Sonntag, 31. März 2024

Vorbestimmt

Predigt am Ostersonntag, 31.3.2024, über 1.Samuel 2,1-8a

Liebe Schwestern und Brüder,


Hannah, die das Lied singt,

hatte einen großen Wunsch:

Sie wünschte sich so sehr ein Kind.

Doch sie konnte keines bekommen.


Ihre Nebenbuhlerin Peninna kränkte sie deswegen.

Peninna war eifersüchtig auf Hannah,

weil ihr Mann Hannah mehr liebte als sie.

Aber Peninna hatte Kinder, und Hanna nicht.

Das ließ sie Hannah spüren.


Hannahs Kinderwunsch entsprang der Sehnsucht,

ihre Konkurrentin zu besiegen,

damit sie endlich Frieden hätte.

Wenn Hannah ein Kind bekäme,

wäre Peninnas Lästerei ein für allemal beendet,

sie könnte ihr nicht mehr die Lebensfreude nehmen.


Was Hannah erlebt, würde man heute „Mobbing” nennen.

Es ist weit verbreitet;

viele mussten es erleiden oder erleiden es gerade.

Mobbing kann einem die Freude an der Arbeit nehmen,

an der Begegnung mit den Kolleginnen und Kollegen;

es kann das Leben zur Hölle machen.


Eine Konkurrentin, ein Konkurrent kann es erreichen,

dass man ihn oder sie nicht mehr los wird:

Wie eine Zecke saugt sie sich in den Gedanken fest,

sodass sie selbst Zuhause ständig gegenwärtig ist.

Wer so etwas durchmachen musste, kann wohl verstehen,

warum sich Hannah ein Kind wünscht

und dass ihr Kinderwunsch so dringend für sie ist.


Hannah möchte ein Kind bekommen,

damit sie nicht mehr gemobbt wird.

Ihr Kind ist ein Wunschkind, aber in sehr besonderer Weise:

es soll ihr helfen, ihre Gegnerin zu besiegen.


Tatsächlich wird Hannah schwanger,

nachdem sie in ihrer Verzweiflung

einen Handel mit Gott eingegangen ist:

Sollte sie ein Kind bekommen, würde sie es Gott weihen.


Gott geweiht, das bedeutet:

das Leben des Kindes wird Gott gehören.

In ähnlicher Weise wurden im Mittelalter

Kinder ins Kloster gegeben,

wo sie ein Leben als Mönch oder Nonne erwartete.


Nachdem Hannahs Kind zur Welt gekommen und entwöhnt ist,

bringt sie es zum Tempel und übergibt es dem Priester.

Ohne ihr Kind kehrt sie nach Hause zurück.

Ihr Kind wächst ohne Mutter auf und ohne Spielgefährten.

Es wächst auf ohne Kindheit, in einer Welt der Erwachsenen,

im Tempel, der die Welt vor ihm aussperrt.


Das Kind, das Hannah geboren und dem Tempel übergeben hat,

trägt den Namen Samuel. Ein sprechender Name, er bedeutet:

Von Gott erbeten.

Samuel wird ein Prophet, ein Bote Gottes.

Man könnte ihn auch als ein Werkzeug Gottes bezeichnen.

Ein Werkzeug hat keinen eigenen Willen,

sondern führt den Willen dessen aus, der es benutzt.

Ein Werkzeug hat auch kein Eigenleben: Es dient.

Als Werkzeug dient es einem Zweck,

als Prophet dient Samuel Gott.


Ein Leben im Dienste eines anderen war früher alltäglich:

Mägde oder Knechte nannte man solche Menschen,

die nicht ihr eigenes Leben lebten.

Sie waren nicht angestellt,

sondern wohnten im Haus ihrer Dienstherren,

aßen von ihrem Essen und, wenn sie auf einem Hof arbeiteten,

auch mit der Bauersfamilie an einem Tisch.

Sie zahlte ihnen Kleidung und Schuhe und den Arzt,

und ansonsten ein Taschengeld.


Heute würden wir ein solches Leben nicht mehr führen wollen.

Leben, das bedeutet für uns: Freiheit und Selbstbestimmung.

Seine eigene Herrin, sein eigener Herr sein.

Selbst entscheiden, wie man lebt und was man tut,

frei sein in seiner Entscheidung und unabhängig.

Darum könnte man auf den Gedanken kommen,

Samuel zu bedauern: Er hatte kein eigenes Leben.

Sein Leben war ihm von seiner Mutter vorbestimmt worden.

Er hatte zu keinem Zeitpunkt eine Wahl.


Auch das war früher die Regel:

Früher musste der älteste Sohn den Hof übernehmen,

oder den Handwerksbetrieb des Vaters.

Keine Frage, dass der Junge den Beruf des Vaters erlernte

und den Hof, die Werkstatt weiterführte,

um sie eines Tages an die nächste Generation zu übergeben.

Das Schicksal der Mädchen war es,

möglichst vorteilhaft verheiratet zu werden,

eine „gute Partie” zu machen.

Sie wurden bei der Entscheidung über ihren Partner nicht gefragt.

Romantik, Liebe, Erfüllung, persönliches Glück spielten keine Rolle.


So wie Hannah bringt auch eine andere junge Frau in der Bibel

durch Gottes Einwirken ein Kind zur Welt.

Es scheint so, dass es diesmal sie ist, die man nicht fragt.

Ein Engel teilt ihr mit, was mit ihr geschehen wird.

Es ist alles vorherbestimmt, es ist schon alles entschieden.

Aber ausdrücklich wird berichtet, dass Maria einwilligt:

„Ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe nach deinem Wort”, sagt sie.

Sie hat zwar eigentlich keine Wahl,

aber es kommt doch auf ihre Entscheidung, ihre Zustimmung an.


Auch ihr Kind hat keine Wahl.

Sein Leben ist vorherbestimmt wie das Samuels,

und wie er, trägt auch dieses Kind einen sprechenden Namen:

Immanuel, Gott ist bei uns, und

Jesus, auf Hebräisch: Jehoschua, Gott hilft.

Sein Name weist voraus auf das Leben,

das diesem Kind bestimmt ist.

Durch dieses Kind kommt Gott den Menschen nah,

durch dieses Kind wird Gott den Menschen ein Helfer,

indem er ihnen vergibt und ihnen neues Leben schenkt.

Doch dafür muss dieses Kind eines schrecklichen Todes sterben.


Wenn ein Leben so vorbestimmt und festgelegt ist,

dass einem keine Wahl mehr bleibt, sprechen wir von „Schicksal”.

Das Schicksal erscheint wie eine unausweichliche Macht,

der man nicht entgehen kann und gegen die niemand ankommt.

Eine Vorstellung, die im Gegensatz zu unserem Glauben steht.

Der Bibel nach ist Gott allein allmächtig.

Neben oder unter ihm gibt es keine überweltlichen Mächte,

die unser Leben beeinflussen oder gar bestimmen könnten -

weder der Sternenhimmel, noch das Schicksal.


Vom Schicksal sprechen wir auch nur,

wenn es nicht so kommt, wie wir es uns wünschen.

Niemand sagt von einem Lottogewinn,

der sei „Schicksal” gewesen.

Wenn jemand krank wird ist es Schicksal,

wenn jemand gesund wird, nicht.


Diese Vorstellung vom Schicksal hängt damit zusammen,

dass wir so sehr an unsere Freiheit glauben

und an ein selbstbestimmtes Leben.

Aber die Erfahrung machen, dass wir zwar Pläne schmieden,

dass aber manchmal das Schicksal ein mieser Verräter ist,

das unsere Pläne durchkreuzt und zunichte macht.


Diese Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens

ist der Bibel fremd.

Die Bibel kennt Heldinnen wie Debora, Helden wie David.

Sie erzählt von Einzelschicksalen wie dem von Ruth,

von Hannah oder von Maria.

Aber sie alle stehen nicht für sich.

Sie sind eingebunden in die Geschichte des Glaubens:

In Gottes Geschichte mit seinem Volk,

in Gottes Handeln an seiner Schöpfung, der Welt.


Durch Jesus wurden wir ein Teil dieser Geschichte des Glaubens.

Wir gehören zu Gott, und damit sind wir eingebunden

in diese Geschichte des Glaubens,

auch wenn man wohl später nicht so von uns erzählen wird

wie von Hannah.

Weil wir zu Gott gehören, ist Gott unser Herr.

Wir sind - mit diesem altertümlichen Ausdruck -

seine Knechte und Mägde.

Unser Leben ist vorherbestimmt, wie es das von Samuel war.

Man nennt das mit einem Fachwort: Prädestination.


Vorherbestimmung, Prädestination, bedeutet nicht,

dass wie in einem Drehbuch jeder unserer Schritte,

jedes Wort, das wir sagen, im Voraus festgelegt ist.

Wir sind auch keine Automaten,

die ein Programm abspulen,

das ein Fremder geschrieben hat,

und das wir nicht beeinflussen können.


Prädestination bedeutet nur,

dass der Ausgang unseres Lebens schon fest steht:

Unser Leben geht gut aus.

Es gibt ein Happy End für uns.

Dieses Happy End ist die Auferstehung.

Durch die Auferstehung brauchen wir uns keine Sorgen zu machen,

dass wir unser Leben vermasseln,

dass wir nicht gut genug waren,

nichts aus uns und unserem Leben gemacht haben.

Gott hat bereits entschieden:

Unser Leben ist gut, ist gelungen,

und wir sind ihm recht so, wie wir sind.


Darum leben wir aus der Auferstehung.

Wir leben sozusagen vom Ende her,

vom glücklichen Ende unseres Lebens her zur Gegenwart.

Die Auferstehung lässt das Ende den Anfang sein,

macht aus Misserfolg und Scheitern neue Möglichkeiten,

aus Enttäuschung und Irrtum Erfahrungen.


Die Auferstehung stellt alles auf den Kopf:

Knechte werden zu Herren und Herren zu Knechten.

Starke werden schwach und Schwache stark.

Satte hungern und Hungernde bekommen zu essen.

Reiche werden arm und Arme reich.

Wer nichts galt, wird bedeutend,

wer berühmt war, verschwindet in der Versenkung.

Und wer tot war, wird wieder lebendig.


Die Auferstehung stellt alles auf den Kopf.

Aber aus der Sicht Gottes stellt sie alles

vom Kopf auf die Füße.

Denn Gott wünscht sich Gerechtigkeit und Mitgefühl.

Gott ist auf der Seite der Schwachen und der Kleinen,

weil die nicht auf eigene Kraft,

auf eigene Fähigkeiten vertrauen,

sondern auf Gott.


Gott wird unser Herr, wenn wir ihn machen lassen.

Nicht um jeden Preis an unseren Plänen festhalten,

nicht wie mit Scheuklappen nur in eine Richtung gehen,

Misserfolge, Irrtümer, Scheitern nicht als Katastrophen,

sondern als notwendige Schritte auf unserem Weg

anzusehen lernen.


Weil Gott ein gutes Ende für unser Leben vorgesehen hat

und weil Gott Gutes für uns im Sinn hat,

Glück und Lebensfreude,

können wir ihn machen lassen.

Das gibt uns die Freiheit, unser Leben zu gestalten,

wie wir es möchten.

Es befreit uns von der Befürchtung,

wir hätten etwas verpasst,

wir hätten nicht richtig gelebt,

wir hätten keine Wahl gehabt.


Wir haben jetzt eine Wahl, und wir haben sie jeden Tag neu.

Wir können wählen, alles auf den Kopf zu stellen,

alles neu und anders zu machen.

Wir können wählen, das Leben anzunehmen, wie es ist.

Wir auch immer wir uns entscheiden:

Gott bleibt an unserer Seite

und wartet am Ende unseres Lebensweges auf uns,

um uns in seine Arme zu schließen

und uns ein neues, das ewige Leben zu schenken.