Donnerstag, 28. März 2024

sich die Hände schmutzig machen

Predigt am Gründonnerstag, 28. März 2024, über Johannes 13,1-17.34f:

Liebe Schwestern und Brüder,


was man tagtäglich oder regelmäßig tut,

darüber denkt man nicht weiter nach.

Händewaschen zum Beispiel:

Das macht man ganz automatisch.

Nur wenn man sehr dreckige Hände hat,

wenn der Schmutz partout nicht abgehen will,

sieht man genau hin und greift notfalls noch einmal zur Seife.


Im Altertum war das Füßewaschen das,

was das Händewaschen heute für uns ist:

Eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht nachdachte.

Nur, dass man es in bestimmten Kreisen nicht selber tat:

Füße zu waschen war Aufgabe des Personals.

Sobald man das Haus betrat,

war eine Sklavin oder ein Sklave zur Stelle,

um die Füße von Schmutz und Staub der Straße zu befreien.


Das Evangelium beschreibt diesen alltäglichen Vorgang

wie in einer Großaufnahme oder wie in Zeitlupe:

Wie Jesus seine Kleidung ablegt,

damit sie beim Knien auf dem Boden nicht schmutzig wird,

wie er ein Handtuch umbindet

und Wasser in ein Waschbecken gießt,

mit dem er anschließend von einem zum anderen geht,

um seinen Jüngern die Füße zu waschen.

Sogar das Abtrocknen der Füße wird nicht vergessen.


Normalerweise würde man eine solche alltägliche Verrichtung

nicht so ausführlich beschreiben.

In Romanen liest man nichts davon,

wie sich die Heldin die Zähne putzt,

wie sie ihre Wäsche wäscht, das Frühstück macht

oder die Wohnung aufräumt.


Sie müssen mal im Kino darauf achten:

Die Schauspieler gehen so gut wie nie aufs Klo,

sie duschen nicht und bügeln auch nicht ihre Kleidung.

Wird eine Alltagsszene doch einmal gezeigt,

wird gleich etwas Schreckliches geschehen,

wie bei der berühmten Duschszene

in Alfred Hitchcocks Horrofilm „Psycho”.


Nicht ganz so heftig wie im Horrorfilm ist Petrus’ Reaktion,

als Jesus ihm die Füße waschen will.

Immerhin sagt er sehr theatralisch:

„Niemals sollst du mir die Füße waschen!” -

als sei es etwas völlig Unmögliches, Undenkbares,

dass Jesus ihm die Füße wäscht.


Aber, könnte man fragen, wenn es so unmöglich ist,

dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht:

Warum sieht Petrus dann erst seelenruhig zu?

Und auch ein anderer Gedanke legt sich nahe:

Warum kommt Petrus nicht selbst auf die Idee,

Jesus und seinen Freunden die Füße zu waschen?


Gibt es da etwa ein ungeschriebenes Gesetz,

dass man bestimmte Tätigkeiten

ab einem bestimmten hierarchischen Level

nicht mehr ausüben darf?

Wäre es unfein, vielleicht sogar anstößig,

wenn ein Meister seinen Schülern die Füße waschen würde?

Darf eine Chefin ihren Gästen keinen Kaffee kochen,

weil das die Aufgabe der Sekretärin ist?

Darf ein Abteilungsleiter keine Stühle rücken,

sondern muss warten, bis der Hausmeister kommt?


Man könnte auf diesen Gedanken kommen.

Einmal im Jahr wäscht der Papst

einer ausgewählten Schar von Menschen die Füße.

Dass er es sonst nicht tut,

macht diesen Akt so besonders und außergewöhnlich.

In diesem Ritual soll sich seine Demut zeigen:

Seht, dieser, der das höchste Amt innehat,

das die Kirche vergeben kann,

ist sich nicht zu schaden, in die Knie zu gehen vor Leuten,

die weit unter ihm stehen!


Ob Jesus das gemeint hat, als er sagte:

Ein Beispiel habe ich euch gegeben … ?

Wenn ich schon so frage: Wahrscheinlich nicht.

Was Jesus meinte, verrät der eigenartige Vergleich,

dass der Sklave nicht größer ist als sein Herr

und ein Apostel nicht größer als der, der ihn sendet.

Damit will Jesus wohl sagen:

Der Sklave eines berühmten oder mächtigen Herrn

soll sich nichts darauf einbilden,

denn er ist und bleibt sein Sklave.

Und ein Apostel soll sich nicht zu schade sein,

zu tun, was Jesus getan hat.


Dabei geht es nicht um das Füßewaschen an sich -

es hat sich in der Christenheit nicht durchgesetzt

als Zeichen der Liebe und Wertschätzung.

Nicht zuletzt deshalb, weil geschlossene Schuhe in Mode kamen,

die das Waschen der Füße - naja, nicht unnötig machten,

aber in den privaten Bereich verdrängten.

Es geht Jesus um eine Haltung.


Wenn die Managerin oder der Manager eines Dax-Konzerns

vor seinem Büro die Straße fegen würde,

wäre das eine Schlagzeile oder käme sogar in den Nachrichten.

Nach wie vor gibt es ein ungeschriebenes Gesetz,

wonach bestimmte Tätigkeiten zu einem bestimmten Platz

auf der Karriereleiter gehören:

Der Lehrling hat das Bier zu holen und den Hof zu fegen.

Putzen oder Müll entsorgen ist ein Job für Ungelernte,

und entsprechend schlecht wird er bezahlt.


Die Bezahlung richtet sich nicht nach der Schwere der Tätigkeit,

nach ihrer Notwendigkeit oder ihrem Nutzen für die Gesellschaft.

Sondern danach, wie aufwändig die Ausbildung war

und vor allem danach, wie viel Gewinn erzielt wird.

Am Einkommen hängt auch das gesellschaftliche Ansehen -

ob man im Hotel oder Restaurant zuvorkommend behandelt wird,

ob man gekannt und auf der Straße gegrüßt wird.


Diese Unterschiede sind fatal,

wenn es um das Gebot geht, einander lieb zu haben.

Natürlich kann eine Chefin ihre Angestellten lieb haben,

eine Managerin freundlich zu ihrer Putzfrau sein.

Aber es bleibt ein Gefälle zwischen beiden:

ein Gefälle des Ansehens und der Macht.

Dieses Gefälle kann nur von oben nach unten überwunden werden,

nicht von unten nach oben.

Die unten sehen über sich die berühmte gläserne Decke,

durch die sie nicht hindurch kommen.


Darum ist es Jesus so wichtig,

gar nicht erst ein Gefälle des Ansehens aufkommen zu lassen.

Es ist für Jesus keine außergewöhnliche Tat,

seinen Jüngern die Füße zu waschen,

wie sie es für den Papst ist

oder für einen hochgestellten Menschen wäre.

Für Jesus ist es eine Selbstverständlichkeit.

So, wie es für jeden und jede von uns selbstverständlich ist,

die Spülmaschine ein- und auszuräumen,

die Wäsche zusammenzulegen oder das Wohnzimmer zu saugen.


Das bedeutet nicht, anderen die Arbeit wegzunehmen

oder Berufe überflüssig zu machen,

die Menschen diese Arbeit abnehmen.

Es bedeutet, ein Gefühl dafür zu bekommen,

was jeder Mensch leistet - und dass jeder Mensch

für seine Leistung nicht nur einen gerechten Lohn verdient,

von dem man leben und sich auch etwas leisten kann,

sondern auch Anerkennung.

Erst dann ist ein von Liebe geprägtes Miteinander möglich,

wie Jesus es seinen Jüngern ins Stammbuch schreibt.


„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander lieb habt.”

Die Gemeinde ist ein geschützter Raum,

in dem wir das probieren können:

Einander zu respektieren und anzuerkennen.

In dem wir uns ausprobieren können in Tätigkeiten,

die sonst nicht zu unserem Aufgabenprofil zählen,

wie zum Beispiel beim Kirchenputz am 20. April.


Je öfter man es probiert, desto selbstverständlicher wird es.

Es kann zur Gewohnheit werden, mit anzufassen

und sich auch mal die Hände schmutzig zu machen.

Es kann zur Gewohnheit werden, auch die Arbeit derer zu würdigen,

die im Hintergrund wirken, die vorbereiten,

damit andere im Rampenlicht stehen können,

und hinterher alles wieder wegräumen und sauber machen.


Wenn es uns zur Gewohnheit wird,

keinen Unterschied mehr zu machen,

kann von der Gemeinde ein Impuls ausgehen,

der bis in unsere Gesellschaft hinein wirkt.

Daran werden alle erkennen, dass wir Jesu Jünger sind,

weil wir einander auf diese Weise Respekt bezeugen,

weil wir nicht auf andere herabsehen

oder Menschen meiden,

die nicht unsere Klasse haben, kurz:

weil wir uns untereinander lieb haben. Amen.