Ansprache in der Osternacht, 19. April 2025
Liebe Gemeinde der Osternacht,
gerade wurde der Flügelaltar wieder geöffnet,
den wir am Gründonnerstag Abend geschlossen hatten.
Ganz oben rechts ist jetzt wieder zu sehen,
was im Osterevangelium zu hören war:
Dort sind die Wächter am Grab Jesu, die wie tot daliegen.
Doch es fehlt noch was. Es fehlt so einiges:
Es sind keine Frauen am Grab zu sehen und keine Engel.
Auch die Siegel am Grab sind noch intakt -
Zeichen, dass der Stein noch vor dem Eingang liegt.
Die Auferstehung steht erst bevor.
Christus steigt gerade empor aus dem Reich des Todes
mit den Menschen, die er aus der Gewalt des Todes befreit hat.
Wir befinden uns in dem Zwischenraum
zwischen den beiden Sätzen des Glaubensbekenntnisses:
Hinabgestiegen in das Reich des Todes und
Am dritten Tage auferstanden von den Toten.
Noch ist es nicht soweit, noch ist Christus nicht auferstanden.
Das Altarbild läuft auf den Moment der Auferstehung zu,
ohne ihn zu erreichen.
Dadurch entsteht eine gespannte Erwartung,
eine Spannung, die wir auch in der Osternacht erleben,
wenn wir von der Dunkelheit ins Licht gehen.
Eine Spannung, die noch anhält,
obwohl wir bereits das Osterevangelium gehört haben.
Weil wir es noch nicht hinaussingen durften: Christ ist erstanden!
Das Altarbild läuft auf die Auferstehung zu,
aber es zeigt sie nicht.
Weil man sie nicht darstellen kann.
Denn sie macht ja alles neu, die Menschen und die Erde.
Etwas, das erst noch aussteht und von dem wir nicht wissen,
nicht einmal erahnen können, wie es aussehen wird,
das kann man nicht darstellen - allenfalls seine Verpackung:
das noch versiegelte Grab, das jeden Augenblick aufbricht.
Das ist ein bisschen wie Weihnachten,
kurz vor der Bescherung,
wenn man noch nicht weiß, was in den Päckchen ist.
Um dieser gespannten Erwartung willen
hielten wir den Altar geschlossen.
Wie Jesus drei Tage im Grab verborgen war,
so sollte auch das Altarbild drei Tage verborgen sein.
Aber warum war der Altar ausgerechnet an dem Tag geschlossen,
der darauf dargestellt ist: dem Karfreitag?
Weil man nicht darstellen kann, was an Karfreitag eigentlich geschieht.
Ja, Jesus wird gedemütigt, geschlagen, gequält
und stirbt unter bestialischen Schmerzen am Kreuz.
Darin ist er nicht allein.
So sterben jeden Tag unzählige Menschen auf unserer Erde:
gedemütigt, geschlagen, gequält,
unter bestialischen Schmerzen zu Tode gebracht.
Wenn wir uns ausmalen,
was Christus am Kreuz erlitten hat, und wie er gelitten hat,
fühlen wir mit allen Menschen, die heute leiden müssen.
Christus hat durch sein Leiden am Kreuz
auch diese Seite des Menschseins geteilt:
Hat erlitten, wie bösartig, brutal und gemein Menschen sein können,
und wie schrecklich es ist, ihrer Willkür ausgeliefert zu sein.
Aber am Karfreitag geschieht noch mehr:
Jesus erleidet nicht nur die Gemeinheit und Willkür,
er trägt sie ans Kreuz.
Er trägt stellvertretend für uns, was uns belastet:
das Böse, das wir erlitten, und das Böse, das wir getan haben,
um beides von unseren Schultern zu nehmen.
Das kann man nicht darstellen,
ebensowenig wie die Auferstehung.
Das kann man nur im Glauben begreifen und annehmen.
Im Glauben ist die Auferstehung eine Macht,
die uns Hoffnung gibt und uns beflügelt.
Wir sind gelähmt durch die Angst vor Leid und Schmerzen,
die Angst vor dem Tod.
Wir sind gelähmt durch die Erfahrung, dass nicht das Gute siegt,
sondern die Berechnung, die Dreistigkeit,
die Unmenschlichkeit, der Egoismus.
Wir sind gelähmt durch viel zu viele Probleme -
man weiß nicht, wo man anfangen soll,
man wird sie niemals alle lösen können,
und für manche Lösung ist es vielleicht schon zu spät.
Die Auferstehung ist Gottes Versprechen,
dass sich etwas ändern kann und ändern wird.
Dass wir keine Angst vor Veränderung haben müssen,
weil Gott uns nicht verloren gehen lässt.
Dass es nicht zu spät ist, den Klimawandel aufzuhalten,
die Spaltung unserer Gesellschaft zu überwinden,
Frieden in der Welt zu schaffen,
weil die Kraft dazu nicht unsere ist, sondern von Gott kommt.
Gott hat die Macht des Bösen gebrochen.
Das zeigt uns das Altarbild:
Der gefräßige Rachen des Todes ist mit einer Maulsperre versehen.
Er kann sich nicht mehr schließen, der Rachen.
Er muss die Gestorbenen frei geben.
Das Altarbild zeigt uns auch das Böse, den Teufel,
Inbegriff all dessen, was uns Angst macht.
Es zeigt ihn uns gefesselt, er kann sich nicht mehr rühren.
Und ein kleines Kerlchen, das unterm Hintern eines Teufels hockt,
hält sich die Nase zu - weil der Teufel wohl gerade gepupst hat.
Ein Furz - der einzige Schrecken, den der Teufel noch verbreiten kann.
Das Böse, das sich so mächtig gibt,
das uns ängstigen und einschüchtern will -
nach der Auferstehung Christi ist es nur noch ein peinlicher Geruch.
Inmitten der grausamen, schmerzerfüllten Szenerie des Karfreitag
macht sich das Altarbild lustig über das, was uns den Mut nimmt,
nimmt es auf die Schippe und nimmt ihm so seine lähmende Macht.
Es versucht, uns zum Schmunzeln, zum Lachen zu bringen,
damit wir der Angst, dem Teufel und dem Tod ins Gesicht lachen
und voller Freude jubelnd singen: Christ ist erstanden!