Sonntag, 24. März 2024

kyrios

Predigt am Sonntag Palmarum, 24. März 2024, über Philipper 2,5-11

Liebe Schwestern und Brüder,


wer war der, der damals in Jerusalem einzog?

Für die Bevölkerung Jerusalems war er ein Wundertäter,

der einen Toten auferweckt hatte.

Man hoffte auf ein Spektakel,

man hoffte, noch mehr zu sehen, größeres.

Manche und mancher hoffte vielleicht auch

auf ein kleines Wunder für sich.


Für seine Jünger war er der Lehrer,

der wieder einmal etwas tat,

dessen Bedeutung sie wieder einmal nicht verstanden.

Erst nach seiner Auferstehung erinnerten sie sich daran,

wie er in die Stadt eingezogen war:

Auf einem jungen Esel war er eingeritten.

So hatte es der Prophet Sacharja

für die Ankunft des messianischen Königs verheißen.


Der Messias zieht nicht wie ein Machthaber ein,

der über Soldaten und Waffen gebietet,

die seine Machtposition sichern und seinen Willen durchsetzen.

Nicht wie ein Superstar,

dessen Ausstrahlung, prächtige Kleidung und pompöser Glanz

den Zuschauern seine Größe demonstriert,

während sie sich klein und unwichtig vorkommen.


Der Messias, der Waffen und Kriege abschafft,

ist arm und unscheinbar.

Er kommt nicht als Star, den man bewundert,

sondern als Sklave, den man übersieht und verachtet.

Er flößt nicht Furcht ein,

sondern strahlt Sanftmut aus.


Sanftmut wird immer wieder mit Schwäche verwechselt.

Wer niedrig und unscheinbar ist,

gilt als unfähig, sich zu wehren oder sich durchzusetzen.

Manche sehen in Sanftmut und niedrigem Rang

einen Freibrief oder sogar eine Einladung,

einem solchen Menschen Gewalt anzutun.


II

Wer ist er für uns?

Der Hymnus aus dem Philipperbrief gibt zur Antwort:

Jesus Christus ist der Herr.

Dieser Satz: Jesus Christus ist der Herr

ist das älteste christliche Bekenntnis.

Um den christlichen Glauben von anderen abzugrenzen

und ihn vor Missverständnissen zu schützen,

kam mit der Zeit immer mehr dazu,

bis zum apostolischen Glaubensbekenntnis

oder dem noch längeren und komplizierteren Bekenntnis

von Nizäa-Konstantinopel,

das nächstes Jahr 1.700 Jahre alt wird.


Aber das Bekenntnis, das eine Christin, einen Christen ausmacht,

das uns zu Christen macht

und allein für uns Bedeutung hat,

ist dieser kurze Satz: Jesus Christus ist der Herr.

Paulus schreibt dazu im Römerbrief:

„Wenn du mit deinem Munde bekennst,

dass Jesus der Herr ist,

und in deinem Herzen glaubst,

dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat,

so wirst du gerettet“ (Römer 10,9)


Was bekennt man, wenn man sagt: Jesus Christus ist der Herr?

Ist es ein Akt der Unterordnung: Du bist der Chef?

Du hast mir etwas zu sagen,

und ich habe dir zu gehorchen?

Ein derartiges Verhältnis von Chef und Untergebenem

basiert in der Regel nicht auf Sympathie,

sondern auf einer Rangordnung:

Der oder die über mir hat mir etwas zu sagen,

ich habe zu gehorchen.

Darum ist es so erstrebenswert,

in einer Hierarchie aufzusteigen:

Dann hat man endlich auch mal etwas zu befehlen.

Und vor allem muss man dann nicht mehr tun,

was alle anderen tun müssen.


Jesus legt dieses Herr-Sein ab:

Seine Gottgleichheit sieht er nicht als das große Los an,

das ihn in die Sphäre der Macht hebt,

in der er niemandem mehr gehorchen muss.

Er legt sie ganz bewusst ab

und macht sich selbst zu einem Sklaven:

Eine Existenz außerhalb jeder Hierarchie,

auf dem alle herumtrampeln

und der nichts zu melden hat.


Und obwohl er Gott gleich ist,

unterwirft er sich doch Gottes Willen

und bleibt diesem Willen Gottes gehorsam.

Dieser Gehorsam kostet ihn sein Leben.

Es ist nicht Gottes Wille, dass Jesus am Kreuz stirbt.

Aber weil Jesus die Sanftmut und die Machtlosigkeit nicht aufgibt,

weil er niemals auf die gewaltige Macht zurückgreift, die er besitzt,

darum endet sein Weg geradezu zwangsläufig am Kreuz:

Denn manche Menschen sehen in Sanftmut und Niedrigkeit

einen Freibrief oder sogar eine Einladung,

einem solchen Menschen Gewalt anzutun.


III

Das griechische Wort für „Herr” lautet kýrios.

Bei der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische

wurde der Gottesname mit kýrios übersetzt.

Der Name Gottes, das Tetragramm JHWH,

wird im Judentum nicht ausgesprochen.

Statt dessen liest man meistens, d.h. knapp 6.000 mal, „Herr”.

Bis auf die Gemeinde in Jerusalem

haben die Christinnen und Christen

die Bibel auf Griechisch gelesen.

Für sie war kýrios gleichbedeutend mit Gott.


Das Bekenntnis: „Jesus Christus ist der Herr”

bedeutet also: Jesus Christus ist Gott.

Er ist nicht wie Gott, er ist kein zweiter Gott,

sondern der Gott, der Himmel und Erde gemacht hat,

der Gott, der das Volk Israel erwählt hat:

Dieser Gott ist Jesus Christus.

Spätere Generationen haben darüber gestritten,

wie das zu verstehen sei,

und wie man sich das genau vorzustellen habe.

Das Ergebnis kann man im nizänischen Credo nachlesen.


Für Paulus und seine Gemeinden

stellten sich solche Fragen noch nicht.

Die ungeheure Einsicht war noch neu und überwältigend:

Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat,

der außerhalb seiner Schöpfung

vor aller Zeit und in alle Ewigkeit existiert,

unvorstellbar groß, unvorstellbar mächtig,

war zur Welt gekommen,

verborgen in der Gestalt des Menschen Jesus.


Wer bekennt: „Jesus Christus ist der Herr”,

sagt damit nicht, dass Jesus ein Übermensch war,

ein Supermann oder Superstar.

Dieser Satz sagt etwas viel wichtigeres und aufregenderes:

Gott, den man nicht sehen kann,

über den wir nichts wissen

und von dem wir nichts sagen können,

kam uns in dem Menschen Jesus nahe.

An dem, was Jesus sagte und tat,

können wir erkennen, wie Gott ist,

was er für uns will und was er für uns tut.


IV

Gott, der uns Menschen in Jesus Christus begegnet,

legt seine Gottheit ab,

damit wir ihm überhaupt begegnen können.

Eine wirkliche Begegnung kann nur auf Augenhöhe stattfinden,

zwischen Gleichen.

Wenn Gott uns als Gott gegenüberträte,

müssten wir vor seiner Gottheit vergehen.

Wir wären nicht mehr frei,

zu sein, wer wir sind und zu tun, was wir wollen.

Wie ein Magnet Eisen festhält

oder in eine bestimmte Richtung zieht,

so wären wir von Gott wie magnetisiert.

Wir wären in den Bann geschlagen,

unfähig, etwas zu sagen oder uns auch nur zu bewegen.


Damit wir wirklich frei sein können,

zu sein, was wir wollen und zu leben, wie wir wollen,

verzichtet Gott uns gegenüber auf alle Macht.

Er tritt uns gegenüber in der Gestalt Jesu Christi,

von der es bei Jesaja heißt:

„Er hatte keine Gestalt und Hoheit.

Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt,

die uns gefallen hätte.

Er war der Verachtetste und Unwerteste” (Jesaja 53,2f).


Darum übersehen wir Jesus so oft.

Wir sehen ihn, aber wir sehen über ihn hinweg,

wenn er uns begegnet

in Hungrigen und Durstigen,

in Fremden und Unbekleideten,

in Kranken und Gefangenen.

Hungrig und durstig,

fremd und unbekleidet,

krank und gefangen im wörtlichen

und im übertragenen Sinn.


V

Der Weg zum Frieden führt über das Hinsehen.

Den Gekreuzigten kann man nicht mehr übersehen:

Er ist in unseren Kirchen allgegenwärtig.

Aber den Menschen Jesus,

der uns in unscheinbarer Gestalt begegnet,

den kann man leicht übersehen.


Die Unscheinbaren, Kleinen und Schwachen

kann man auch leicht übergehen.

Denn sie haben in der Regel keine laute Stimme.

Sie machen nicht auf sich aufmerksam

durch eine Lightshow, durch martialisches Auftreten,

durch gewaltige Muskeln oder eine atemberaubende Figur.

Zu nahe liegt es, sie zur Seite zu schieben

und so zu tun, als wären sie nicht da.

Bis man eines Tages tatsächlich glaubt,

sie spielten keine Rolle; wichtig wären nur

die Wichtigen, die Berühmten und Mächtigen.


Wer bekennt: „Jesus Christus ist der Herr”,

bekennt sich zu Niedrigkeit und Schwäche,

zu Sanftmut und Gewaltlosigkeit.

Nur so kann die Spirale der Gewalt durchbrochen werden.

Nur so kann Friede werden.

Nur so kann sich Gottes guter Wille für uns

und für seine ganze Schöpfung durchsetzen:

Wenn wir so gesinnt sind,

wie es Jesus Christus entspricht. Amen.