Sonntag, 9. Juni 2024

du gehörst dazu

Predigt am 2. Sonntag nach Trinitatis, 9.6.2024, über Epheser 2,11-22:

Erinnert euch, dass ihr, von der Herkunft Heiden,
einst „Unbeschnittene” genannt wurdet
von der sogenannten „Beschneidung”,
die mit der Hand am Körper vorgenommen wird.
Zu jener Zeit wart ihr ohne Christus.
Ihr wart von der Bürgerschaft Israels ausgeschlossen,
hattet keinen Anteil an den Bundesschlüssen der Verheißung,
wart ohne Hoffnung und ohne Gotteserkenntnis in der Welt.
Jetzt aber steht ihr, die ihr einst fern wart,
in Christus Jesus Gott nah durch das Blut Christi.
Denn er ist unser Friede.
Er hat beide, Juden und Heiden, vereint.
Dadurch hat er die durch die Abgrenzung gebildete Trennung,
die Feindschaft, in seinem Leib aufgehoben.
Er setzte das Gesetz der Gebote, die aus Verordnungen bestehen,
außer Kraft und schuf in sich beide, Juden und Heiden,
zu einem neuen Menschen.
Dadurch machte er Frieden.
Er versöhnte beide miteinander für Gott durch das Kreuz
zu einem Leib, indem er die Feindschaft in sich selbst tötete.
Und er kam und verkündete Frieden
euch, den Fernen, und Frieden den Nahen.
Denn durch ihn haben wir beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
Also seid ihr nun nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht,
sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes,
erbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten
zu einem Gebäude, dessen Eckstein Christus Jesus ist.
Durch ihn wird das ganze Bauwerk zusammengehalten.
Durch ihn wächst es zu einem heiligen Tempel im Herrn.
In ihn seid auch ihr mit eingefügt
zu einer Wohnung Gottes im Geist.


Liebe Schwestern und Brüder,

wir“ gehören leider nicht mehr dazu.
Wir“ haben uns nicht in der 2. Bundesliga halten können,
sondern sind wieder nur drittklassig.
Für die Fans von Hansa Rostock
ist eine entscheidende Frage fürs erste beantwortet,
nämlich die Frage: Gehören wir dazu?
Hansa gehört nicht mehr dazu – zur 2. Bundesliga.
Gehören wir dazu? Gehöre ich dazu?
Vor ein paar Tagen gab es einen sehr bewegenden Bericht im Ersten
unter dem Titel „Einigkeit und Recht und Vielfalt”
über die Spieler der Nationalmannschaft,
die einen Migrationshintergrund hatten
wie Gerald Asamoah oder Mesut Özil.
Welche Erfahrungen sie machen mussten und immer noch machen:
Dass sie so gut spielen können wie sie wollen,
sie werden von vielen Deutschen nicht als Mitbürger angesehen.
Gehöre ich dazu?
Für viele ist es nicht selbstverständlich,
eine Bürgerin, ein Bürger dieses Landes zu sein.
Obwohl sie hier geboren wurden.
Obwohl sie bairisch, plattdeutsch oder schwäbisch sprechen,
wie unser Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Wegen ihrer Hautfarbe,
wegen der Herkunft ihrer Eltern, Großeltern, oder ihrer Vorfahren,
wegen ihres Glaubens oder ihrer Muttersprache
werden sie als Fremde angesehen, und nicht als Mitbürger.

l
Gehöre ich dazu?
Die Frage nach der Nähe wird auch anders herum gestellt:
Wir selbst werden einsortiert in Gruppen und Grüppchen:
Ist das eine, ist das einer von uns?
Eine andere Meinung, eine andere politische Gesinnung,
eine andere Weise zu leben, zu lieben
oder den eigenen Glauben auszudrücken
können schnell zum Außenseiter stempeln.
Zu einem, zu einer, die nicht dazugehört.
Auch in der Kirche kommt das vor.
Es gibt den harten Kern der Gemeinde,
die, die regelmäßig in den Gottesdienst gehen,
die sich auskennen und einbringen.
Und es gibt die, die selten kommen,
die mal vorbeischauen, und dann auch wieder Abstand suchen.
Es gibt Menschen, die regelmäßig beten und in der Bibel lesen
und solche, die sich nur in Ausnahmezeiten des Lebens an Gott wenden.
Wie ist es mit uns?
Die meisten von uns möchten wohl gern dazugehören.
Und nicht nur das: wir möchten möglichst nahe sein.
Da sein, wo das Leben pulsiert.
Wo die Entscheidungen getroffen werden.
Wo etwas passiert.
Vielleicht, weil wir hoffen, dass auch etwas mit uns passiert,
wenn wir möglichst nah an das Zentrum, an die Quelle kommen.
Dabei sein ist alles, schön und gut.
Mehr aber zählt: Nahe sein, dort, wo das Leben ist.
Nicht in der Dritten, sondern am liebsten in der Ersten Liga spielen.
Was kann man tun, um dorthin zu gelangen?

II
Alle wollen dazugehören, keine:r möchte außen vor bleiben.
Dadurch entsteht fast von selbst ein Verhalten,
das dafür sorgt, dass man dazugehört:
Man passt sich an.
Man entwickelt einen Instinkt dafür,
was man tun darf und was nicht.
Man spürt, wie man sich verhalten muss,
und wodurch man sich unbeliebt machen könnte.
Man richtet sich nach den unausgesprochenen
und dennoch allen bekannten Regeln des Zusammenlebens.
Zu bedauern sind die Fremden, die diese Regeln nicht kennen
und deshalb Außenseiter bleiben.
Am schlimmsten dran sind aber die,
bei denen man schon am Äußeren sieht, dass sie anders sind:
die mit den Tattoos oder den schrägen Klamotten;
die mit der anderen Hautfarbe, dem fremden Aussehen.
Das sind Menschen, die immer außen vor bleiben werden.
Zusammenleben geht nicht ohne Kompromisse.
Es geht nicht ohne Regeln und Vereinbarungen.
Im Gottesdienst folgen wir einer Gottesdienstordnung,
die uns in die Nähe des Heiligen führt und wieder hinaus.
Im Alltag sind es die Gesetze, die uns helfen, zusammenzuleben.
Aber anpassen ist auch anstrengend. Es hat seinen Preis.
Wer sich anpasst, kann nicht sein, wer man ist.
Wer sich zurücknimmt, kann nicht den Ton angeben.
Will man dazugehören, kann man sich nur bedingt ausleben,
mit angezogener Handbremse, sozusagen.
Wer sich derart anstrengen muss, es allen recht zu machen,
wird misstrauisch gegen jede, die sich traut, anders zu sein.
Gegen jeden, der sich traut, frei und unabhängig zu leben.
Jemand, der nicht so ist wie alle, fällt auf.
In der Schule. Im Beruf.
In der Gesellschaft. In der Kirche.
Vielleicht auch und gerade,
weil uns so jemand immer wieder daran erinnert,
wie viel es kostet, sich anzupassen,
und wie schmerzhaft es ist,
sich nicht so zeigen zu können, wie man ist.

III
Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben,
die zum Außenseiter geboren schienen
und dafür büßen mussten, dass sie anders waren.
Sie gehörten nicht dazu –
und wollten auch gar nicht dazugehören.
Schlimm traf es besonders die,
die sich durch ihren Glauben von der Mehrheit abgrenzten.
Sie ließen sich nichts zuschulden kommen,
hielten sich an die Spielregeln
und wurden doch als Fremde betrachtet.
Durch unsere ganze Geschichte hindurch
waren das immer wieder Menschen jüdischen Glaubens.
Sie wurden in Ghettos gedrängt, gebrandmarkt, vertrieben, verfolgt,
weil sie anders lebten, sich anders verhielten als die Mehrheit.
Das geschah ihnen nicht nur, weil sie anders waren.
Gleichzeitig hatten und haben Juden
allen anderen etwas voraus, worum sie immer beneidet wurden:
Sie haben den Zugang zu Gott, dem Vater.
Israel ist Gottes erwähltes Volk.
Anders sein und trotzdem – oder gerade deshalb –
besonders nahe an der Quelle des Lebens sein,
in der ersten Liga des Glaubens spielen:
das weckt Neid, und nicht nur Neid, auch Hass.

IV
Hinter dem Neid steckt vielleicht aber auch eine Sehnsucht;
die Sehnsucht, zu diesen anderen, den Außenseitern, gehören zu dürfen.
Zu denen, die sich nicht anpassen müssen.
Zu denen, die, ohne sich anzupassen,
dennoch – oder gerade deshalb – an der Quelle des Lebens sind.
Die Sehnsucht auch danach,
dass sich die Widersprüche in meinem Leben versöhnen mögen,
dass ich nicht kämpfen muss um Anerkennung,
um einen Platz an der Quelle,
sondern meinen Platz finde ohne Kampf.
Es ist die Sehnsucht nach Frieden.
Jesus Christus hat diesen Frieden gebracht:
Und zwar gleichermaßen den Fernstehenden
wie den Nahestehenden.
Er hat die Unterschiede aufgehoben zwischen denen,
die dazugehören und denen, die außen stehen;
durch ihn haben wir alle Zugang zur Quelle des Lebens.
Wie das geht?
Christus - der, der Gott ganz nahe ist,
so nahe wie niemand anders –
behält sein Nahesein nicht für sich selbst.
Er verschenkt sich an alle, die Zugang zu Gott suchen.
So, als ob der Anführer einer Gruppe
nicht entschiede, wer dazugehören darf und wer nicht,
sondern statt dessen auf andere zuginge und sie fragte:
Willst du nicht auch dabei sein?
Nur, dass es hier um mehr geht als ums Dabeisein.
Hier geht es um die erste Liga:
Es geht um den Zugang zu Gott.
Es geht um das Leben.

V
Hausgenossin, Hausgenosse Gottes - wie wird man das?
Wir werden Gottes Hausgenossen,
wenn jede und jeder sich einfügt, wie Steine zu einem Bau.
Nicht so sich einfügt, dass er sich klein macht,
dass sie sich anpasst, es allen recht zu machen versucht.
Sondern jede:r an seinem und ihrem Ort sich einfügt
als Stein des Tempels, der Gemeinde: als Teil des Leibes Christi.
Und das heißt, die Balance wagt
zwischen der Anpassung an die anderen Steine,
ohne die der Bau nicht halten würde,
und dem Anderssein, dem Bewahren der Eigenart.
Wenn jede:r alle seine und ihre Ecken und Kanten behält,
gibt es nicht genug Verbindungsfläche.
Dann wackelt es, dann gibt es keinen Zusammenhalt.
Und wenn alle gleich sind, wird der Bau eintönig und öde.
Die Gemeinde als Bauwerk
existiert nur durch die vielen einzelnen Steine,
die alle auf ihre Art besonders sind.
Der Bau hält nur, weil zwischen den Steinen Frieden herrscht
und keiner den anderen hinausdrängt.
Keine:r ist näher oder ferner,
weil jede und jeder einen Platz hat,
an dem er, an dem sie gebraucht wird.
Wenn jede:r an seinem Platz ist,
wenn kein Stein hinausgedrängt wird,
dann wird Gott in dieses Haus einziehen.
Wir, die Gemeinde, ein Tempel: ein Haus für Gott –
ist das nicht ein schönes Bild?
Es ist mehr als ein Bild.
Es ist die Überzeugung,
dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile,
dass Menschen, die sich im Gottesdienst versammeln,
mehr sind als eine Anzahl von Leuten.
Weil wir hier, und in allen Kirchen der Welt,
gemeinsam Gottesdienst feiern, ist Gott auch unter uns,
sind wir Gottes Hausgenossen.
Und auch wir sind mehr als wir selbst.
Wir sind Mitbürger der Heiligen.

VI
Wir sind bereits Mitbürger der Heiligen,
und wir werden es erst noch.
Weil wir Mitbürger der Heiligen sind,
müssen wir uns keine Sorge um unsere Zugehörigkeit machen.
Wir müssen nichts tun, um dazuzugehören.
Ganz im Gegenteil:
ohne uns würde der Bau, würde die Gemeinde nicht existieren.
Ohne uns wäre sie nicht schön.
Und weil wir Mitbürger der Heiligen erst noch werden,
sind wir keine Heiligen, sondern immer noch Menschen
und dürfen es auch sein.
Menschen, die gern dazugehören würden,
die um Nähe kämpfen, Neid und Eifersucht empfinden,
die unachtsam sind und andere ausgrenzen.
Menschen, die mit ihren Fragen auf der Suche sind
nach einer Antwort.
Weil wir Mitbürger der Heiligen erst noch werden,
dürfen wir Menschen sein.
Und können zugleich tun, was Heiligen entspricht:
Wir können uns einfügen in den gemeinsamen Bau.
Uns nicht wichtiger nehmen,
aber auch nicht weniger wichtig als die anderen.
Wir können friedvoll sein, freundlich miteinander umgehen
und auch im anderen Menschen den Mitbürger der Heiligen
und den Hausgenossen Gottes sehen,
der oder die wir selbst sind.
Gehöre ich dazu?
Diese Frage können wir uns gegenseitig beantworten.
Gleich, oder nachher am Ausgang
durch einen Blick, durch einen Händedruck,
durch ein Lächeln:
Ja!
Ja, in Gottes Namen:
du gehörst dazu!
Amen.