Freitag, 20. Oktober 2017

Warten auf … - ein Krippenspiel

Krippenspiel "Warten auf …", frei nach Beckett

Personen:
Estragon
Wladimir
Maria
Josef
Engel
Hirte 1
Hirte 2
Hirte 3
Caspar
Melchior
Balthasar
Kind

In der Mitte des Altarraums steht eine Bank.
Daneben steht ein kleiner Weihnachtsbaum (1m - 1,50m), an den von jeder* Darsteller*in ein Christbaumschmuck gehängt wird.

1. Estragon und Wladimir kommen, setzen sich auf die Bank
- Schweigen - 
E: Was machen wir hier?
W: Wir warten.
E: Worauf warten wir?
W: Ich weiß es nicht.
- Schweigen -
E: Warum gehen wir nicht weg?
W: Wohin sollten wir gehen?
E: Ich weiß nicht. Nach Hause?
W: Was sollen wir da?
E: Keine Ahnung. Was essen?
W: Ich habe keinen Hunger.
E: Fernsehen?
W: Keine Lust.
E: Einfach auf dem Sofa sitzen?
W: Das machen wir doch hier auch.
Außerdem können wir nicht weg.
E: Warum nicht?
W: Weil wir auf etwas warten.
E: Oder auf jemanden?
W: Oder auf jemanden.

2. Maria und Josef kommen
E: Sieh mal, da kommt jemand.
W: Eine Frau und ein Mann.
E: Die Frau ist schwanger.
W: Das sehe ich.
E: (zu Maria und Josef)
Wohin wollt ihr?
Josef: Nach Bethlehem
Maria: Volkszählung. Befehl des Kaisers.
W: Ich weiß.
Josef: Ihr auch?
W: Nein, wir können nicht.
E: Wir müssen hier warten.
Maria: Ich warte auch, schon fast neun Monate.
Aber bald ist es soweit.
Josef: (zeigt auf Marias Bauch)
Das Kind.
E: Dachten wir uns.
Maria: (krümmt sich)
Oooooh. Ich glaube, es geht los!
Josef: Ist es noch weit bis Bethlehem?
W: Ihr seid gleich da.
E: Praktisch um die Ecke.
W: Nicht zu verfehlen.
Maria: Ihr wartet auch, habt ihr gesagt.
Worauf wartet ihr?
E: Das wissen wir nicht.
Josef: Sicher etwas Gutes.
W: Etwas Gutes, sicher.

Maria und Josef hängen Christbaumschmuck in den Baum, gehen weiter.

3. Estragon und Wladimir allein
E: Woher weißt du, dass es etwas Gutes ist?
W: Ich weiß es nicht, ich nehme es an.
Warum sollten wir sonst hier warten?
E: Ich weiß nicht.
W: Eben.
- Schweigen -
E: Woher wissen wir, dass er kommt?
W: Wer?
E: Na, der, auf den wir warten.
W: Oder das.
E: Was?
W: Das, auf das wir warten.
E: Ja. Woher wissen wir, dass es kommt? Oder er?
W: Wir werden es schon merken.
E: Woran?
W: Ich weiß nicht.
Wir merken es einfach.

4. Der Engel kommt.
Engel: Friede sei mit euch!
W: Was für ein seltsamer Gruß!
E: Wer bist du?
Engel: Das ist mein Geheimnis.
Für euch Menschen bin ich ein Engel.
E: Ein Engel! Auf dich haben wir gewartet!
Engel: Nein, ich bin nur der Bote.
Der, auf den ihr wartet, ist gekommen.
W: Wer ist es?
Engel: Er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
W: Ich kenne niemanden, der so heißt.
E: Ich auch nicht.
Engel: Vor langer Zeit hat der Prophet Jesaja von ihm geweissagt.
Jetzt ist er da.

Engel hängt Schmuck in den Christbaum, geht weg.

5. Wadimir und Estragon allein.
E: Hast du gehört? Er ist da!
Dann können wir endlich gehen!
W: Nein, können wir nicht.
E: Warum nicht?
W: Wir müssen warten.
E: Aber worauf denn noch? Er ist doch da!
W: Wo denn? Siehst du ihn? Ich kann ihn nirgends entdecken.
E: Ich auch nicht. Aber irgendwo muss er ja sein.
W: Das nützt uns nichts. Er muss hierher kommen, zu uns.

6. Die Hirten kommen.
Hirte 1: Habt ihr sie gesehen?
E: Wen? Wir haben hier schon einiges gesehen.
W: Ein Paar, die Frau war schwanger, einen Engel …
Hirte 2: Einen Engel, genau! Den haben wir getroffen.
Hirte 3: Und nicht nur einen … Unheimlich viele!
Hirte 2: Der ganze Himmel war voll von ihnen.
Hirte 1: Was hat der Engel gesagt?
E: Dass er da ist.
Hirte 1: Wer?
W: Der, auf den wir warten.
E: Der, von dem vor langer Zeit geweissagt wurde.
W: Der Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Hirte 3: Der ist es!
Hirte 1: Von dem haben die Engel auch uns erzählt.
Hirte 2: Kommt mit uns!
E: Wohin?
Hirte 2: Nach Bethlehem!
Hirte 1: Dort wurde er geboren, in einem Stall.
Hirte 3: Er liegt, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe.
E: Wir können nicht.
W: Leider.
Hirte 3: Warum nicht?
W: Wir warten.
Hirte 2: Worauf wartet ihr noch?
E: Dass er zu uns kommt.
Hirte 1: Ihr Dummköpfe! Er ist doch noch ein Baby!
Hirte 2: Er kann nicht zu euch kommen!
Hirte 3: Ihr müsst zu ihm kommen!
W: Das geht nicht.
E: Wir können hier nicht weg.
Hirte 1: Schade. Na, dann macht's mal gut!

Hirten hängen Christbaumschmuck in den Baum. Gehen weg.

7. Wladimir und Estragon allein.
E: Er ist ein Baby!
W: Ein Baby, das ein Vater ist. Wie seltsam!
E: Wie es wohl aussieht?
W: Wie soll es aussehen? Klein und schrumpelig.
E: Klein und schrumpelig … Bist du dir da sicher?
W: Absolut!
E: Aber ein Baby kann doch kein Rat sein,
kein Held, kein Vater und auch kein Fürst!
W: Nein, sicher nicht.
E: Wie soll das gehen?
W: Es ist eben ein ganz besonderes Baby.

8. Die Könige kommen.
Casp.: Salam aleikum!
E: Guten Tag!
Melch.: Das heißt "Friede sei mit dir".
E: Ach so. Mit dir auch.
Balth.: Seid ihr schon länger hier?
W: Kann man so sagen.
E: Die ganze Zeit.
W: Wir rühren uns nicht von der Stelle.
Casp.: Habt ihr einen Stern gesehen?
E: Einen Stern? Der Himmel ist voll davon!
Melch.: Ein Stern zeigte uns den Weg.
Balth.: Dorthin, wo der König geboren wurde.
W: Ach, der …
Casp.: Ihr kennt ihn?
E: Natürlich! Er heißt Wunder-Rat,
Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Balth.: Wunderbar! Was wisst ihr über ihn? Wie sieht er aus? Wie ist er?
W: Keine Ahnung, er war noch nicht hier.
E: Aber seine Eltern waren hier. Und ein Engel.
Und Hirten, die ihn besuchen wollten.
Melch.: Wohin sind sie gegangen?
W: Nach Bethlehem, zu einem Stall.
Casp.: Welcher Stall? Wo?
E: Ihr werdet ihn schon finden.
W: Viel Glück!

Die Könige hängen Christbaumschmuck in den Baum. Gehen weg.

9. Estragon und Wladimir allein.
E: Ein König. Wer hätte das gedacht!
W: Wusste ich's doch.
Ein Baby, das ein Rat ist, ein Held, ein Vater und ein Fürst,
das muss ein König sein!
E: Lass uns gehen. Heute kommt er sicher nicht mehr.
W: Warum bist du dir da so sicher?
E: Er hat keine Zeit mehr für uns. Die Hirten, und jetzt die Könige …
W: Abwarten.
E: Ich habe es satt zu warten.
W: Er kommt, da bin ich mir ganz sicher!
E: Da bist du dir sicher. Und wenn du dich irrst?
W: Ich irre mich nicht.

10. Ein Kind kommt.
Kind: Frohe Weihnachten!
E: Was? Weihnachten? Was ist das denn?
Kind: Das weißt du nicht?
(zeigt auf den geschmückten Baum)
Ihr habt doch sogar einen Weihnachtsbaum!
(Estragon und Wladimir schauen staunend auf den Baum)
E: Oh, ist der aber schön!
W: Wir haben gar nicht gemerkt, wie der gewachsen ist!
Kind: Der ist doch nicht gewachsen! Der wurde geschmückt!
E: Von denen, die uns besucht haben!
W: Jeder hat etwas Schönes dagelassen!
Kind: Das ist Weihnachten: Wir freuen uns,
dass mit Jesus etwas Wunderschönes in die Welt gekommen ist.
W: Aber wo ist er?
Kind: Na, hier!
(Estragon und Wladimir ungläubig, aus einem Mund)
E und W: Du!? Du bist Jesus?
Kind: (lacht)
Nein! Ich bin doch nicht Jesus!
Jesus ist hier, bei uns.
Man kann ihn nicht sehen.
Aber da, wo Menschen sind, die an ihn glauben, da ist er auch.
W: (also ob er zu einer unsichtbaren Person spricht, winkt)
Hallo, Jesus!
E: (ebenso)
Danke, dass du zu uns gekommen bist!