Sonntag, 12. Mai 2024

das Wesentliche

Predigt zur Konfirmation am Sonntag Exaudi, 12. Mai 2024, über Johannes 16,5-15


„Bitte … zähme mich!”, sagte der Fuchs.

„Ich möchte wohl”, antwortete der kleine Prinz,

„aber ich habe nicht viel Zeit.

Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.”

„Man kennt nur die Dinge, die man zähmt”, sagte der Fuchs.


Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

liebe Eltern und Paten,

liebe Gemeinde,


wie die Zeit vergangen ist!

Vor anderthalb Jahren begann für euch

der Konfirmandenunterricht am Dom.

Mit dem heutigen Tag liegt er hinter euch.


Wie die Zeit vergangen ist!

Diesen Satz werdet ihr heute vielleicht öfter hören,

wenn sich eure Eltern und Verwandten an früher erinnern,

als ihr noch sooo klein wart;

wenn Fotos oder Filme aus eurer Kindheit hervorgeholt

und voller Rührung betrachtet werden.

Seht es ihnen nach:

Heute sind sie nicht nur stolz auf euch,

sondern auch traurig darüber,

dass eure Kindheit nun endgültig vorbei ist.


Mit der Konfirmation geht ihr über eine Schwelle

und lasst eure Kindheit hinter euch zurück.

Ihr seid noch keine Erwachsenen,

aber ihr seid auch keine Kinder mehr.


Wie der kleine Prinz seid ihr dabei,

Freundinnen und Freunde zu finden

und viele Dinge kennen zu lernen.

Und während es euch schien,

als hättet ihr dafür alle Zeit der Welt,

sind anderthalb Jahre wie im Flug vergangen.


In diesen anderthalb Jahren gehörte zu den vielen Dingen,

die ihr in der Schule gelernt habt,

bei den vielen Trainingseinheiten und Übungsstunden,

auf Reisen oder durch Begegnungen mit anderen

auch die Kirche und der Glaube.


Glaube und Kirche sind eine Welt,

mit der man normalerweise wenig zu tun hat.

In der nächsten Zeit werden sie keine große Rolle für euch spielen.

Das muss so sein.

Schließlich gibt es für euch noch so viel zu entdecken und zu erleben!

Und außerdem muss man oft erst weggehen

und Abstand gewinnen, um zu merken,

was man an einer Sache hatte

und was sie einem bedeutet.


Auch Jesus geht weg, wie das Evangelium erzählt.

Die 40 Tage von Ostern bis zur Himmelfahrt

sind ein langer Abschied.

Am heutigen Sonntag blicken wir bereits auf diesen Abschied zurück.

Jesus ist nicht mehr da.

Der Tröster, den er schicken will, ist noch nicht gekommen.

Ein Schwebezustand wie der, in dem sich der kleine Prinz befindet:

Er hat nicht viel Zeit,

bevor er auf seinen Asteroiden zurückkehren muss, zu seiner Rose.

Soll er seine wenige Zeit dazu verwenden, den Fuchs zu zähmen?


„Was heißt ‚zähmen’?”, fragte der kleine Prinz.

„Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache”, sagte der Fuchs.

„Es bedeutet: sich ‚vertraut machen’.”


Sich vertraut machen, vertraut werden mit etwas,

das gelingt durch Übung und Wiederholung.

Ihr kennt das aus der Schule,

von den vielen Stunden des Trainierens und Übens.


Vertraut werden, sich vertraut machen ist auch die Art,

wie man den Glauben kennenlernt.

Darum die vielen Gottesdienste, die ihr besucht habt,

darum die wöchentlichen Treffen zum Konfirmandenunterricht.

Es ging dabei nicht so sehr darum,

Wissen über den Glauben anzuhäufen.

Sondern darum, den Glauben als Lebenshaltung kennen zu lernen.

Und damit vertraut zu werden, wie man ihn leben kann.


Die Wahrheit, um die es dem Glauben geht,

ist nicht die empirische Wahrheit,

die man messen, wiegen, beweisen oder logisch herleiten kann.

Die Wahrheit ist ein Geheimnis,

das nicht verstanden wird, sondern plötzlich einleuchtet.


Eure Konfirmandenzeit war also eine Art „Zähmen”.

Wir haben uns kennen gelernt,

haben uns aneinander gewöhnt,

sind vielleicht sogar ein wenig Freunde geworden

wie der kleine Prinz und der Fuchs.


Viel wichtiger war,

dass ihr euch mit einem anderen vertraut gemacht habt.

Er brauchte sich nicht mit euch vertraut zu machen,

denn er kennt euch seit eurer Geburt

und hat euch seitdem in jedem Augenblick eures Lebens begleitet.

Ich spreche natürlich von Gott.


Hier, im Dom, seid ihr ihm begegnet.

Im Gottesdienst.

Wenn wir zum Schluss der Stunde das Vaterunser beteten

und miteinander den Segen sprachen.

In besonderen Momenten, die ihr für euch allein

hier im Dom erlebt habt.


Dass wir Gott begegnen können, das macht der „Tröster”,

der Heilige Geist.

Wir müssen nicht auf ihn warten wie die Jünger im Evangelium.

Wir haben ihn bei der Taufe erhalten, er ist bei uns.

Damit er bei uns sein kann, musste Jesus weggehen.

Damit wir Gott nahe sein können, muss Gott weg sein -

ist das nicht paradox?


„Ach”, sagte der Fuchs, „ich werde weinen.”

„Das ist deine Schuld”, sagte der kleine Prinz,

„ich wünschte dir nichts Übles,

aber du hast gewollt, dass ich dich zähme …”

„Gewiss”, sagte der Fuchs.

„Aber nun wirst du weinen!” sagte der kleine Prinz.

„Bestimmt”, sagte der Fuchs.

„So hast du also nichts gewonnen!”

„Ich habe”, sagte der Fuchs, „die Farbe des Weizens gewonnen.”


Der kleine Prinz hatte, wir erinnern uns, weizenblondes Haar.

Bisher war dem Fuchs der Weizen gleichgültig gewesen.

Nun erinnerte er ihn an den kleinen Prinzen, seinen Freund.


Jesus geht weg, damit wir uns an ihn erinnern.

Das, was uns an ihn erinnert: das ist das Geheimnis.


Euer Konfirmandenunterricht war das,

was der Weizen für den Fuchs ist:

Im besten Fall etwas, das euch an das Wesentliche erinnert.

Nicht nur an diesen schönen Dom,

sondern an den, zu dessen Ehre er erbaut wurde.

Im Unterricht haben wir versucht,

euch mit Gott vertraut zu machen,

damit ihr eines Tages das Geheimnis des Glaubens entdeckt.


Man kann es nicht erklären - dann wäre es ja kein Geheimnis.

Man kann es auch nicht zeigen.

Jede und jeder muss es für sich selbst finden,

wie der Fuchs die Farbe des Weizens gewann:

Indem man mit dem Glauben vertraut wird.


Das vertraut Werden hat mit eurer Konfirmandenzeit begonnen.

Die Konfirmation ist nicht das Ende,

sondern der Anfang des Weges,

auf dem ihr mit Gott vertraut werdet.

Der Tröster, der Heilige Geist,

den wir heute für euch erbitten,

wird euch alles lehren, was ihr braucht,

um das Geheimnis des Glaubens zu entdecken.


„Adieu”, sagte der kleine Prinz.

„Adieu”, sagte der Fuchs. Hier ist mein Geheimnis.

Es ist ganz einfach.

Man sieht nur mit dem Herzen gut.

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.”


Ihr seid auf dem Weg, viele Dinge kennen zu lernen,

Freundinnen und Freunde zu finden.

Viele behaupten zu wissen, was wesentlich ist,

und wollen eine:n davon überzeugen.

Man soll sich auf eine Seite stellen,

man soll für eine Sache sein und gegen eine andere,

man soll bestimmte Leute gut finden und andere schlecht.


Der Glaube nimmt der Welt gegenüber eine andere Haltung ein.

Er unterscheidet zwischen der Welt,

die uns umgibt und die ihr zu entdecken beginnt, und Gott.

Gottes Wirklichkeit steht der Welt gegenüber.

Wenn man sich auf Gottes Seite begibt,

gewinnt man ein kritisches Gegenüber zur Welt,

gewinnt die Freiheit, seine eigene Seite zu wählen,

seine eigenen Freundinnen und Freunde.


Im Evangelium heißt es, dass der Tröster,

der Heilige Geist der Welt die Augen auftut.

Wer sehen will, erkennt:

das Wesentliche ist nicht das, was die Welt bietet.

Die Welt ist bunt, aufregend, spannend, wunderschön;

auch leidvoll, ungerecht, gemein und gefährlich.

Aber sie ist nicht das Wesentliche.

Das Wesentliche erkennt man nur mit dem Herzen.


Ich wünsche euch viele schöne, aufregende,

bereichernde Erlebnisse und Erfahrungen mit der Welt.

Ich wünsche euch, dass ihr so viel wie möglich kennen lernt,

das Leben genießen könnt und viele Freund:innen gewinnt.


Und vielleicht erinnert ihr euch eines Tages an ein Geheimnis,

das ihr gewonnen habt:


Das Geheimnis, dass Gott euch über alles liebt.

Dass Gott euch annimmt, so, wie ihr seid.

Und dass Gott über die Maßen stolz auf euch ist -

so, wie es eure Eltern und Paten heute sind.

Und Matthias und ich sind es auch.