Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2024, über Jes 9,1-6
Liebe Gemeinde am Heiligen Abend,
„gebt den Kindern das Kommando!”,
„Sie berechnen nicht, was sie tun.
Die Welt gehört in Kinderhände!
Dem Trübsinn ein Ende!
Wir wer’n in Grund und Boden gelacht.
Kinder an die Macht!”
Kinder an die Macht!
An Weihnachten scheint sich das zu erfüllen.
Da haben Kinder quasi die Macht übernommen.
Alles dreht sich um sie:
Erwachsene reißen sich ein Bein aus,
damit Weihnachten für ihre Kinder (und Enkel) ein Fest wird
und geben alles dafür,
das Leuchten in den Augen ihrer Kinder zu sehen.
Kinder an die Macht!
Einmal im Jahr dürfen Kinder
an machen Orten die Macht übernehmen,
dürfen Kinder-Bischof sein oder Kinder-Bürgermeister.
Leider haben sie nicht wirklich zu bestimmen,
nicht einmal an diesem Tag.
Sie dürfen Bischof oder Bürgermeister spielen,
die Erwachsenen nachahmen,
nicht auf ihre Weise Bischof oder Bürgermeister sein.
Dabei können wir Erwachsenen so viel von den Kindern lernen!
Kinder unterscheiden noch nicht
zwischen Hautfarben oder Herkünften.
Für sie ist anders sein nicht per se schlecht oder verdächtig,
sondern einfach nur: anders.
Sie haben noch keine Vorurteile - die lernen sie erst von uns.
Sie sind neugierig, probieren alles aus,
kennen noch keinen Ekel vor Regenwürmern, Spinnen
oder gegrillten Heuschrecken.
Dass das „eklig” ist, lernen sie auch erst von uns.
Und Kinder stellen Fragen:
Warum ist das so?, fragen sie.
Wir Erwachsenen nehmen diese Fragen zum Anlass,
ihnen die Welt zu erklären.
Wenn Männern Frauen die Welt erklären,
nennt frau das „mansplaining”
und fühlt sich von oben herab behandelt und unterschätzt,
findet es übergriffig und bevormundend.
Wie kommen wir darauf, dass Kinder die Welt erklärt haben wollen?
Dass sie sich nicht ebenso von oben herab behandelt fühlen,
bevormundet und unterschätzt wie wir?
Kann sein, sie meinen ihre Fragen ganz anders, als wir sie hören:
Als Anfragen an uns Erwachsene,
ob das wirklich so sein muss, wie es ist,
ob es nicht auch anders sein, anders gehen könnte?
Fragen wie:
Warum müssen anderswo Kinder vor Hunger sterben?
Warum essen wir Tiere?
Warum tun wir nichts gegen den Klimawandel?
Warum haben wenige viel zu viel Geld, und viele viel zu wenig?
Der Prophet Jesaja feiert die Geburt eines Kindes.
Eines besonderen Kindes:
„Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.
Und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst.”
A star is born, ein Superheld, so scheint es.
Aber auch Stars und Superhelden sind erst einmal - - - Kinder.
Auch andersherum wird ein Schuh draus:
In jedem Kind könnte ein Star, eine Superheldin verborgen sein.
Das bedeutet nicht, dass wir Kinder überfordern sollten.
Wir sollten sie nicht mit unseren Erwartungen erdrücken,
dass sie einmal besser sein, alles besser machen sollen als wir.
Oft hört man von Eltern:
Unser Kind soll es einmal besser haben …
Eltern möchten, dass ihr Kind die Chancen erhält, die sie nicht hatten.
Es soll lernen, was die Eltern gern erlernt hätten:
Klavier oder Geige spielen, Fußball oder Ballett.
Es soll einen besseren Beruf haben als die Eltern,
oder den, den sie sich gewünscht hätten.
Will das Kind das auch?
Wenn in jedem Kind ein Star, eine Superheldin verborgen sein könnte,
wenn jedes Kind etwas Besonderes ist,
dann sollten wir die Kinder ernst nehmen
und ganz genau darauf hören, was sie uns sagen wollen.
Wie das Kind, von dem Jesaja sagt,
könnten sie wunderbare Ratschläge und Einsichten für uns haben.
Wir könnten sie aber auch einfach Kinder sein lassen,
ohne den geheimen Auftrag, für uns die Welt zu retten
und das zu verwirklichen,
was wir nicht konnten oder uns nicht trauten.
Das Kind in der Krippe im Stall von Bethlehem
ist dieser Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater und Friedefürst.
Es wird die Welt, es wird uns alle retten,
indem es der Welt und uns den Frieden bringt.
Das Kind in der Krippe weiß davon noch nichts.
Es ist ein Säugling, der Wärme braucht und Liebe,
Nahrung und Obdach, wie alle Kinder.
Bevor es die Welt und uns rettet,
muss es selbst gerettet werden
vor den Nachstellungen des Herodes.
Zum Retter wird das Kind erst, wenn es erwachsen ist.
Aber nicht so, wie wir es uns vorstellen.
Es wird nicht unsere Wünsche und Träume verwirklichen,
nicht das Leben leben, das wir uns nicht zu leben trauten.
Es wird Gottes Recht und Gerechtigkeit aufrichten.
Jesus war nicht der Superheld,
der alles wieder gerade rückte und gut machte.
Er war, zur Enttäuschung seiner Zeitgenossen,
auch nicht der Anführer, der das Reich des Friedens aufrichtete,
das Jesaja uns vor Augen malt.
Jesus hat getan, was schon das Kind in der Krippe tat:
Den Menschen das beste abverlangt, was sie geben konnten:
ihre Liebe.
Die Liebe gibt den Kindern das Kommando
und setzt ihnen die Grenzen, die sie brauchen,
um erwachsen werden zu können.
Die Liebe nimmt die Kinder ernst als Kinder
und lässt sich von ihnen herausfordern,
die Welt mit ihren Augen zu sehen.
Die Liebe stellt infrage, was selbstverständlich ist,
was schon immer so war, immer schon so gemacht wurde,
wenn es der Liebe entgegensteht.
So lässt uns das Kind in der Krippe,
dieser Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater und Friedefürst,
zur Höchstform auflaufen,
indem es die Liebe in uns weckt,
die unsere Vorurteile und Gewohnheiten überwindet,
die uns die Welt und unsere Mitmenschen
mit anderen Augen sehen lässt
und die uns daran erinnert, dass wir einmal Kinder waren
und immer noch Kinder - Gottes Kinder - sind.
Das Kind in der Krippe erobert unsere Herzen,
ganz besonders heute, am Heiligen Abend.
Mit uns fängt es an,
sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufzurichten.
Heute Abend will es alle Herzen erobern,
„auf dass seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids
und in seinem Königreich,
dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.”