Sonntag, 2. Juni 2024

The times they are a-changin

Predigt am 1.Sonntag nach Trinitatis, 2. Juni 2024, über Jeremia 23,16-29

So spricht der Herr Zebaoth:

Ihr sollt nicht auf die Worte der Propheten hören, die euch predigen.

Sie halten euch zum Narren.

Sie reden, was ihre Herzen ihnen eingeben,

nicht, was der Mund des Herrn sagt.

Denen, die mich nicht achten, sagen sie:

Der Herr sagt: Friede sei mit euch!

Und allen, die in ihrer eigenen Welt gefangen sind, sagen sie:

Euch wird nichts Schlimmes passieren.

Fürwahr, wer stand im Rat des Herrn und sah und hörte sein Wort?

Wer hörte genau hin auf mein Wort und nahm es wahr?

Seht, ein Sturm des Herrn! Sein Zorn bricht hervor.

Der Sturmwind wirbelt. Er kommt über die Häupter der Bösartigen.

Gottes Zorn wird nicht aufhören,

bis er seine Absichten verwirklicht und zustande gebracht hat.

Am Ende der Zeiten werdet ihr es verstehen.


Ich habe die Propheten nicht beauftragt, aber sie wuseln umher.

Ich habe nicht zu ihnen gesprochen, aber sie predigen.

Hätten sie in meinem Rat gestanden,

hätten sie mein Volk mein Wort hören lassen

und sie von ihren bösen Wegen abgehalten

und von ihren bösen Taten.

Bin ich ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr,

und nicht ein Gott, der fern ist?

Kann sich ein Mensch im Versteck verbergen,

und ich sehe ihn nicht?, spricht der Herr.

Habe nicht ich Himmel und Erde mit Leben erfüllt?, spricht der Herr.


Ich habe gehört, was die Propheten sagen,

die in meinem Namen Lüge predigen und sagen:

„Mir träumte, mir träumte!”

Wie lange haben die Propheten vor, Lügen zu verbreiten

und zu predigen, womit sie sich selbst betrügen?

Mit ihren Träumen, die ein jeder seinem Freund erzählt,

wollen sie erreichen, dass mein Volk meinen Namen vergisst.

So vergaßen ihre Väter meinen Namen wegen des Baals.


Ein Prophet, der einen Traum hat, erzähle seinen Traum.

Wer aber mein Wort hat, verkünde mein Wort wahrhaftig.

Was soll der Häcksel zwischen dem Weizen?, spricht der Herr.

Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr,

und wie ein Schmiedehammer, der Felsen zerschlägt?


Liebe Schwestern und Brüder,


the times they are a-changin’ - es kommen andere Zeiten

sang Bob Dylan 1964 auf seinem Album mit dem gleichnamigen Titel.

Ich denke, man kann sagen, dieses Album war prophetisch.

Nicht, weil es einen Zeitenwandel voraussagte.

Der trat tatsächlich schon ein Jahr später ein,

mit den Protesten gegen den Vietnam-Krieg.

Proteste, die zur Flower-Power-Bewegung führten.

Diese Bewegung inspirierte wiederum die 68er-Revolten in Frankreich

und dann auch in Deutschland.

Ein gewaltiger historischer Einschnitt, der eine ganze Generation geprägt hat.


Nicht weil er vom Wandel der Zeiten singt,

sind Bob Dylans Lieder prophetisch.

Die Zeiten sind ständig im Wandel begriffen.

Andauernd müssen wir auf Veränderungen

und neue Herausforderungen reagieren.

Doch man muss wohl eingestehen,

dass die Herausforderungen des letzten Jahrzehnts

besonders gravierend gewesen sind:

Die großen Flüchtlingsströme aus Syrien

und die bis heute im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge aus Afrika.

Die Covid-Pandemie.

Die Annexion der Krim und der Überfall Russlands auf die Ukraine,

der ein neues Wettrüsten in Gang gesetzt hat.

Die globale Erwärmung, durch die das Wetter

immer verrückter und gefährlicher wird,

und die uns vor die Entscheidung stellt, ob wir bereit sind,

unsere Lebens- und Wirtschaftsweise jetzt zu ändern,

um die Erderwärmung vielleicht doch noch im Rahmen

des 2-Grad-Ziels zu halten.


Obwohl viele ihrer Prophezeiungen sich auf die Zukunft beziehen,

sind Propheten keine Wahrsager.

Sie beschreiben, wie die gegenwärtigen Lage ist.

So singt Bob Dylan die Ballade von Hollis Brown,

der seine Familie und sich erschießt,

weil sie nichts mehr zu essen haben und keine Aussicht auf Hilfe.

Er singt vom einsamen Tod der Hattie Carroll, einer schwarzen Serviererin,

die von einem jungen weißen Sohn reicher Eltern

grundlos niedergeschlagen wurde und starb.

Für den Mord wurde er zu gerade einmal sechs Monaten Haft verurteilt.


Bob Dylan benennt Ungerechtigkeiten,

die es heute noch genau so in den USA gibt.

Vielleicht ist es heute sogar schlimmer als vor 60 Jahren.

Weil die republikanische Partei mit allen Mitteln an ihrer Macht festhält

und ihr Präsidentschaftskandidat, der gerade rechtskräftig verurteilt wurde,

schon jetzt die Wahl für gefälscht erklärt,

sollte er in einem halben Jahr nicht gewählt werden.


Ungerechtigkeit ist nicht nur ein Problem der fernen USA.

Auch in unserem Land gelingt es nicht, den Wohlstand gerecht zu verteilen.

Wenn Menschen vor Hunger oder Krieg zu uns fliehen,

wächst die Angst auf Seiten der Ärmeren, es könnte für sie nicht mehr reichen.

Wächst der Neid auf die, die Hilfe erhalten, ohne dafür gearbeitet zu haben,

während die, die es ihr Leben lang taten,

mit einer Rente leben müssen, die kaum zum Leben reicht.


Neid und Angst, die manche ausnutzen und schüren,

um von den wahren Problemen abzulenken.

Flüchtlinge werden zu Sündenböcken gemacht

und zu Menschen zweiter Klasse erklärt von Leuten,

die wieder von einer „deutschen Herrenrasse” träumen

und denen das Schicksal der Rentnerinnen und Rentner herzlich gleichgültig ist.

Sie sind ihnen nur Mittel zum Zweck.


Was hat das alles mit dem Glauben,

was hat das mit wahrer Prophetie, was hat das mit Gott zu tun?

Das ist doch alles Politik,

das hat in einer Kirche, das hat auf einer Kanzel nichts zu suchen.


Es stimmt: Seit dem Ende des 1.Weltkrieges

sind Kirche und Staat in unserem Land getrennt.

Schon Israels Könige haben ihre politischen Entscheidungen

und ihren Glauben streng voneinander getrennt gehalten -

was neben der schreienden Ungerechtigkeit,

die ein Prophet wie Amos anprangert,

ein Grund war, warum die Propheten auftraten:

Sie kritisierten die politischen Entscheidungen der Könige

im Auftrag und im Namen Gottes.

Jeremia war wohl der Prophet,

der sich am stärksten in die Politik einmischte

und dafür mehrmals verhaftet und eingesperrt wurde.


Bob Dylan ist kein Prophet, wie Jeremia es war.

Solche Propheten, die Gott sandte, um seinem Volk die Leviten zu lesen,

gibt es heute nicht mehr.

Niemand würde heute behaupten,

er habe seine Botschaft direkt von Gott erhalten.

Aber vielleicht war es auch früher schon anders,

als es bei den biblischen Propheten erscheint:

Vielleicht haben auch die damaligen Propheten

keine Stimme gehört, die ihnen diktierte, was sie sagen sollten.

Sondern haben beschrieben, wie die Lage in ihrer Gegenwart war

und sie im Licht von Gottes Wort betrachtet:

Ein Wort wie Feuer, das Licht ins Dunkel bringt

und Unterschiede deutlich hervortreten lässt.

Ein Wort wie ein Schmiedehammer,

das fest sitzende Vorurteile und Lügengebäude zertrümmert.


Von außen ist ein Prophet nicht zu erkennen.

Er, sie ist ein Mensch wie Sie und ich.

Erst, wenn er, wenn sie die Stimme erhebt, wird er zum Propheten.

Ihre Stimmen erheben die Lügenpropheten ebenso wie Jeremia.

Wie soll man sie voneinander unterscheiden?

Wenn Propheten die Zukunft vorhersagen würden,

könnte man den wahren Propheten daran erkennen,

dass eintritt, was er prophezeite.


Das wird gern gegen jene eingewandt, die vor etwas warnen:

Den Jugendlichen, die sich in den 80ern aus Angst vor einem Atomkrieg

und vor der Umweltzerstörung im Osten in Umweltgruppen trafen

oder im Westen auf die Straße gingen

und den Jugendlichen, die heute aus Angst vor dem Klimawandel protestieren,

sagte und sagt man, sie würden maßlos übertreiben,

es würde schon nicht so schlimm kommen, wie sie es befürchten.


Das Problem ist, dass wir nicht warten können bis sich erweist,

dass die Warner und Mahner doch recht hatten.

Es nützt uns hinterher auch nichts, dass sie richtig lagen,

weil dann alles zu spät, alles zerstört ist.


Die falschen Propheten predigen ihre Träume.

Und sie sagen ihren Zuhörern, was sie hören wollen.

Denen, die ihr Denken und Handeln nicht hinterfragen wollen,

ob es gut ist und richtig, sagen sie, dass Gott sie lieb hat, wie sie sind,

und dass sie sich nicht zu ändern brauchen.

Denen, die sich ihr eigenes Weltbild zimmern,

die kreuz- und querdenken, an Verschwörungstheorien glauben,

die dem Staat und der „Lügenpresse” nicht mehr trauen

und den Klimawandel nicht wahrhaben wollen,

sagen sie, dass alles in Ordnung ist, dass alles gut wird.


Wer dagegen mit Gottes Wort umgeht,

kann sich die Finger oder, wie der Prophet Jesaja,

die Lippen verbrennen.

Wer sich dieses Wort zu Herzen nimmt,

wer genau hinhört und nicht nur hört, was er hören will,

dem wird es die Illusionen zertrümmern und einen Spiegel vorhalten,

in dem man die Wahrheit über sich ungeschminkt erkennt.


Gottes Wort ist Liebe.

Liebe, die sich für Schwache einsetzt

und Ungerechtigkeit leidenschaftlich bekämpft.

Liebe, die bei der Wahrheit bleibt, auch wenn sie schmerzhaft ist,

die niemanden bevorzugt, niemandem etwas zu Gefallen tut.

Gottes Wort ist Liebe,

die allen Menschen gilt, den Nahen und den Fernen.

Eine Liebe, der jede und jeder zum Nächsten wird,

die mit jeder und jedem mitleidet und sich mit freut.


Gottes Wort ist Liebe,

und darum ist es politisch.

Es mischt sich in unsere Beziehungen ein.

Es mischt sich in unsere Gesellschaft ein, in unseren Umgang miteinander.

Immer wieder beruft Gott Menschen, die sagen, was ist und wie es ist.

Die uns den Spiegel vorhalten

und uns im unbarmherzig-barmherzigen Licht der Liebe erkennen lassen,

wie sehr Gott uns, unsere Mitmenschen und diese Welt liebt

und deshalb will, dass wir für sie eintreten, sie beschützen und bewahren.


Propheten sagen nicht die Zukunft voraus,

sie sagen, was ist, und wie es ist.

Aber wenn Gottes Wort sie bewegt und ergreift,

wenn Gottes Liebe sie erfüllt,

dann sprechen sie auch von einer Hoffnung,

die die Gegenwart übersteigt.

Sie wecken die Hoffnung in uns, dass die Mühe sich lohnt

und dass unsere Tränensaat einmal eine reiche Ernte einbringen wird.


The times they are a-changin’ - es kommen andere Zeiten.

Die kommenden Zeiten sind nicht nur Veränderungen zum Schlechteren.

Veränderungen sind ohnehin nicht per se schlecht.

Sie sind anstrengend, sie verunsichern.

Und schaffen neue Möglichkeiten, mischen die Karten neu.

In allen Veränderungen ist Gott an unserer Seite.

In allen Veränderungen möchte Gott,

dass wir an der Seite derer stehen,

die unter die Räder des Fortschritts geraten

und in die Mühlen der Bürokratie.

Gott möchte, dass wir sagen, was ist, und wie es ist,

und dass wir uns und anderen nichts vormachen.

Dafür schenkt Gott uns Hoffnung, die alles übersteigt,

was diese Welt uns geben kann.

Hoffnung über den Tod hinaus.