Sonntag, 26. Mai 2024

man hat es - oder man hat es nicht

Predigt am Sonntag Trinitatis, 26.5.2024, über Epheser 1,3-14:


Gepriesen sei Gott.

Er ist der Vater unseres Herrn Jesus Christus.

Er hat uns in Christus gesegnet

mit allem geistlichen Segen im Himmel.

Bevor der Grund der Welt gelegt wurde,

hat er uns ja in ihm ausgewählt.

Wir sollen vor Gott leben heilig und untadelig, in Liebe.

Durch Jesus Christus hat Gott schon im Voraus bestimmt,

dass wir seine Kinder sein sollen.

Das entsprach seinem guten Willen.


In Jesus, dem Geliebten, hat er uns seine Zuneigung geschenkt.

Dadurch wurde sie für alle Welt erkennbar.

In Christus wurde uns die Erlösung durch sein Blut zuteil.

Die Sünden wurden uns vergeben,

weil Gottes Wohlwollen für uns so gewaltig ist.

Er hat uns noch größere Zuneigung gezeigt,

indem er uns Weisheit und Einsicht gab.


Weil Gott uns wohlgesonnen ist,

hat er uns das Geheimnis seines Willens offenbart.

Gott hatte beschlossen,

seinen Heilsplan durch Christus zu verwirklichen,

wenn die Zeit sich erfüllt hat.

Alles soll in Christus zusammengefasst sein:

Das, was im Himmel ist, und das auf der Erde, in ihm.


In ihm sind auch wir berufen worden.

Wir wurden im Voraus dazu bestimmt.

Es war der Wille dessen, der alles bewirkt,

wie es sein Wille beschlossen hat.

Wir, die wir im Voraus auf Christus gehofft haben,

sollen durch unser Beispiel dazu dienen,

dass Gottes Herrlichkeit gelobt wird.


In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört,

die gute Nachricht eurer Rettung.

Weil wir an ihn glauben,

sind wir bezeichnet worden mit dem Heiligen Geist,

der versprochen worden war.

Er ist eine Anzahlung auf unser Erbe.

Weil wir Gottes Eigentum sind, werden wir erlöst,

damit Gottes Herrlichkeit gelobt wird.



Liebe Schwestern und Brüder,


einer hat’s, der andere hat’s nicht.

Wenn jemand etwas hat, was andere nicht haben,

weckt das Neid, Bewunderung oder Sehnsucht:

Das hätte ich auch gern,

das würde ich auch gern können.


Es - das kann Verschiedenes sein:

- die Lösung, die jemand mit Leichtigkeit findet,

während andere sich vergeblich mit der Aufgabe abmühen;

- das Geschick, mit dem jemand alles hin bekommt,

während andere an jeder Hand nur Daumen haben;

- Musikalität: jemand kann singen oder ein Instrument spielen,

anderen fehlt diese Gabe;

- Beliebtheit: Jemand steht immer im Mittelpunkt des Interesses,

während ein anderer nie beachtet wird.


Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen.


Eine hat’s, die andere hat’s nicht.

Auch der Glaube gehört dazu:

Einige haben ihn, viele haben ihn nicht.

Und die ihn nicht haben, werden immer mehr.

In der Kirche rätseln wir darüber,

warum ihn so viele nicht oder nicht mehr haben.

Woran das liegen könnte.

Und warum man den Glauben offenbar gar nicht vermisst,

wenn man ihn nicht hat.


„Bevor der Grund der Welt gelegt wurde,

hat Gott uns in Christus ausgewählt.”

Das könnte die Antwort auf die Frage sein,

warum manche glauben und viele nicht:

Man muss dazu auserwählt sein.


Was bedeutet es, auserwählt zu sein?

Die Bibel erzählt davon,

dass Gott eine Beziehung

mit einem ganz bestimmten Menschen eingegangen ist:

Mit Abraham.

Mit ihm schloss er einen Bund:

Das Versprechen, dass diese Beziehung weitergeht

durch alle Generationen hindurch, bis heute.


Zuerst war es eine Familie: Abraham und Sara,

dann Isaak und Rebekka,

dann Jakob, der mit Lea und Rahel zwölf Söhne hatte

und „Israel” genannt wurde.


Aus einer Familie wurde in Ägypten ein Volk,

das Mose aus der Sklaverei befreite.

In der Wüste, am Berg Sinai,

bekräftigte Gott den Bund mit seinem Volk.

Israel erhielt von Gott die Gebote.

Die Gebote, Grundlage der Beziehung

zwischen Gott und seinem Volk.

Sie sind das Zeichen der Erwählung.

Durch die Gebote wird das Volk Israel zum Volk Gottes.


Erwählung bedeutet also,

was der Epheserbrief so beschreibt:

„Weil Gott uns wohlgesonnen ist,

hat er uns das Geheimnis seines Willens offenbart.”

Gottes Wille kommt in seinen Geboten zum Ausdruck.

Wer diese Gebote kennt, der, die ist auserwählt.

Auserwählt, in einer Beziehung mit Gott zu sein,

Gottes Kind zu sein.


Diese Beziehung zu Gott besteht nicht

in einer verwandtschaftlichen Beziehung

zu den Nachkommen Abrahams.

Sie entsteht durch das Wissen um Gottes Willen,

durch die Gebote.

Darum heißt es in der jüdischen Überlieferung,

dass die Seelen aller Glaubenden am Sinai waren,

als Gott Israel die Gebote gab,

auch die Seelen derer, die erst noch geboren werden würden.


Wer die Gebote kennt und danach lebt,

kurz: wer an Gott glaubt, ist auserwählt.

Das gilt auch umgekehrt:

Die Tatsache, dass man an Gott glaubt,

zeigt an, dass man von Gott ausgewählt wurde.

Man ist nicht erwählt wegen der Abstammung

oder wegen einer bestimmten Fähigkeit,

sondern weil man glaubt.


So steht es auch im Epheserbrief,

und der geht noch einen großen Schritt weiter:

„Bevor der Grund der Welt gelegt wurde,

hat Gott uns in Christus ausgewählt.”

„Bevor der Grund der Welt gelegt wurde”,

bevor irgendjemand da war, der glauben konnte.

Wie soll man sich das vorstellen?

Wie kann man jemanden auswählen,

die oder der noch gar nicht existiert?


Der Epheserbrief will mit diesem Bild

den Kreis ganz weit ausziehen.

Das Missverständnis, es hinge doch irgendwie

an einer Abstammung, einer Fähigkeit,

einer besonderen Eigenschaft

soll gar nicht erst aufkommen.

„In Christus” sind alle ausgewählt.


Wer „in Christus” ist, gehört zur Gemeinde.

Denn die Gemeinde ist der Leib Christi.

Oder, wie es der Epheserbrief beschreibt,

ein Gebäude, wie dieser Dom:

„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge,

sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,

erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten,

da Jesus Christus der Eckstein ist,

auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst

zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.”


Damit wird auch deutlich, was Erwählung nicht ist:

Sie ist keine Aussonderung, keine Grenzziehung,

kein „Wir sind auf der guten Seite, und ihr seid verloren.”

Erwählung ist vielmehr eine Einladung an alle,

sich in diesen Bau, in die Gemeinde einzufügen.


„In Christus habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört,

die gute Nachricht eurer Rettung.”

Die Einladung ergeht durch das „Wort der Wahrheit”.

Durch Gottes Wort.

Gottes Wort - das ist nicht nur die Bibel.

Es erscheint in vielerlei Gestalt:

als Predigt, als Lied, als Gebet.

Es erscheint in einer Tat der Nächstenliebe,

in Beistand und Solidarität.

In einem Ja zu einem Menschen,

einem Nein zu Menschenverachtung, Hass,

Ungerechtigkeit oder Ausgrenzung.


Wenn Menschen dieses Wort Gottes hören oder erleben,

kann das in ihnen den Glauben wecken.

Zuerst vielleicht als eine Unruhe, eine Frage, ein Suchen.

Als Erinnerung an ein Lied aus der Kindheit,

eine biblische Geschichte, einen Raum wie diesen Dom.


Menschen kommen zum Glauben durch Gottes Wort,

das sich in unterschiedlicher Gestalt zeigt.

Wenn sie zum Glauben kommen,

erfahren sie, dass sie ausgewählt sind.

Sie erfahren, dass sie Gottes Kinder sind.

Sie erfahren die Zuneigung, die Gott uns schenkt:

„In Jesus, dem Geliebten, hat Gott uns seine Zuneigung geschenkt.

Dadurch wurde sie für alle Welt erkennbar.”


An Gott liegt es also nicht,

dass manche glauben und viele nicht.

Woran liegt es dann?


Dass Gott alle Menschen liebt,

dass Gott alle Menschen einlädt,

Mitbürger der Heiligen und seine Hausgenossen zu werden,

sieht man an denen, die schon in seinem Hause ein und ausgehen:

an uns.


Sieht man es uns an?

Damit man es sehen kann, müssten wir es selbst glauben:

Wir müssten glauben, dass wir auserwählt sind,

dass wir zu Gott gehören, seine Kinder sind.

Und dass Gott uns über alles liebt.

Manchmal, in besonderen Momenten, glauben wir das.

Aber das genügt nicht.

Aus diesem Selbstverständnis, mit diesem Selbstbewusstsein

müssten wir immer leben, jeden Tag.

Nur so strahlen wir die Zuneigung aus, die Gott uns schenkt.

Nur so wird durch unser Beispiel Gottes Herrlichkeit gelobt -

und damit für andere hör- und erfahrbar.


Ach, wenn wir doch nur so leben könnten …!


Aber wir leben doch so!

Genau so sind auch wir zum Glauben gekommen:

Durch Menschen, die durch ihr Beispiel

Gottes Herrlichkeit lobten

und sie dadurch für uns erfahrbar und hörbar machten.

Durch Musik, die uns ergriff;

durch einen Gemeindechoral, das Singen in der Kantorei.

Weil andere uns einen Platz in ihrer Mitte einräumten.

Weil sie uns annahmen, wie wir waren

und uns spüren ließen: wir sind recht so, wie wir sind.

Weil sie uns ein Strahlen, ein Lächeln schenkten.


Wie wir es erfahren haben, so handeln wir auch:

Wir loben Gottes Herrlichkeit mit Gesang oder Orgelspiel;

wir laden Menschen in den Dom ein

als Aufsichtskräfte am Domtresen

oder als Kirchenführer in der Domführergilde.

Wir begegnen Menschen mit Freundlichkeit, mit Hilfsbereitschaft.

Wir stehen anderen bei, wir sagen Stopp, wir sagen Nein.

Wir sagen Ja zu Menschen, die andere hier nicht haben wollen.

Wir schenken unserer Nachbarin,

unserm Nachbarn in der Bank ein Lächeln.

Damit loben wir Gottes Herrlichkeit,

machen sie hör- und erfahrbar.


Eine hat’s, die andere hat’s nicht.

Wir alle haben Gottes Liebe erfahren.

Wir alle geben Gottes Liebe weiter.

Meistens ist es uns gar nicht bewusst, dass wir das tun.

Vielleicht, weil wir zu gering denken von dem, was wir tun.

Weil wir meinen, es müsste mehr, größeres sein.


Um den Glauben zu wecken, genügt ein Wort,

eine Erinnerung, eine Melodie.

Um Menschen in die Gemeinde einzuladen,

genügt ein wenig Freundlichkeit, genügt ein Lächeln.

Alles andere können wir getrost Gott überlassen.