Sonntag, 15. September 2024

dem Tod keinen Raum geben

Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis, 15.9.2024, über Psalm 16,5-11:


Ich habe einen Anteil an Gott;

er ist mein Hauptgewinn.

Du hältst mein Los im Spiel.

Mir wurde ein schönes Plätzchen zugemessen;

ja, mir ist ein Erbteil zugefallen.

Ich preise Gott, weil er mich beraten hat.

Ja, des Nachts findet mein Innerstes einen Rat.

Ständig denke ich an Gott.

Er ist an meiner Seite, 

        nichts kann mich verunsichern.

Darum freut sich mein Herz,

und ich kann sorglos sein.

Ich lebe wirklich in Sicherheit;

denn du wirst verhindern,

        dass meine Seele zu Nichts wird.

Du lässt nicht zu, dass, wer treu zu dir hält,

das Grab sehen muss.

Du zeigst mir den Weg des Lebens.

In deiner Gegenwart bin ich glücklich.

An deiner Seite ist es immer schön.



Liebe Schwestern und Brüder,


„Somewhere over the rainbow …”

singt die amerikanische Schauspielerin Judy Garland.

Irgendwo jenseits des Regenbogens gibt es ein Land,

in dem der Himmel immer blau ist

und die Träume, die man träumt, wahr werden.


Vielleicht ist dies das schöne Plätzchen, 

das der Psalmbeter im 16. Psalm zugeteilt bekam:


„Mir wurde ein schönes Plätzchen zugemessen;

ja, mir ist ein Erbteil zugefallen.”


Es muss ein Land jenseits des Regenbogens sein.

Denn wovon der Psalm spricht, 

klingt zu schön, um wahr zu sein:


 „Du wirst verhindern,

dass meine Seele zu Nichts wird.

Du lässt nicht zu, dass, wer treu zu dir hält,

das Grab sehen muss.”


Ja, wenn das wahr würde!

Wenn der Tod so endgültig besiegt wäre,

wie es die Osterlieder im Überschwang 

der Auferstehungsbotschaft besingen.

Wie sie den Tod auslachen und verächtlich machen!


Diesen Übermut hat man wohl nur zu Ostern.

In unserem Alltag müssen wir die Macht des Todes erdulden.

In den letzten Wochen haben wir an jedem Sonntag

hier im Dom an eine Verstorbene, einen Verstorbenen 

aus unserer Gemeinde gedacht.


Den Tod besiegen - ein uralter Menschheitstraum.

Wer das könnte! Oder ihn zumindest überlisten 

und damit ein paar Jahre mehr für sich herausschlagen, 

wie in es vom Brandner Kaspar erzählt wird

und im Märchen vom Gevatter Tod.


Ein Leben ohne Tod wäre aber nur erstrebenswert,

wenn man dabei zugleich auch nicht älter würde.

Denn was hätte man vom langen Leben, 

wenn man es nicht auskosten und genießen könnte,

weil man immer schlechter hört und sieht,

die Kraft nachlässt und die Beweglichkeit?


Mit dem Alter zugleich den Tod besiegen,

das mag der Traum einiger Wissenschaftler sein.

Ein unendliches - oder auch nur unvorstellbar langes -

Leben auf dieser Erde würde auf Dauer unerträglich.

Eher früher als später wäre es die Wiederholung des Ewiggleichen,

wie ein Tag, den man immer wieder durchleben muss

und aus dem es kein Entrinnen gibt.


Mit der Endlichkeit des eigenen Lebens kann man sich versöhnen.

Ja, manche, mancher ersehnt sich geradezu das Ende des Lebens,

wenn die Beschwerden des Alters überhand nehmen,

der Bewegungsradius sich immer mehr einschränkt

und die Freundinnen und Freunde alle gegangen sind.


Der Tod als das Ende des eigenen Lebens

ist erschreckend und beängstigend, solange man jung ist,

solange man das Leben genießen kann.

Aber schrecklich ist er eigentlich nicht.

Zu unserem Leben gehört, dass es endlich ist.

Gerade das macht unser Leben wertvoll,

macht jeden Tag einzigartig.


Schrecklich ist der Tod,

wenn er uns einen lieben Menschen nimmt.

Schrecklich ist der Tod,

wenn er um uns und in uns Raum greift.

Er greift in Menschen Raum, die an einer Depression erkranken.

Die unter dem Verlust eines lieben Menschen leiden.

Aber auch in Menschen, die vom Hass auf andere 

so sehr erfüllt sind, dass sie deren Leben auslöschen wollen.


Der Tod greift Raum dort, wo Krieg ausbricht,

wo Hunger und Dürre herrschen,

wo Menschen der Gewalt und Willkür ausgeliefert sind.

Da wird das Sterben beinahe alltäglich,

weil der Tod jederzeit jede und jeden treffen kann.


An solchen Orten, zu solchen Zeiten

sehnt man sich nach dem Land jenseits des Regenbogens,

klammert man sich an Worte 

wie die des walisischen Dichters Dylan Thomas:

„And death shall have no dominion” -

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.


Dem Tod wird kein Reich mehr bleiben:

Das ist die Botschaft der Auferstehung.

Der Tod ist nur noch das Ende des Lebens,

nicht mehr eine Macht, die das Leben von Menschen

bestimmen und belasten, es unerträglich machen kann.


Und das ist auch die Botschaft des 16. Psalms.

Das schöne Plätzchen, das dem Psalmdichter zugefallen ist,

ist nicht das Land jenseits des Regenbogens.

Es befindet sich an der Seite Gottes,

weil Gott in seinem Leben Raum gegriffen hat.


Gott hat sich in seinem Leben so breit gemacht,

dass es für den Tod einfach keinen Platz mehr gibt.

Der Psalmbeter ist von Gott erfüllt.

Darum ist auch sein Leben erfüllt und schön.

Nicht, weil Gott alles Schwere, alles Leiden verhindert -

das gibt es weiterhin, wie es auch den Tod noch gibt.


Gott ist mächtiger als das Schwere, das Leid,

mächtiger auch als der Tod.

Gottes Macht scheint in allem Dunkel als Licht,

das niemals verlischt. 

Gottes Macht bleibt die Hoffnung, der Halt, der Trost, 

dass der Tod keine Macht hat,

dass ihm kein Reich mehr bleibt.


Das gilt natürlich nicht erst für das Leben nach dem Tode.

Das gilt jetzt, gilt für uns hier und heute

und kann unser Leben bestimmen wie das des Psalmbeters.


Wie man das erreichen kann?

Die Antwort liegt in dem Satz:


„Ständig denke ich an Gott.”


Wörtlich heißt es: Ständig habe ich Gott vor Augen.

Das erinnert an den 1.Psalm, 

wo der Mensch glücklich gepriesen wird, der 


„Freude hat am Gesetz des Herrn

und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht”


In Gottes Gegenwart gelangt man 

durch die Beschäftigung mit Gottes Wort.

Da hat man Gott vor Augen, da denkt man an ihn,

da kann er in einem Menschen Raum greifen:

Indem Gottes gutes Wort einen Menschen erfüllt,

bleibt dem Tod kein Raum mehr.


So erfüllen uns die Worte der Osterlieder,

der Dichterinnen und Dichter wie Dylan Thomas.

Gute Worte - Gottes gute Worte -

singen uns vom Leben und seiner Schönheit.

So führt uns Gott zurück auf den Weg des Lebens,

wenn wir im finsteren Tal wandern mussten,

im Tal der Todesschatten.


So macht Gott uns auch zu Protestleuten gegen den Tod,

die dem Tod die Stirn bieten, seine Macht bestreiten

und es wagen, ihn auszulachen,

obwohl er so schrecklich ist und solche Schrecken verbreitet.

Mit Gott an unserer Seite können wir uns das trauen.


Denn es geht nicht nur darum, 

dem Tod keinen Raum in unserem Leben zu geben,

sondern ihm überhaupt keinen Ort mehr zu lassen,

an dem er Menschen schrecken und belasten kann.


Überall auf der Welt muss der Tod verdrängt werden

durch die Schönheit und das Glück,

die man in Gottes Gegenwart erleben kann.

Und das heißt: in seinem Wort und durch sein Wort.


Wir werden es nicht schaffen,

dem Tod jeden Raum zu nehmen,

dass er keine Macht mehr hat.

Das bleibt allein Gott vorbehalten.


Aber mit der Auferstehung seines Sohnes ist ein Anfang gemacht.

Und mit jedem Menschen, jedem Ort,

in dem Gott Raum greifen kann,

schwindet der Machtbereich des Todes,

bis ihm tatsächlich kein Reich mehr bleibt.

Oder, wie Paulus im 1.Korintherbrief schreibt:


„Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod, 

auf dass Gott sei alles in allem.”


Amen.