Ansprache zu Johannis, 24.6.2025, über Matthäus 3,1-12
Liebe Schwestern und Brüder,
„Eins, zwei oder drei - letzte Chance - vorbei!
Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.”
Eine Ratesendung für Kinder, bei der sich drei Teams von Kindern für eine von drei möglichen Antworten entscheiden müssen. Dazu hüpfen sie auf das entsprechende Feld, wenn es heißt: „Eins, zwei oder drei …” Für einen bangen Moment die Frage: Stehe ich richtig? Das macht den Reiz dieses Ratespiels aus, für die teilnehmenden wie für die zuschauenden Kinder.
Stehe ich richtig? Diese Frage stellt sich auch uns manchmal: Wo stehe ich im Leben? Bin ich mit meinen Vorstellungen, meinem Verhalten, meinen Plänen noch auf dem richtigen Weg? Johannes stellt diese Frage. Und er sieht seine Zuhörer allesamt auf dem falschen Feld. Denn er ruft ihnen zu: Tut Buße!
Poenitentiam agite! - Tut Buße! Mit diesen Worten wurde im Mittelalter der Ruf des Johannes aufgenommen und weitergegeben. Als Ruf zur Umkehr, zur Veränderung des Lebens tauchte er urplötzlich auf - und verschwand schnell wieder. Denn die Kirche brachte alle, die diesen Ruf äußerten, zum Schweigen …
Wie kam es, dass plötzlich jemand den Bußruf des Johannes aufnahm und weitersagte? Denn um ihn zu vernehmen, musste man ihn erst einmal gelesen haben. Die Bibel gab es aber im Mittelalter nur auf Latein - das nur wenige Gebildete verstehen konnten. Man konnte auch nicht einfach so in der Bibel lesen wie heute. Bücher wurden durch Abschreiben vervielfältigt und waren daher unerschwinglich. Doch die Mönche im Kloster, die die Bücher abschrieben, die kamen an den Text, und sie konnten Latein.
Aber auch das führte noch nicht dazu, dass jemand den Bußruf des Johannes aufnahm und weitergab. Denn die Kirche gab den Rahmen vor, in dem die Texte der Bibel gelesen und verstanden wurden. In diesem Rahmen war „Buße” die vom Priester bei der Beichte auferlegte Strafe. Irgendjemand muss sich gefragt haben, ob das so richtig war. Denn die Propheten des Alten Testaments verstanden unter „Buße” mehr: Sie meinten damit die Umkehr von einem verkehrten Weg - die Umkehr des und der Einzelnen, aber auch der ganzen Gesellschaft. Irgendjemand traute sich, diesen Gedanken auszusprechen und anderen mitzuteilen. Er fand Gehör bei Leuten, die unzufrieden waren. Eine Bewegung entstand, deren Motto der Bußruf des Johannes war, poenitentiam agite: Die Ketzer.
Von der Kirche wurden sie erbarmungslos verfolgt. Es gab sogar eine eigene Behörde zum Aufspüren und zur Verurteilung der Ketzer: die Inquisition. Der Aufwand war nötig, denn die Bewegung der Ketzer rüttelte am Machtmonopol der Kirche. Wenn jeder die Schrift auslegen konnte, war jeder gleich unmittelbar zu Gott. Dann brauchte es die Kirche nicht mehr als Vermittlerin des Heils und der göttlichen Gnade.
Ein paar Jahrhunderte später schlug ein Mönch namens Martin Luther 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Er wollte zu einer Diskussion über seine Thesen einladen. Auch er hatte in der Bibel gelesen und sich seine Gedanken gemacht. Auch er traute sich, der Lehre der Kirche zu widersprechen. Es ist bestimmt kein Zufall, dass seine erste These die Worte „poenitentiam agite” enthält.
Auch Johannes der Täufer hatte in der Bibel gelesen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass der Ruf der Propheten zur Umkehr nicht Vergangenheit war, sondern Gegenwart: Er galt allen, die diese Worte lasen oder hörten. Jetzt, wo sich sein Cousin Jesus als der Messias entpuppte, eröffnete der Ruf zur Umkehr die Möglichkeit, ein neuer Mensch zu werden, ein neues Leben anzufangen. Das Untertauchen im Wasser, die Taufe, machte den Menschen nicht nur rein, sie machte ihn neu. Seine Geschichte von Fehlern, Enttäuschungen, Irrtümern, Verletzungen und peinlichen Missgeschicken musste man nicht mehr mit sich herumschleppen. Man konnte sie abspülen. Auf einmal gab es das Recht, ein anderer, eine andere zu werden.
Bei Johannes klingt es aber so, als gäbe es nicht nur das Recht, ein anderer zu werden, sondern auch die Pflicht, sich zu ändern: Der Messias wird mit der Worfschaufel die Spreu vom Weizen trennen. So hat man im Mittelalter die Ketzer als Spreu auf den Scheiterhaufen verbrannt. Doch es ist nicht an uns, zu entscheiden, wer Spreu ist und wer Weizen. Mit seiner Androhung will Johannes nur deutlich machen, wie nötig die Umkehr ist, wie ernst es Gott damit ist. Er maßt sich nicht an, zu entscheiden, wer umkehren kann und wer nicht - im Gegenteil: Wer meint, er stünde auf der richtigen Seite, wie die Pharisäer und Sadduzäer, den ermahnt er besonders.
Buße, oder mit einem modernen Wort: Reformation, hat nicht nur die Kirche immer wieder nötig. Auch wir tun gut daran, uns hin und wieder zu fragen, ob wir wirklich richtig stehn. Vor allem dann, wenn unsere Art zu leben den Spielraum und die Möglichkeiten unserer Mitmenschen einschränkt. Wenn wir unserer selbst und unserer Sache so sicher sind, dass uns nichts erschüttern kann - nicht einmal das Leid anderer.
Doch wenn wir umkehren, dürfen wir auch sicher sein, dass wir nicht zur Spreu gehören, sondern Weizen sind. Der Messias Jesus wird uns nicht verwerfen. Er sorgt dafür, dass wir richtig stehen und das Licht sehen.