen nicht, wie man sich in der Gesellschaft bewegt,

welche Wege man gehen, welche Mittel man einsetzen muss,

um etwas zu erreichen.

Sie haben keine Stimme.


An Kinder könnte man denken.

Auch sie sind nicht dumm.

Sie kennen aber noch nicht die Kniffe,

mit denen man sich Informationen, Macht und Einfluss verschafft.

Sie sind schwach, und gesellschaftlich

sind sie nach wie vor ohne Einfluss:

Kinder haben keine Macht.


Genau sie hat Gott erwählt -

und Menschen, die so schwach sind wie sie.

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder,

werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen”, sagt Jesus (Matthäus 18,3).

Werden wie die Kinder bedeutet, dass man Schwäche zulässt

und das, was gemeinhin als Stärke gilt -

Wissen, Macht und Einfluss - beiseite lässt.

Jedenfalls dort, wo es um unsere Berufung geht.


Von der Berufung handelt der Abschnitt des Briefes,

den Paulus an die Korinther schreibt,

handelt auch der heutige Sonntag.

Davon, dass wir Christ:innen sind,

und wie wir es geworden sind:

dadurch, dass Gott uns berufen hat.


Paulus schreibt: Gott beruft die Törichten,

die Schwachen, die Geringen und Verachteten.

Finden wir uns in dieser Liste wieder?

Würden wir jemandem zustimmen,

der uns so bezeichnete,

wären wir nicht verletzt und verärgert?


Paulus markiert hier einen Gegensatz.

Er will einen Unterschied deutlich machen

zwischen dem, was in der Welt, in der Gesellschaft

als stark und zielführend angesehen wird,

und dem, was dem Glauben als Stärke erscheint.

Dieser Gegensatz zeigt:

Der Glaube ist eine gänzlich andere,

eine neue Art zu denken und die Welt zu sehen.


Für diese neue Art zu denken

muss man erst einmal Platz schaffen,

alte Denkgewohnheiten beiseite schieben.

Wie z.B. dass es auf Stärke ankommt.

Darauf kommt es in der Welt an.

Gott aber steht auf der Seite der Schwachen,

derer, die nicht wissen, wie man Macht und Einfluss gewinnt.

Gott steht auf der Seite derer,

die man für unwichtig und unbedeutend hält.


Man könnte Gott für parteiisch halten,

und das ist er sicher auch.

Aber auch andersherum wird ein Schuh daraus:

Dass Gott zu den Schwachen zu halten scheint,

liegt daran, dass diese Menschen für Gott offen sind.

Wer dagegen Wissen, Macht und Einfluss besitzt

hat keinen Platz für Gott -

ein volles Gefäß kann man nicht weiter füllen.

Und wahrscheinlich hat so jemand ´auch kein Bedürfnis nach ihm.


Wer seine Ziele aus eigener Kraft erreicht,

wer sich durchsetzen kann,

gewinnt dadurch Selbstvertrauen.

Dieses Selbstvertrauen - Paulus nennt es das „Rühmen” -

steht im Weg, wenn man auf Gott vertrauen will.

Man ist stolz auf das, was man weiß, kann und leistet,

und man kann es auch sein.

Aber dieser Stolz verhindert,

dass wir gerade das, worauf wir stolz sind, infrage stellen:

Ob es wirklich so wichtig ist, wie wir denken.


Der Stolz verhindert, dass wir die Welt mit Gottes Augen sehen.

Manchmal verhindert er auch Mitgefühl und Barmherzigkeit.

Vor allem verhindert unser Stolz auf unsere Fähigkeiten,

dass wir uns von Gott schenken lassen,

was im Leben wirklich wichtig ist:


Weisheit, die im unbedingten, grenzenlosen Vertrauen

auf Gottes Liebe besteht, wie Christus es uns vorgelebt hat.

Wir vertrauen statt dessen auf Wissenschaft, Logik

und die Macht des Geldes.


Gerechtigkeit, die uns Christus schenkt

und durch die wir jeden Tag neu anfangen,

mit der wir Fehler machen und uns irren können.

Wir brauchen keine Angst zu haben,

durch einen Fehler, einen Irrtum unser Gesicht,

unser Ansehen zu verlieren.

Statt dessen vertrauen wir unser Leben

Versicherungsgesellschaften an,

verlassen uns auf unser Können und unsere Leistung.


Heiligung, die Christus für uns erwirkt

und durch die wir Gott so recht sind, wie wir sind.

Statt dessen unterwerfen wir uns dem Schönheitsideal der Werbung,

optimieren uns und unseren Körper.


Erlösung, die uns durch Jesu Tod am Kreuz zukommt.

Wir müssen uns nicht selbst erlösen.

- Wir brauchen und wir können es auch nicht.


Um diese Geschenke Gottes annehmen zu können,

muss man Platz für sie schaffen.

Das muss nicht bedeuten, dass wir alle Überzeugungen,

die wir im Laufe unseres Lebens gewonnen haben,

über Bord werfen.

Es reicht, wenn wir sie ein wenig zur Seite schieben.

Dabei kann es geschehen,

dass sie in einem anderen Licht erscheinen,

dass wir beginnen, darüber nachzudenken,

ob sie wirklich so unumstößlich sind, wie wir meinen.

Dadurch gewinnen wir Freiheit -

eine Freiheit im Denken

und die Freiheit, anders zu leben und zu handeln.


Wenn wir, was gemeinhin als Stärke gilt,

ein wenig beiseite schieben,

schaffen wir dadurch Platz für Gottes Macht.

Dann verstehen wir, warum Gott auf der Seite der Schwachen steht.

Vielleicht finden wir sogar den Mut,

uns zu ihnen zu stellen.