Sonntag, 14. Dezember 2025

Feuertaufe

Predigt am 3. Advent, 14.12.2025, über Lukas 3,1-20

„Meine lieben Mitchristen!

Oder, wie der Apostel sagt, Ihr Schlangen und Otterngezücht!

Ihr Schlangen!

Ihr Schlangen und Ottern!

Ihr Ottern und Schlangen!”


So fängt die Predigt eines Kirchenältesten an,

von der „Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer“

seinem Pastor Johannes Gillhoff in Mecklenburg berichtet.


„Alles, was recht ist!,” dachte sich Jürnjakob bei diesen Worten,

„eine kurze, kräftige Vermahnung lässt sich da gut anbringen.

Aber dass er die Farmersleute gleich mit Schlangen und Ottern vergleicht,

das wäre wohl nicht nötig gewesen,

wo es auch gar nicht an dem ist.

Na, das ist seine Sache.

In der Bibel kommen Schlangen und Ottern ja öfter vor.”


So auch im heutigen Predigttext,

wo es Johannes der Täufer ist, der ausruft:

„Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht,

dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?”

Eine kurze, kräftige Vermahnung ließe sich da gut anbringen.


Aber im Gegensatz zu Jürnjakob Swehn

halte ich nichts von Vermahnungen.

Und ich möchte Sie auch nicht als „Otterngezücht” bezeichnen.

Diese Anrede hatte schon Jürnjakob nicht gefallen.

Zumal es ja auch gar nicht an dem ist.


Mit „Otterngezücht” meinte man damals die „Heiden,”

die Ungläubigen, die Gott nicht kannten.

Und Heiden waren weder die von Johannes Angeredeten,

noch sind wir es heute.


Und doch droht ihnen Johannes,

und offenbar droht er auch uns:

„Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt;

jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt,

wird abgehauen und ins Feuer geworfen.”


Der Glaube allein genügt nicht, will dieses Bild sagen,

wenn er sich nicht auf das Leben auswirkt.

Ein Glaube, der nicht zu konkreten Taten führt,

ist für Johannes nichts anderes als Unglaube.


Darum setzt er seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit Heiden gleich,

solange sie nicht „rechtschaffene Früchte der Buße” bringen.

Es nützt ihnen nichts, dass sie auf der richtigen Seite stehen

und Abraham zum Vater haben.

Wenn es zum Schwur kommt, hilft es einem nichts,

dass man dem Namen nach zu Gott gehört.


Und dieser Zeitpunkt ist offenbar gekommen.

Denn jetzt kommt der, „der stärker ist als ich;

der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

In seiner Hand ist die Worfschaufel,

und er wird die Spreu vom Weizen trennen

und den Weizen in seine Scheune sammeln,

die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.”


Wenn es so steht, sollte ich Sie vielleicht doch kräftig vermahnen.

Denn was Johannes da ankündigt, klingt gefährlich.

Der Stärkere, der nach ihm kommt,

trennt nicht nur zwischen Spreu und Weizen -

zwischen denen, die Frucht bringen

und denen, die nur totes Holz tragen.

Dem toten Holz und der Spreu droht er auch mit einer Feuertaufe.


Was ist eine Feuertaufe, wie soll man sich das vorstellen?

Auf den ersten Blick scheint es die Vernichtung zu sein:

das tote Holz, die Spreu werden verbrannt,

weil sie zu nichts sonst zu gebrauchen sind.


Damit würde Johannes das „Jüngste Gericht” ankündigen,

das die Menschen im Mittelalter besonders fürchteten,

wie man im Dom auf dem Loste-Altar sehen kann.

Foto des von Bischof Loste gestifteten Altars im Schweriner Dom. Im Zentrum das Retabel, auf dem auf der linken Seite der Weg Jesu zum Kreuz, in der Mitte die Kreuzigung dargestellt ist. Rechts führt Jesus kurz vor seiner Auferstehung die Toten aus der Hölle heraus.


Sie glaubten, wenn Christus, wie es im Glaubensbekenntnis heißt,

kommen wird „zu richten die Lebenden und die Toten,”

die Guten zu Christus in den Himmel kommen,

während die Bösen als Strafe für ihre Taten

in einem ewigen, unauslöschlichen Feuer brennen müssen.


Dieses Bild vom Höllenfeuer spukt bis heute in den Köpfen.

Dabei war es immer schon und in vielerlei Hinsicht falsch.

Eine typisch menschliche Missachtung der Gnade Gottes,

weil wir in Gegensätzen von Gut und Böse, Schwarz und Weiß denken;

weil unsere Vorstellung von Gerechtigkeit

nur das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn” kennt;

und weil wir nicht glauben können,

dass Gott mit einem anderen Maß misst als wir.


Schon auf dem Loste-Altar kann man sehen,

wie Jesus dieses Prinzip der Bestrafung aushebelt:

Er führt die Menschen an seiner Hand aus dem Höllenfeuer ans Licht,

nachdem er das Maul der Hölle durch einen Balken aufgesperrt hat,

sodass es sich niemals wieder schließen kann.


Eine Feuertaufe ist also keine Vernichtung.

Eine Taufe steht nicht am Ende, sondern am Anfang des Lebens.

Trotzdem ist eine Feuertaufe nichts Angenehmes:

Sie ist eine Bewährungsprobe, die man bestehen muss.


Wer aber führt diese Bewährungsprobe durch?

Ist es der Stärkere, dem Johannes den Weg bereitet?

Ist er der Richter, vor dem man eine solche Probe ablegen muss?


Schauen wir uns an, welche Proben da verlangt werden:

„Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat;

und wer Speise hat, tue ebenso,”

rät Johannes denen, die ihn fragen.

„Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!,”

rät er den Zöllnern.

Und zu den Soldaten sagt er:

„Tut niemandem Gewalt noch Unrecht

und lasst euch genügen an eurem Sold!”


Das ist weder spektakulär, noch klingt es besonders schwierig.

Als Frucht des Glaubens ist es fast ein bisschen enttäuschend.

Das, was Johannes fordert,

kann als normales menschlichen Verhalten gelten.

Wer Armen etwas abgibt,

wer ehrlich ist und seine Macht nicht ausnutzt,

braucht nicht einmal die Zehn Gebote zu kennen.


Trotzdem ist es natürlich nicht selbstverständlich,

und wir erleben immer wieder das Gegenteil.

Besonders, wenn es hart kommt, im Krisen- und Kriegsfall.


Was Johannes meint, wenn er sagt:

„Es ist schon die Axt an die Bäume gelegt,”

ist nicht das Jüngste Gericht.

Es ist das Leben, das uns immer wieder vor Herausforderungen stellt.

Herausforderungen, in denen es nichts nützt,

dass man im Prinzip auf der richtigen Seite steht.

Weil man, wenn man es nie geübt hat,

nicht weiß, was man tun soll, wenn es darauf ankommt.


Es gibt Erste-Hilfe-Kurse,

damit man tatsächlich helfen kann,

wenn sich jemand verletzt.


So müsste es auch Kurse in Menschlichkeit geben,

damit man dann, wenn unsere Menschlichkeit gefragt ist,

nicht erst fragen muss: „Was sollen wir tun?,”

sondern gleich das Richtige tut.


Die Hölle ist nicht ein Ort der Strafe für falsches Verhalten,

für Fehler, die man machte, für Sünden, die man beging.

Die Hölle, das sind die anderen.

Wir bereiten sie uns gegenseitig, Tag für Tag,

im Kleinen wie im Großen.

Und die Hölle, das sind wir selbst.

Wir können manchmal richtig gemein und eklig sein -

zu anderen, und zu uns selbst.

Wenn wir uns nicht lieben, uns nicht vergeben können.


Es geht nicht darum, der Hölle zu entgehen,

sondern darum, dass wir uns nicht gegenseitig

das Leben zur Hölle machen.

Darum kommt der Stärkere,

darum kommt der, der mit Heiligem Geist und mit Feuer tauft.

Es ist das Kind in der Krippe,

dem wir in diesen Tagen entgegengehen.


Seine Feuertaufe ist unsere Bewährungsprobe,

ob wir unsere Menschlichkeit bewahren

angesichts der Herausforderungen des Lebens.


Ob es uns gelingt, die Rührung und das Mitgefühl,

das wir angesichts des Kindes in der Krippe empfinden,

über die Weihnacht hinaus in unseren Alltag zu retten.


Und ob wir Mitgefühl auch denen entgegen bringen,

die nicht so rührend schön und hilflos sind wie dieses Kind.

Ob wir also unsere Mitmenschen,

unsere Nächste, unseren Nächsten lieben

und uns selbst lieben können.


Das Kind in der Krippe beschimpft uns nicht als Schlangen und Ottern,

und es vermahnt uns nicht, wie Johannes es tut

und wie es Jürnjakob Swehn noch gern hatte.

Der alte Adam hat das Schimpfen gern, wenn es gegen andere geht.

Der hat es auch gern, wenn mal so richtig draufgehauen wird,

solange ihn keine Schläge treffen.


Das Kind in der Krippe möchte, dass wir von ihm lernen,

mit unseren Mitmenschen so umzugehen,

wie wir es auch für uns möchten.

Das ist gar nicht so schwer.


Es ist auch nicht leicht.

Man muss sich jeden Tag neu daran erinnern,

Mensch zu werden und Mensch zu bleiben,

menschlich zu sein und menschlich zu handeln.


Das ist die Feuertaufe, die wir Tag für Tag bestehen,

damit das Leben für uns und unsere Mitmenschen nicht zur Hölle wird,

und damit unsere Welt nicht zum Teufel geht.