Predigt am Neujahrstag, 1.1.2025, über Josua 1,1-9
Liebe Schwestern und Brüder,
ein Freund von mir las von jedem Gerät, das er sich kaufte,
immer zuerst die Gebrauchsanleitung von vorn bis hinten durch,
bevor er das Gerät auspackte und in Betrieb nahm.
Mich machte das immer ganz kirre; ich konnte es nicht erwarten,
das neue Gerät auszupacken und anzuschalten.
Ich ging davon aus, dass sich mit dem Gebrauch ergeben würde,
wie das Gerät funktionierte, und dass die wichtigsten Knöpfe
letztlich überall die gleiche Funktion hatten.
Ganz falsch lag ich damit nicht.
Aber die Zeit, die ich durch das schnelle Auspacken und Anschalten
gewonnen hatte, verlor ich später wieder,
weil das Gerät oft nicht machte, was es sollte -
während mein Freund es so souverän handhabte,
als habe er nie etwas anderes getan.
Mein Freund und ich sind Beispiele dafür,
wie man an Neues, Unbekanntes herangeht.
Die einen springen einfach hinein, lassen sich überraschen.
Die anderen machen sich vorher schlau
und wissen anschließend genau, was sie tun, wenn sie loslegen.
Wenn man Verantwortung trägt, wenn es dabei um etwas geht,
ist die zweite Herangehensweise sicherlich die bessere.
Die erste bringt dafür schneller Ergebnisse -
wenn auch nicht immer die gewünschten oder erwarteten …
Für das Leben müsste es manchmal auch eine Gebrauchsanleitung geben.
Wie geht das bloß mit den Männern und den Fraun, fragt man sich als Jugendliche:r;
wie geht das bloß mit dem Kinderkriegen und -erziehen,
fragt man sich als werdende Mutter oder Vater.
Wie geht das mit dem Ruhestand, fragen sich die einen,
wenn sie kurz davor stehen; die anderen lassen ihn auf sich zukommen,
genießen ihn - oder wissen nicht, wohin mit sich,
weil sie sich vorher keine Gedanken darüber gemacht haben,
was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen.
Hätten sie doch bloß vorher die Gebrauchsanleitung gelesen!
Doch für die wichtigen, die einschneidenden Abschnitte des Lebens
gibt es leider keine Gebrauchsanleitung.
Es gibt jede Menge Ratgeber für alle Lebenslagen.
Aber wenn es ernst wird, muss jede:r selbst sehen,
wie er oder sie zurechtkommt.
Das ist wie nach der Ausbildung oder dem Studium:
Theoretisch weiß man, wie es geht.
Aber wenn man zum ersten Mal allein verantwortlich ist,
scheint alles vergessen, was man einmal gelernt hat.
Auch Josua steht vor einem großen Schritt,
einem doppelten sogar.
Da ist einmal der Schritt über den Jordan in das Land Israel -
„one small step for a man - one giant leap for mankind” -
„ein kleiner Schritt für einen Menschen,
ein gigantischer Sprung für die Menschheit” -,
wie Neil Armstrong bei seinem ersten Schritt auf dem Mond sagte.
Die Auswirkungen des Schrittes Josuas über den Jordan
spüren wir bis heute, und sie beschäftigen die ganze Menschheit -
oder doch einen großen Teil von ihr.
Der andere große Schritt, den Josua tut:
Er übernimmt die Leitungsverantwortung von Mose.
Eine Verantwortung, vor der ihm sicher mulmig ist.
Josua hat während der Wanderung durch die Wüste erlebt,
wie unzufrieden, wir nörgelig, wie wütend das Volk werden konnte,
wenn es nicht seinen Willen bekam.
Dann ist da ja auch noch Gott, dem er für das Volk Israel verantwortlich ist.
Und Josua muss dem Volk Israel Gottes manchmal unbequemen,
manchmal entgegengesetzten Willen übermitteln -
eine sehr undankbare Aufgabe.
Immerhin gibt Gott ihm eine Gebrauchsanleitung an die Hand:
Die Torah, den ersten und wichtigsten Teil der hebräischen Bibel, die fünf Bücher Mose.
Wer schon einmal einen Blick in die Torah geworfen hat,
wird sich erinnern: Eine Anleitung, wie Josua das Volk Israel leiten soll,
ist das nicht. Man erfährt auch nicht, wie man als Ausländer
in einem fremden Land Fuß fasst.
Einem Land, das nicht unbewohnt ist wie der Mond,
sondern in dem bereits Menschen leben, die alles andere als erfreut sind
über diese ausländischen Flüchtlinge, die sich unter ihnen breit machen!
Nun könnte man mit Jesus sagen,
die Torah ist zusammengefasst im Doppelgebot der Liebe:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele, von ganzem Verstand und mit all deiner Kraft
und deine:n Nächste:n wie dich selbst” (Markus 12,30f).
Dieses Doppelgebot ist eine Richtschnur, die immer und überall gilt,
in allen Lebenslagen - was braucht es mehr!?
Doch mit dieser Richtschnur geht es einem wie dem oder der,
die das erste Mal allein verantwortlich ist:
Man hat das Gefühl, dass man etwas Wesentliches nicht weiß,
das man jetzt wissen müsste, um die Aufgabe zu erfüllen.
Die Torah ist nicht wirklich eine Anleitung für die Schritte, die Josua jetzt zu gehen hat,
wie sie auch uns keine Anleitung bietet für unsere kleinen und großen Schritte im Leben -
dem Verlieben, dem Vater- oder Muttersein, dem Ruhestand.
Was nützt es Josua, dass er die Torah so genau studiert,
und das auch noch ausdauernd, Tag und Nacht?
Im Grunde braucht Josua keine Anleitung.
Denn für die beiden großen Schritte, die er jetzt gehen muss,
trägt nicht er die Verantwortung, sondern Gott:
„Wie ich mit Mose gewesen bin, werde ich mit dir sein”, verspricht er ihm.
Gott hat Mose den Weg aus der Knechtschaft in Ägypten geführt,
als Wolkensäule am Tag und als Feuersäule bei Nacht.
Gott hat ihm immer wieder aus der Patsche geholfen,
wenn das Volk murrte, weil es nichts zu essen, nichts zu trinken hatte.
Im Grunde hat Gott alles getan; Mose war nur der Vermittler
zwischen Gott und seinem Volk Israel.
Auch Josua verspricht Gott, dass er ihm die Verantwortung abnimmt:
„Fürchte dich nicht und erschrecke nicht;
denn der Herr, dein Gott, ist mit dir, wohin du auch gehst.”
Dieses Versprechen, das Gott Josua gab, gibt er auch uns.
Gott ist für uns da, Gott zeigt uns, wo es langgeht,
und Gott hilft uns aus der Patsche, wenn wir nicht weiter wissen.
Für die kleinen und großen Schritte im Leben
braucht es keine Gebrauchsanleitung, aber es braucht die Torah, es braucht das Wort Gottes.
Und zwar nicht in homöopathischen Dosen,
einmal am Anfang des Lebens als Taufspruch,
dann als Konfirmations- und dann wieder als Trauspruch.
Sondern täglich, am besten sogar mehrmals täglich,
vor oder nach den Mahlzeiten zum Beispiel.
Es braucht Gottes Wort, damit man das Vertrauen gewinnt
und das Vertrauen behält, dass Gott so für uns da ist, wie er für Mose und Josua da war.
Selbst das Volk Israel, das die Wunder sah, die Gott tat,
verlor das Vertrauen bei der Wanderung durch die Wüste.
Damit wir die Durststrecken unseres Lebens bestehen,
brauchen wir das Vertrauen auf das Wort, das uns zusagt:
„Der Herr, dein Gott, ist mit dir, wohin du auch gehst.”
Auch im kommenden Jahr wird Gott uns begleiten,
uns beistehen bei den kleinen und großen Schritten,
die wir zu gehen haben.
Er nimmt uns die Verantwortung für das Gelingen ab,
sodass wir unbedarft und fröhlich drauflos spazieren,
sodass wir auch Fehler machen dürfen.
Alles, was wir zu tun haben, ist,
uns immer wieder und regelmäßig Gottes Wort vor Augen zu stellen.
So lernen wir, mit Gottes Beistand zu rechnen und
auf Gottes Zusage zu vertrauen:
„Der Herr, dein Gott, ist mit dir, wohin du auch gehst.”