Sonntag, 5. Mai 2024

Fürsprecher

Predigt am Sonntag Rogate, 5.5.2024, über 2.Mose 32,7-14:

Gott sprach zu Mose:

Auf, steige herab! Denn dein Volk,

das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast,

richtet Unheil an.

Schnell sind sie abgewichen von dem Weg,

den ich ihnen gebot.

Sie machten sich ein Jungstier-Gussbild

und beteten es an und opferten ihm und sprachen:

Das ist dein Gott, Israel,

der dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat.


Und Gott sprach zu Mose:

Ich kenne dieses Volk. Es ist wirklich hart-näckig!

Und nun lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrennt

und ich sie vertilge.

Danach will ich dich zu einem großen Volk machen.


Da besänftigte Mose den Zorn des Herrn, seines Gottes,

indem er sagte:

Herr, warum entbrennt dein Zorn gegen dein Volk,

das du aus dem Land Ägypten herausgeführt hast

mit großer Kraft und starkem Arm?

Warum soll Ägypten sagen:

Zu ihrem Unheil hat er sie herausgeführt,

um sie in den Bergen zu töten

und sie vom Antlitz der Erde zu vertilgen?

Wende dich doch von der Glut deines Zornes ab

und lass dich des Unheils für dein Volk gereuen.

Gedenke deiner Knechte Abraham, Isaak und Israel,

denen du bei dir selbst geschworen hast:

Ich will eure Nachkommen so zahlreich machen

wie die Sterne am Himmel.

Und dieses ganze Land, von dem ich sprach,

will ich euren Nachkommen geben,

und sie sollen es als Besitz erhalten für immer.

Da reute Gott das Unheil,

das er seinem Volk angedroht hatte.


Liebe Schwestern und Brüder,


manchmal muss man unfreiwillig mit anhören,

wie sich ein Paar streitet -

in der Schlange an der Kasse,

am Nachbartisch im Restaurant, oder im Bus.

Es ist unangenehm, Zeug:in eines solchen Streites zu werden.

Er erinnert an eigene Streitereien,

wie verletzend sie sein konnten,

und wie überflüssig sie letztlich waren.


Mit dem heutigen Predigttext

werden wir unfreiwillig Zeug:innen eines solchen Streites

zwischen Gott und Mose.

Gott sagt: Sieh mal, was dein Volk da treibt,

was ich ihm streng verboten habe!

Jetzt kann ich nicht anders, ich muss mich von ihm trennen.

Mose entgegnet respektvoll und doch sehr bestimmt:

Es ist dein Volk. Du hast es aus Ägypten befreit.

Was sollen denn die Leute denken,

wenn du dich jetzt von ihm trennst?

Und außerdem: Hast du ihm nicht etwas versprochen?


„Da reute Gott das Unheil,

das er seinem Volk angedroht hatte.”


I

So gehen unsere Streitereien selten aus,

dass die oder der, der den Streit anfing, am Ende Reue zeigt.

Wenn, dann kommt die Reue erst hinterher.

Sie kommt zu spät, um der anderen, dem anderen zu sagen:

So war das doch nicht gemeint!

Es ist dann schon etwas kaputt gegangen.

Es benötigt dann viel mehr Zeit und Kraft,

diesen Schaden zu heilen,

als nötig war, um ihn zu verursachen.


In der Beziehung Gottes zu seinem Volk

ist auch etwas kaputt gegangen.

Die Israeliten hatten die Beziehung aufgegeben.

Sie hatten das Warten aufgegeben.

Mose war auf den Gottesberg gestiegen,

um dort die Gebote zu empfangen.

Eine Wolke hatte ihn verschluckt;

seitdem hatte man nichts mehr von ihm

gehört oder gesehen.


Wie sollte es nun weitergehen?

Da sie ihren Anführer Mose offensichtlich verloren hatten,

forderten die Israeliten dessen Bruder Aaron auf,

ihnen einen Gott zu machen.

Der Gott des Mose hatte ja offenbar kein Interesse mehr an ihnen.

Aaron sammelte von den Israeliten das wertvollste,

das sie besaßen: ihre goldenen Ohrringe.

Er schmolz sie ein und goss sie in eine Form:

Das goldene Kalb.

Es wurde von den Israeliten sofort als Gott anerkannt und verehrt.


II

Dieses goldene Kalb verursacht eine Beziehungskrise

zwischen Gott und seinem Volk,

für das Mose stellvertretend als Fürsprecher eintritt.

Gott nimmt Mose als Anführer in die Verantwortung:

Sieh mal, was dein Volk da treibt!

Aber Mose zieht sich den Schuh nicht an,

den Gott ihm da zuschiebt:

Du hast es aus Ägypten befreit! Es ist dein Volk!, sagt er.


Mich erinnert das an die Reaktion von Eltern,

deren Kind etwas Dummes angestellt hat.

Da sagt eine zum anderen:

Dein Sohn hat mal wieder etwas ausgefressen!

Bei Hundebesitzern gibt es das auch:

Dein Hund muss mal wieder Gassi gehen!

Gemeint ist: Kümmere du dich darum.

Du bist dafür verantwortlich.


In ähnlicher Weise wird zwischen Gott und Mose

die Verantwortung für das Volk Israel hin- und hergeschoben.

Mose ist zwar sein Anführer,

aber mit dem goldenen Kalb will er nichts zu tun haben;

das war schließlich nicht seine Idee.


Die Beziehungskrise zwischen Gott und seinem Volk

endet beinahe tragisch.

Gott droht damit, endgültig Schluss zu machen:

„Lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrennt

und ich sie vertilge.”


III

„Lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrennt

und ich sie vertilge.”

Bei diesen Worten stockt einem der Atem.

Gott ist so wütend, dass er die Beziehung zu seinem Volk Israel,

in die er so viel investiert hat, einfach wegwerfen

und mit Mose noch einmal ganz von vorn beginnen will.

Gott wirft nicht nur die Beziehung weg.

Auch das Leben der Israeliten will er auslöschen.


Wer in einer Beziehung so schwer enttäuscht wurde,

steht kurz davor, alles hinzuwerfen.

Und wünscht wohl auch dem Partner, der Partnerin,

alles Übel der Welt, oder sogar den Tod an den Hals.

In unseren Beziehungen hat die Partnerin, der Partner,

der uns das angetan hat,

keinen Fürsprecher wie Mose, der einwendet:

Was sollen denn die Leute denken? und:

Erinnere dich daran, was du versprochen hast!


Fürsprache, das ist das Thema dieses Sonntags Rogate,

der dem Gebet gewidmet ist.

Gebet ist auch Fürbitte, Fürsprache für Menschen,

die keine Fürsprecher haben

oder sich nicht trauen,

weil ihre Beziehungen gestört oder zerbrochen sind.


Mose nimmt die Rolle des Fürsprechers an,

weil er als Anführer die Verantwortung für die Israeliten trägt.

Zu dieser Rolle gehört es,

Gott an seine Verantwortung zu erinnern:

Israel ist sein Volk, das Gott sich erwählt

und aus Ägypten befreit hat.

Diesem Volk will Gott mit seinen Geboten eine Zukunft geben,

die weiter reicht als die der anderen Völker.

Eine Zukunft, in die einmal

alle Menschen eingeschlossen sein werden.

Mit Gottes überbordendem Zorn

steht nicht nur die Zukunft seines Volkes,

es steht auch die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel.


IV

Die Geschichte ist zum Glück gut ausgegangen:

„Da reute Gott das Unheil,

das er seinem Volk angedroht hatte”,

auch wenn die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk

problematisch und krisenhaft blieb.

Die Geschichte ging gut aus,

weil Mose für die Israeliten Fürsprache einlegte.

Und weil Gott sich umstimmen ließ.


Gott lässt sich umstimmen,

indem Mose ihn auf seine Verantwortung anspricht:

Was sollen denn die Leute denken,

wenn du das Volk auslöscht,

das ihnen als Vorbild dienen soll?

Und was ist mit den Versprechen, die du gegeben hast?

Du hast sie nicht an Bedingungen geknüpft.

Sie gelten auch dann, wenn die Menschen nicht so sind,

wie du es dir von ihnen wünscht.


So wird die Geschichte vom goldenen Kalb

zum Trost für alle, deren Beziehung zu Gott

in eine Krise geraten ist.

Auf den ersten Blick ist diese Geschichte die einer Beziehungskrise.

Eine Geschichte von zerstörtem Vertrauen, gebrochenen Versprechen.

Aber weil Gott sich von Mose an seine Verantwortung erinnern lässt,

ist diese Geschichte eine Trostgeschichte.

Sie überzeugt uns davon,

dass Gott seine Beziehung zu uns niemals abbricht,

ganz gleich, was wir ausgefressen haben.

Sogar dann nicht, wenn es schlimme Fehler waren.

Selbst, wenn wir von uns aus die Beziehung zu Gott abbrechen

und goldenen Kälbern nachlaufen.

Gott vergisst nicht, was er uns versprochen hat.

Gott entlässt uns auch nicht aus der Verantwortung,

dass mit uns und durch uns

alle Menschen eine Zukunft haben sollen,

die Gottes Gebot zum Leitstern ihres Lebens erheben.


V

In unseren Beziehungen und Partnerschaften

hätten wir auch gern einen solchen Fürsprecher,

wie es Mose für das Volk Israel war.


Tatsächlich haben wir einen solchen Fürsprecher.

Er redet uns ins Gewissen,

wenn wir voller Zorn ausrasten;

wenn wir vergessen, was wir einmal versprachen,

oder wenn wir unsere Verantwortung nicht wahrnehmen wollen.

Es ist der Tröster, den Jesus seinen Jüngern angekündigt hat:

Der Heilige Geist.


In zwei Wochen, an Pfingsten, feiern wir,

dass er zu uns gekommen ist,

um immer bei uns zu bleiben.

Der Heilige Geist ist unser Fürsprecher bei Gott,

der für uns eintritt mit unaussprechlichem Seufzen.

Er ist auch Fürsprecher für die Menschen,

mit denen wir in einer Beziehung stehen.

Manchmal hören oder spüren wir sein Seufzen.


Der Heilige Geist erinnert uns daran,

dass wir zu Gottes Volk gehören.

Darauf können wir uns verlassen.

Darauf können wir bauen.

Darauf können wir vertrauen.

Dieses Vertrauen wird uns tragen,

durch, und über alle Krisen unseres Lebens hinweg.