Predigt an Christi Himmelfahrt, 29. Mai 2025, über 1.Könige 8,22-28
Salomo trat vor der ganzen Gemeinde Israel an den Altar des Herrn und streckte seine Hände zum Himmel empor. Und er sprach: Herr, Gott Israels, wie du ist kein Gott oben im Himmel oder unten auf der Erde. Du bewahrst den Bund und die Treue deinen Knechten, die vor dir mit ungeteiltem Herzen wandeln. Du hast deinem Knecht David, meinem Vater, gehalten, was du ihm zugesagt hattest. Du hast es mit deinem Mund verheißen und mit deiner Hand erfüllt, wie es heute zu sehen ist. Und nun, Herr, Gott Israels, halte deinem Knecht David, meinem Vater, was du ihm zugesagt hast: „Es soll dir niemals an einem Mann fehlen, der vor mir auf dem Thron Israels sitzt, wenn nur deine Nachkommen auf ihren Weg achten, dass sie vor mir wandeln, wie du vor mir gewandelt bist.” Und nun, Gott Israels, erweise doch dein Wort als zuverlässig, das du deinem Knecht David, meinem Vater, zugesagt hattest. Denn wohnt Gott wirklich auf der Erde? Sieh, der Himmel und des Himmels Himmel fassen dich nicht. Umso weniger das Haus, das ich dir baute. Wende dich dem Gebet deines Knechtes und seinem Flehen zu, Herr, mein Gott, und erhöhe das Flehen und das Gebet, das dein Knecht heute vor dir tut.
Liebe Schwestern und Brüder,
der Text aus dem 1.Königebuch lässt uns König Salomo sehen, wie er bei der Weihe des Tempels am Altar steht. Der Platz am Altar ist der Ort, der ausschließlich den Priestern vorbehalten war. Nur die eine Ausnahme gab es: Dass jemand sich in letzter Not an den Altar klammerte, um dort Zuflucht zu suchen - Kirchenasyl, sagen wir heute. Aber das ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Ein König hat am Altar nichts zu suchen. Zur Veranschaulichung: Das ist in etwa so, als hätte die Einweihung der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin nicht Erzbischof Koch vorgenommen, sondern der Bundespräsident.
Wir sehen König Salomo am Altar stehen, und wir hören ihn beten. Und wenn auch in vielen Tempeln und Kirchen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder für König, Volk und Vaterland gebetet wurde, so hat doch meines Wissens nie ein König selbst für sich und den Fortbestand seiner Dynastie gebetet, wie Salomo es tut.
Aber schließlich ist es sein Tempel, in dem wir König Salomo stehen sehen. Er hat durchgesetzt, was sein Vater nicht bauen durfte. Und er wird ihn aus der Staatskasse bezahlt haben. Da hat er doch wohl alles Recht, ihn auch selbst einzuweihen.
Hier vermischen sich Staat und Kirche, bemächtigt sich die Politik der Religion, um sie für ihre Zwecke zu nutzen, wie das im Laufe der Geschichte immer wieder geschehen ist. Bis heute ist die Versuchung groß, die Grenzen zu verwischen, die zwischen Staat und Kirche bestehen sollten.
Der Predigttext scheint damit kein Problem zu haben. Das könnte daran liegen, dass er aus dem Blickwinkel der Herrschenden überliefert wurde: König Salomo steht im Mittelpunkt des Geschehens. Uns fällt das heute nicht gleich auf, weil wir König Salomo nicht als einen Politiker sehen wie unseren Bundespräsidenten oder wie Präsident Trump, sondern als einen Weisen, beinahe einen Heiligen.
Und weil wir die Bibel nicht als historisches Dokument lesen, sondern als ein Glaubensbuch, das uns von der Geschichte Gottes mit seinem Volk erzählt. Gottes Volk - wir gehören durch unsere Taufe dazu. Darum betrifft diese Geschichte auch uns, wenn sie auch dreitausend Jahre vor unserer Zeit stattfand.
Die Bibel gehört heute allen Menschen. Sie ist nicht nur das Buch mit der weltweit höchsten Auflage und Verbreitung, übersetzt in so gut wie alle Sprachen der Erde. Sie ist auch das demokratischte Buch, weil sich jede und jeder davon angesprochen fühlen, jede und jeder darin wiedererkennen kann.
Aber geschrieben wurde dieses Buch - zumindest der Teil, den wir das „Alte Testament” nennen - von Menschen, die am Hof des Königs lebten, die der Macht nahe oder im Dienst der Mächtigen standen.
Die Schriften des Alten - oder besser: des Ersten Testaments beschreiben den Glauben und das Leben in Israel überwiegend aus der Sicht der Herrschenden. Dabei sind sie nicht unkritisch gegenüber der Herrschaft. Der Glaube an Gott ermöglicht diese kritische Sicht auf die Herren und ihre Herrschaft. Denn selbst Könige wie David oder Salomo haben einen Herren über sich: Gott, vor dem sie sich rechtfertigen müssen.
Am Maßstab seiner Gebote mussten sie sich messen lassen. Die Propheten übernahmen diese Aufgabe - was für sie nicht ungefährlich war. Die Propheten kritisierten den König zwar, seine Herrschaft stand für sie aber nicht infrage. Für sie war eine Gesellschaft, in der das Volk über seine Belange selbst entscheidet, noch nicht vorstellbar.
Damals entschied der König über das Schicksal des Landes und seiner Bewohner:innen. An diesem Führer und seiner Führung wurde für Israel Gottes Nähe und Beistand erfahrbar: War Gott Israel wohlgesonnen, bekam es einen guten, erfolgreichen König. Ein schlechter König war ein Zeichen dafür, dass das Volk sich nicht mehr an Gottes Gebot orientierte.
Bis heute sehnen sich manche nach einem starken Führer, der keine Kompromisse machen, nicht den langen Weg durch die Institutionen gehen muss; der für seine Vorhaben keine Mehrheit im Parlament finden und seine Argumente in der Debatte bewähren muss, sondern der per Dekret bestimmt, was ab sofort für alle zu gelten hat - sogar, wenn er dabei gegen geltendes Recht verstößt. Wenn so ein autoritärer Führer Erfolg hat, sind manche sogar bereit, darin so etwas wie eine göttliche Vorsehung zu erkennen. Von da ist es kein großer Schritt mehr zum Gottesgnadentum vergangener Zeiten.
Salomo bittet Gott um den Erhalt seiner Macht. Er verknüpft sein Schicksal und das seiner Dynastie mit dem Tempel, den er errichten ließ. Salomo im Tempel - damit ist die Einheit von Thron und Altar hergestellt.
Mit der Zerstörung des salomonischen Tempels durch die Babylonier 570 v. Chr. und der Wegführung des letzten judäischen Königs ins Exil stürzte der Glaube in eine tiefe Krise, weil er so eng mit dem Staat verbunden gewesen war - und den gab es ja nun nicht mehr.
Der Glaube fand aus dieser Krise heraus, indem er sich auf seine Wurzel besann - die Wurzel, die der Maßstab gewesen war, an dem der König gemessen worden war: Gottes Gebote.
Mit dem Verlust seiner Staatlichkeit hatte das Volk Israel seinen Anführer verloren. Doch mit den Geboten als Richtschnur brauchte es keinen Anführer mehr. Gott war sein Anführer, wie er sein Volk als Wolkensäule bei Tag und als Feuersäule bei Nacht aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit geführt hatte.
Diese Kritik an der Herrschaft trägt der Glaube bis heute in sich. Wer an den Gott Israels und Vater Jesu Christi glaubt, für den haben die Herren dieser Welt nur das vorletzte Wort. Das letzte Wort hat immer Gott - und Gott allein fühlen sich die Gläubigen verpflichtet, allein seiner Herrschaft sind sie unterworfen. Eine Herrschaft, die sie nicht beherrscht, sondern ermächtigt; die sie nicht knechtet, sondern befreit.
Wenn wir an Himmelfahrt nach oben schauen - hier ins Gewölbe unseres Domes, der das Himmelsgewölbe darstellt, später draußen in den blauen Himmel über uns - dann tun wir das nicht, um Jesus nachzusehen, wie das von den Jüngern berichtet wird. Sondern um uns daran zu erinnern, dass wir niemanden über uns haben als Gott allein.
Wir sind Gott, und Gott allein, verpflichtet. Durch sein Wort, die Bibel, spricht er uns an, sind wir gemeint und angesprochen. Und so wird die Bibel ein demokratisches Buch - das demokratischte Buch überhaupt.
Was Salomo einst betete, um seine Macht zu sichern, wird zum Fundament unserer Freiheit: Dass wir die Worte halten, die Gott uns geboten hat. Geboten nicht, um uns mit Strafe zu drohen, wenn wir sie nicht halten.
Die Gebote beschreiben vielmehr die Bedingung unserer Freiheit: Nur in dem Rahmen, den sie unserem Leben geben, sind wir wirklich frei. So, wie der Dom seine dicken Mauern braucht, sein Gewölbe, um der Ort zu sein, an dem Menschen Zuflucht finden; der Ort, der uns vor der Warenwelt schützt, weil er einen heiligen Raum schafft, der verhindert, dass wir selbst zu Waren, dass wir käuflich werden; der Ort, an dem wir Gott begegnen, den der Himmel und des Himmels Himmel nicht fassen.
Denn Freiheit bedeutet nicht, zu tun, was immer man will. Freiheit bedeutet, unser Menschsein zu verwirklichen, indem wir Gott, uns und unsere Mitmenschen lieben. So wird auf dieser Erde ein Stück von Gottes Himmel sichtbar.