Sonntag, 16. Juni 2024

Sünde, Buße, Auferstehung

Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis, 16.06.2024, über Lukas 15,1-3.11-32


Liebe Schwestern und Brüder,


ist die Geschichte vom verlorenen Sohn

eine glückliche oder eine traurige Geschichte?


Ein Vater nimmt seinen Sohn,

der ihm den Rücken gekehrt und ihn verlassen hatte,

mit großer Freude wieder auf.

Der Sohn war reumütig und zerknirscht zurückgekehrt,

hatte seinen Fehler eingestanden.

Statt ihn für sein Fehlverhalten zu bestrafen,

gibt der Vater für seinen Sohn ein Fest,

weil er ihn lebendig wieder hat.

Ein glückliches Ende.


Es ist also eine glückliche Geschichte,

die zeigt, dass Gott wie dieser Vater ist,

der sein Kind mit Freuden wieder aufnimmt,

obwohl es die Beziehung zu ihm abgebrochen hatte.

Die Rückkehr des Kindes wird Anlass zu einem Fest.

„So”, fasst Jesus zusammen, „wird Freude sein

vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.”


Sünde und Buße,

diese beiden Stichworte beschreiben,

was in der Geschichte vom verlorenen Sohn geschieht.


Worin besteht seine Sünde?

Sicher nicht darin, dass er seinen Anteil am Erbe sinnlos vertat,

und auch nicht darin, wofür er das Geld ausgab.

Das war Dummheit, aber keine Sünde.

Eine Dummheit, die sich bitter rächen sollte:

Als er es dringend braucht, hat der Sohn kein Geld mehr.

Er findet nur die allerniedrigste Arbeit, wird zum Schweinehirt,

und bekommt doch nicht genug zum Leben.


Er ist in eine ausweglose Lage geraten.

Zum Vater zurückzukehren ist die einzige Möglichkeit,

die er noch für sich sieht.

Das ist aber gar nicht so einfach.

Zwischen ihm und seinem Vater steht die Sünde, die er beging:

Dass er sein Erbteil von ihm gefordert hatte.


Diese Forderung an sich ist natürlich keine Sünde.

Das Erbteil war sein gutes Recht -

sonst hätte der Vater ihm das Geld nicht ausgezahlt.

Was aufgrund dieser Forderung geschah, das ist die Sünde:

Als der Sohn sein Anteil am Erbe forderte

und in ein fremdes Land auswanderte,

brach er die Beziehung zu seinem Vater und zu seiner Familie ab.

Es war ein endgültiger Abschied,

er hatte nicht vor, zurückzukehren.

Er würde seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder nie mehr wiedersehen.

Für ihn waren sie so gut wie gestorben.


„Der, die ist für mich gestorben”, sagt man,

wenn man mit jemandem nichts mehr zu tun haben will.

Und zwar endgültig nichts mehr zu tun haben will.

Man kann sich keine Beziehung zu dieser Person mehr vorstellen.

Es ist, als würde diese Person nicht mehr existieren -

und so hätte man es auch am liebsten.

Es ist, als wäre er, als wäre sie tatsächlich gestorben.


In dieser Weise ist sein Vater für den verlorenen Sohn gestorben.

Vielleicht hatte er das so nicht beabsichtigt.

Vielleicht hatten ihn Neugier und Abenteuerlust getrieben,

vielleicht wollte er dem bäuerlichen Leben entfliehen

und die große, weite Welt kennen lernen.

Er hatte sich dabei keine Gedanken gemacht,

wie seine Familie seinen Weggang empfinden würde.


Vielleicht war aber auch etwas vorgefallen,

das ihm ein Bleiben unmöglich machte.

Vielleicht hatte es einen Streit gegeben,

vielleicht wurde er verletzt.

Vielleicht sah er als jüngerer neben seinem großen Bruder

keine Zukunft für sich - wir wissen es nicht.


Ob absichtlich oder unbeabsichtigt -

sein Vater ist für den verlorenen Sohn gestorben.

Damit ist aber auch der Sohn für den Vater gestorben.

Nicht unbedingt in der patzigen Weise,

in der man auf diese Ansage reagiert: „Du bist für mich gestorben.” -

„Und du erst recht!”

Sondern beinahe im wörtlichen Sinn:

Der Sohn hat die Beziehung zum Vater abgebrochen

ohne die Möglichkeit einer Fortsetzung oder Veränderung.


Der endgültige Abbruch einer Beziehung: Das ist der Tod.

Der Vater erleidet den Tod seines Sohnes.

Sein Schmerz ist dem von Eltern vergleichbar,

die eins ihrer Kinder zu Grabe tragen müssen.

Nur, dass sein Sohn woanders und mit anderen weiterlebt,

während er für ihn gestorben ist.


Wenn man Sünde so versteht,

geht es nicht um ein falsches Verhalten,

eine moralische Verfehlung, ein Abweichen von einer Norm

oder eine grundsätzliche Bosheit und Verderbtheit.

Sünde ist der Abbruch einer Beziehung,

der Beziehung zu Gott.

Wer sündigt, für die, für den ist Gott gestorben.


Ist Gott für jemanden gestorben,

wurde die Beziehung zu Gott selten bewusst aufgekündigt.

Meist trennte man sich unbewusst von Gott,

ohne nachzudenken und ohne es böse zu meinen.

Wie der Sohn vielleicht mit dem Alten und Gewohnten brechen

und die große, weite Welt kennen lernen wollte,

so ist auch für uns vieles interessanter und plausibler als Gott.


Wie findet man zu einer Beziehung zu Gott zurück?

Wie beim verlorenen Sohn führt der Weg über die Buße.

Buße bedeutet nicht, dass man sich irgendwelche Strafen auferlegt,

sich Zwänge antut oder sich erniedrigt.

Buße bedeutet Umkehr:

Die Einsicht, dass man sich auf dem falschen Weg befindet.

Links oder rechts abzubiegen,

um wieder auf den richtigen Weg zu kommen,

sind keine Optionen mehr.

Man steckt in einer Sackgasse.

Aus der kommt man nur durch eine 180-Grad-Wende wieder heraus:

indem man umkehrt.


Zur Umkehr gibt es im Johannesevangelium

ein Gespräch zwischen Jesus und dem Pharisäer Nikodemus (Johannes 3).

Umkehr heißt bei Johannes „Neugeburt”.

Jesus spricht davon, dass man neu geboren werden muss,

um in das Reich Gottes zu gelangen.

Nikodemus versteht das bewusst falsch:

„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?

Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?”


Umkehr bedeutet nicht, auf dem Hacken kehrt machen

und den Weg zurückgehen, den man gekommen ist.

Umkehr heißt, sich verändern,

ein anderer, ein neuer Mensch werden.

Wenn die Beziehung zu Gott zerbrochen ist,

kann sie nur neu werden, wenn man sich ändert.

Nicht äußerlich, indem man die Haare anders trägt

oder eine lieb gewordene Gewohnheit aufgibt.

Sondern innerlich, indem man eine neue Einstellung

zu sich, zur Welt und zu seinen Mitmenschen einnimmt.


So ist es auch in unseren Beziehungen.

Nach einer Trennung kommt man nur wieder zusammen,

wenn beide sich ändern.

Das ist nicht leicht,

weder in den zwischenmenschlichen Beziehungen,

noch in unserem Verhältnis zu Gott.

Es ist geradezu ein Wunder, wenn es geschieht.

Dieses Wunder hat einen Namen: Auferstehung.


Der Sohn, für den der Vater gestorben war

und der für den Vater gestorben war, kehrt um,

kehrt zurück zu seinem Vater.

Er kann sich nicht vorstellen,

dass sein Vater nach all dem noch etwas mit ihm zu tun haben will.

Aber weil er seinen Vater kennt, hofft er auf dessen Mitleid.

Auf die Chance, in seiner Nähe überleben zu können.


Der Vater aber nimmt ihn auf als der, der er ist: Sein Sohn.

Er setzt ihn sofort wieder in seine alten Rechte ein

und richtet ein Fest für ihn aus.

Damit riskiert er sogar, seinen älteren Sohn zu kränken

und vor den Kopf zu stoßen,

der ihm doch immer die Treue gehalten hat

und der nicht versteht,

wie der Vater seinem jüngeren Bruder so entgegen kommen kann.

Das ist die Auferstehung, erklärt der Vater seinem Ältesten.

„Dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden.”


Auferstehung geschieht nicht erst am Ende der Zeiten,

wenn Gott eine neue Erde unter einem neuen Himmel schafft

und wir verwandelt einem neuen Leben entgegengehen.


Auferstehung geschieht da,

wo Menschen erkennen, dass sie in eine Sackgasse geraten sind.

Da, wo man das Ende vermutet, in der Sackgasse,

da geschieht der neue Anfang, die Auferstehung.

Man steht auf und sieht, wo man sich befindet.

Und man möchte da nicht mehr sein,

man möchte heraus, möchte zurück zur Quelle des Lebens,

die einen neuen Anfang möglich macht.


Auferstehung ist ein Wunder.

Wir können dieses Wunder leider nicht selbst bewirken.

Aber wir können auf dieses Wunder hoffen.

Wir dürfen sogar damit rechnen,

dass wir aufgerichtet werden,

wenn wir am Ende unserer Weisheit,

unserer Möglichkeiten oder Fähigkeiten angekommen sind.

Wir werden aufgerichtet und erkennen,

dass wir uns verrannt haben.

Diese Erkenntnis: Das ist der erste Schritt zur Umkehr.

Das ist Auferstehung.