Montag, 1. April 2024

ganz hingerissen

Liedpredigt am Ostermontag, 1.4.2024, über EG 112


Liebe Schwestern und Brüder,


wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

An Ostern ganz besonders.

Der Überschwang der Osterfreude lässt uns singen vom Sieg.

Lässt uns den Tod auslachen: Halleluja-ha-ha

und das Leben feiern:

Christus ist auferstanden!


Mitten in der Osterfreude,

ganz hin- und mitgerissen vom österlichen Jubel

und in Vorfreude auf die Auferstehung,

die schon geschehen ist und geschieht, jetzt und hier,

schiebt sich die Wirklichkeit dazwischen

mit den Schmerzen und Sorgen, die wir zur Genüge kennen.

Mit all dem Leiden und Sterben auf der Welt,

dem Krieg und dem Terror, dem Hunger und der Angst.

Da wird der Osterjubel kleinlaut:

Darf man bei all dem Leid so fröhlich sein,

so unbeschwert aus vollem Halse lachen und singen?

Es ist ja auch unter uns, das Leid;

man war froh, es einen Moment vergessen zu können,

aber da drängt es sich schon wieder ins Bewusstsein.


Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Der Dichter Paul Gerhardt nimmt mit dem Lied

„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden” den Mund ganz schön voll

und sagt viel mehr, als man guten Gewissens sagen kann.

Johann Crüger schreibt dazu eine Melodie,

die wie eine Aufforderung zum Tanzen ist, die in Bewegung setzt

und in ihrer zweiten Hälfte voran drängt und aufwärts,

immer höher, bis in den Himmel.

Hören wir auf diese Melodie, singen wir die erste Strophe

und horchen dabei in uns hinein,

was Text und Melodie mit uns machen.


EG 112,1


Die Musik beschwingt, macht fröhlich, macht gute Laune.

Doch die erste Strophe ist in ihrem Jubel noch verhalten.

Da ist schon das österliche Licht,

aber noch ist es kaum zu glauben, nicht zu fassen:

Woher kommt dieses Licht?


Dann steigt Paul Gerhardt mit uns hinab.

Während die Melodie aufsteigt, nimmt er das Grab vorweg,

das auf alle wartet - ausgerechnet an Ostern muss er daran erinnern!

Aber die bittere Realität hat ja bereits einen Schatten

auf unsere Osterfreude geworfen.

Mit seinen Worten macht Paul Gerhardt das,

was wir quasi von selbst tun:

Er trübt die österliche Freude.

Wenigstens lässt er uns den Himmel,

der uns dermaleinst verheißen ist.


Mit der zweiten Strophe ändert sich alles.

Wie in einem Guckkasten, einem Kasperletheater

sehen wir ein eigenartiges, fast derbes Schauspiel vor uns.

Beim Kasperletheater flößen das böse Krokodil

oder der Schutzmann den zuschauenden Kindern Angst ein.

Aber dann kommt der Kasper und haut ihnen auf den Kopf,

dass die Kinder lachen müssen.

Sie lachen das Böse aus, sie lachen sich ihre Angst von der Seele.


Im Lied triumphiert der Teufel, dass er Christus besiegt hat -

da steht Christus schon wieder da wie die Kasperlepuppe

und schwenkt seine Siegesfahne.

Wie Paul Gerhardt hier die Auferstehung beschreibt,

hat sie etwas Befremdliches:

Darf man aus der Auferstehung ein Kasperletheater machen?


Aber er macht ja nicht aus Jesus einen Kasper,

sondern gibt Tod und Teufel der Lächerlichkeit preis.

Dieses Lustspiel schaut er sich in der 3. Strophe an -

und stellt fest, wie er dadurch die Angst verliert.

Lassen Sie uns sehen, ob es uns auch so geht,

wenn wir die 2. und 3. Strophe singen:


112,2+3


Was passiert hier?

Beim Singen geht es uns wie den Kindern,

die dem Kasperletheater zuschauen:

Was uns Angst macht, lachen wir aus.

Wir werden selbst zu fahnenschwingenden Sieger:innen.

Das Lied singt uns einen Heldenmut zu,

den wir bei uns nicht vermutet hätten.


Mit diesem Mut schauen wir an,

was uns die Osterfreude vergällt.

Es kommt uns nicht mehr so erdrückend,

so mächtig und überwältigend vor.

Mut macht uns die Auferstehung selbst -

das edle Gut, das Jesus uns erworben hat.

Sie lässt uns im Überschwang über alles wegtanzen,

was uns den Mut nehmen will.

Wir haben plötzlich Kraft für zwei.

Und wir haben keine Angst mehr.

Weder vor Tod und Teufel, noch vor der Welt.

Davon singen die nächsten beiden Strophen:


112,4+5


Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Aber, Paul Gerhardt, nimmst du den Mund nicht zu voll?

Du kommst mir vor wie ein Kind, das sich stark fühlt,

weil es sich hinter dem Rücken seines großen Bruders versteckt

und deshalb große Töne spuckt.

Bist du noch so mutig, wenn du allein

der Höll und ihren Rotten gegenüberstehst?

Wenn du die Macht des Todes erleben musst,

weil ein lieber Mensch stirbt?

Wenn dir der Hass der Wutbürger ins Gesicht schlägt,

wenn die Sorgen über dir zusammenschlagen?


Paul Gerhardt musste all das erleben:

Die Schrecken des 30jährigen Krieges,

den Tod vieler seiner Kinder

und schließlich sogar den viel zu frühen Tod seiner Frau.

Er erlebte Anfeindungen, und die Ausweisung aus Berlin,

wo er mit Johann Crüger an der Nikolaikirche

so gut zusammengearbeitet,

so viele schöne Lieder geschaffen hatte.


Gerade weil Paul Gerhardt so viel Schweres erlebte,

hat er seine schönen Lieder gedichtet.

Sie alle haben eines gemeinsam: In ihnen redet ein Ich.

Es ist Paul Gerhardts Ich, das sich mit diesen Gedichten

selbst Trost zuspricht.

Wenn wir diese Lieder singen, wird sein Ich zu unserem.

Seine Lieder sind Selbstgespräche - darum sprechen sie uns an.

Wir machen uns selber Mut, wenn wir sie singen,

werden wieder zuversichtlich und fröhlich.


Nun könnte man einwenden:

Ist das nicht ein Pfeifen im dunklen Wald?

Ja, das ist es.

Es hilft zu pfeifen oder zu singen, wenn man Angst hat,

allein im dunklen Wald.

Das Singen vertreibt die Angst -

oder lässt sie zumindest erträglicher werden.


Und es vertreibt möglicherweise auch das,

was im dunklen Wald Angst macht -

nicht nur, wenn man schiefe und falsche Töne singt,

auch, wenn man richtig schön singt.

Im italienischen Appenin, wo man Bären ausgewildert hat,

wird man jedenfalls auf Schildern dazu angehalten,

den Wald nur laut singend zu betreten,

weil die Bären dann reißaus nehmen.


Paul Gerhardts Lied ist aber mehr

als ein Pfeifen im dunklen Wald.

Und seine Worte sind mehr als die großen Töne,

die eine freche Göre oder ein Rotzbengel spucken.

Er hält sich an Christus,

von ihm lässt er sich mitreißen,

und das reißt ihn hindurch durch alles,

was ihm den Mut nehmen will.

Wenn wir davon singen,

werden wir ebenso mitgerissen,

durch Tod, Welt, Sünd und Not hindurch.

Davon singen wir mit der 6. und 7. Strophe:


112,6+7


Die Auferstehung lässt uns lachen und jubeln,

sie lässt uns den Lasten und Sorgen des Alltags die Stirn bieten.

Die Auferstehung ist aber nicht nur etwas,

was uns dermaleinst erwartet, am Ende der Zeiten.

Sie lässt uns schon jetzt nach Niederlagen wieder aufstehen.

Sie lässt uns den Aufstand wagen gegen todbringende Mächte

und gibt uns den Mut, es mit den Dunkelheiten aufzunehmen.

Den Dunkelheiten in der Welt und in uns.


Weil Christus auferstanden ist,

sind diese Worte mehr als ein Pfeifen im dunklen Wald.

Christi Auferstehung reißt uns mit,

sie ist eine Energie, ein Schwung,

der uns gar nicht erst zum Nachdenken

oder gar zum Grübeln kommen lässt,

sondern uns geradezu leichtsinnig und übermütig macht.


Und bevor wir uns besorgt fragen können,

ob wir das schaffen, haben wir es schon geschafft.

Wir sind schon hindurch, weil Christus uns den Weg bahnt

und weil wir an ihm festhalten.

Das Festhalten an Christus gibt uns Halt,

wie es Paul Gerhardt Halt gegeben hat

und die Zuversicht, die ihn dieses Lied schreiben ließ.

Dieser Halt bleibt uns auch und gerade,

wenn Jubel und Überschwang des Osterfestes hinter uns liegen.


Schweres, Leid und Schmerzen bleiben uns nicht erspart.

Eines - hoffentlich noch fernen - Tages

wird sich auch unser Lebenskreis vollenden.

Hier schließt sich auch der Kreis des Liedes.

In der ersten Strophe schwang er sich vom Grab zum Himmel auf.

In der letzten blickt er von der Himmelspforte aus

zurück auf das Leben.


Man mag sich eine Himmelspforte heute nicht mehr vorstellen,

ein womöglich metallenes Tor mit einem Messingschild,

gar einem Klingelknopf.

So befremdlich das Bild von der Himmelspforte und den

„güldenen Worten” über ihr sein mag,

die Worte selbst sind keine leere Parole,

wie sie früher auf Wänden und Transparenten zu lesen waren.

Es sind die Worte des Auferstandenen,

die unserem Leben ein gutes Ende versprechen.

Von diesem guten Ende her

hören wir den Auferstandenen zu uns sprechen,

wie er uns zusagt:

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”


So lassen Sie uns diese Predigt und das Lied beschließen

mit seiner letzten Strophe:


EG 112,8