Freitag, 15. März 2013

Ein neues Kleid - eine Beerdigungsansprache


Ansprache zur Trauerfeier über Jesaja 38,12.17:

Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber;
er schneidet mich ab vom Faden.
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
dass sie nicht verdürbe.


Liebe Angehörige,
liebe Trauergemeinde,

"zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber;
er schneidet mich ab vom Faden",
heißt es beim Propheten Jesaja im 38. Kapitel.
Das Leben eines Menschen -
eine große Stoffbahn, an der man webt,
bis eines Tages der Faden abgeschnitten wird.
Das bedeutet: der Stoff ist fertig,
ganz gleich, wie kurz oder lang die Bahn geworden ist,
wie viel sich auf dem Webstuhl befindet.
Ganz gleich auch, wie sorgfältig gewebt wurde,
wie viele Fehler darin sind.

Ich finde, das Bild vom Leben als einer Stoffbahn,
die man im Laufe seines Lebens webt,
passt gut zu Ihrer Mutter,
die gern und viel mit Stoffen umgegangen ist -
wenn sie auch keine Weberin war.
(...)

I

(...)
Als dann aber vor zwei Jahren Ihre Schulfreundin starb,
mit der sie sehr viel verband, verlor Ihre Mutter doch den Lebensmut.
Sie erwartete nichts mehr vom Leben, zog sich von der Welt zurück.
Sie, Ihre Kinder, erkannte sie noch,
aber auf neue Menschen konnte sie sich nicht mehr einstellen.
Sie hatte den Stoff ihres Lebens zuende gewebt
oder hatte kein Kraft, keine Phantasie mehr für ein weiteres Stück.
Und dennoch hatte sie Angst davor,
den Stoff vom Webstuhl zu lösen, den Faden abzuschneiden.

Es ist dann einfach so passiert.
(...)

II

Wenn man sich den Stoff ihres Lebens ansieht,
den ich ein wenig vor Ihnen ausgebreitet habe,
und wenn Sie im Geiste die eine oder andere Bahn aufdecken,
an der Sie mitgewirkt haben:
Was für ein wunderbarer, bunter Stoff ist da entstanden!
Da gibt es Kettfäden, die sich durchziehen,
es gibt alle Arten von Farben und Mustern,
und auch der eine oder andere Webfehler findet sich.
Das Bild des Webers, der den Faden am Stoff des Lebens abschneidet,
wie die Parze den Lebensfaden durchschneidet,
scheint vollständig zu sein:
Der Stoff ist fertig, das Leben ist zuende.

Aber Ihre Mutter war keine Weberin. Sie war Schneiderin.
Für sie war der Stoff die Ausgangsbasis für etwas Neues,
das sie schon im Kopf hatte
und das unter ihren Händen Gestalt annahm.
So dürfen wir uns vielleicht die Auferstehung vorstellen,
das neue Leben, das Ihre Mutter erwartet:
aus dem Stoff ihres Lebens entsteht eine neue Gestalt.

Sie entsteht bei Ihnen, in Ihnen, die Sie ihr Leben geteilt haben.
Vielleicht fügen Sie Teile von NNs Lebensstoff
in den Stoff Ihres Lebens ein,
so dass eine Art Patchwork entsteht,
oder ein schwedischer Flickenteppich.
Vielleicht ziehen sich Fäden aus NNs Leben
durch Ihr Lebensgewebe hindurch,
verschönern, verändern den Stoff Ihres Lebens,
so dass er eine neue Textur, einen neuen Glanz erhält.

Für Ihre Mutter beginnt noch einmal etwas Neues.
Ihr Lebensfaden ist durchschnitten,
der Stoff ihres Lebens vom Webstuhl abgenommen.
Nun entsteht etwas Neues aus diesem Stoff:
Aus dem Stoff ihres Lebens entsteht ein himmlisches Kleid -
so beschreibt es der Zeltmacher Paulus,
der davon spricht, dass wir "Christus anziehen",
dass wir "mit einem neuen Leben überkleidet werden".
In diesem neuen Kleid lebt all das weiter,
was NN für Sie war,
was sie Ihnen von sich geschenkt hat,
und was Sie ihr schenkten an Zeit, an Zuneigung und Liebe.

Wir können uns nicht vorstellen,
wie dieses neue, himmlische Kleid sein und aussehen wird.
Wir können es nicht vor uns sehen,
und dennoch ist es nicht unsichtbar
wie es des Kaisers neue Kleider waren.
Gott lässt den Stoff des Lebens Ihrer Mutter,
er lässt ihre Seele nicht verderben,
sondern nimmt sich ihrer herzlich an,
macht ein Kleid daraus,
in dem Ihre Mutter in einem neuen Leben geht und tanzt.
Amen.