Predigt am 2.Advent, 7.12.2025, über Lukas 21,25-33:
Christus sprach:
Es wird Zeichen geben an Sonne, Mond und Sternen.
Auf der Erde wird Angst die Völker beherrschen;
das Brausen des Meeres und der Brandung wird sie irre machen.
Die Menschen werden die Besinnung verlieren vor Furcht
und in banger Erwartung dessen, was über den Erdkreis kommt,
denn die Mächte des Himmels werden erschüttert werden.
Dann werdet ihr den Menschensohn kommen sehen
in einer Wolke mit Macht und großem Glanz.
Beginnt das zu geschehen,
dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter,
weil eure Erlösung nah ist.
Und er erzählte ihnen ein Gleichnis:
Seht euch den Feigenbaum an und alle Bäume.
Wenn ihr seht, dass sie endlich austreiben,
wisst ihr selbst, dass der Sommer endlich nah ist.
So wisst ihr auch, wenn ihr das geschehen seht,
dass das Reich Gottes nah ist.
Amen, ich sage euch:
Dieses Geschlecht wird nicht vergehen,
bis das alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen,
aber meine Worte werden nicht vergehen.
Liebe Schwestern und Brüder,
was wohl die Zukunft bringen wird?
Zu gern würde man das wissen,
besonders in unsicheren Zeiten.
Die Zweige, die am Barbaratag, dem 4.Dezember, geschnitten werden,
damit sie am Heiligen Abend blühen,
waren ursprünglich nicht als Weihnachtsdeko gedacht.
Ob sie austrieben, wie viele Blüten sie trugen, sollte Auskunft geben,
wie die Ernte im nächsten Jahr ausfällt,
wer im kommenden Jahr mit etwas Gutem rechnen durfte,
wer vielleicht sogar heiraten würde.
Was wird die Zukunft bringen?
Jesus verheißt für die Zukunft Angst und Schrecken,
eine Apokalypse, die Erde und Himmel erschüttert.
Apokalypsen waren in der frühen Christenheit
eine eigene Literaturgattung.
Sie überboten sich geradezu in der Schilderung endzeitlicher Schrecken.
Die Offenbarung des Johannes, eine der ersten Apokalypsen,
liest sich stellenweise wie ein Horror-Roman.
Die Apokalypsen geben sich als Visionen,
in denen zukünftige Schrecknisse offenbart werden.
Aber es braucht gar keine Visionen.
Man muss nur schildern, was Menschen Menschen antun -
wie zum Beispiel die Folter in einem Militärkrankenhaus in Syrien -,
und man bewirkt einen Schrecken,
der jeden Horrorfilm im Kino in den Schatten stellt.
Das Blut im Kino - das sind nur Farbe und künstliche Effekte.
Die Qualen und Schmerzen, das Foltern und das Töten
in dem Krankenhaus in Damaskus waren real.
Auch die ersten Christen kannten die Angst vor Folter und Tod.
Sie wurden unter den römischen Machthabern verfolgt;
in den Märtyrerberichten kann man nachlesen,
was sie für ihren Glauben erleiden mussten.
Die Vorliebe der ersten Christen für Apokalypsen
hatte nichts mit dem Nervenkitzel zu tun,
den man erlebt, wenn man sich einen Horrorfilm ansieht.
Sie lasen die Apokalypsen aus dem selben Grund,
aus dem wir Krimis lesen: Weil am Ende des Gute siegt
und der Böse seine gerechte Strafe erhält.
Für sie waren die Apokalypsen Trostbücher,
die ihnen in ihrer hoffnungslosen Lage Mut machten,
dass Unrecht und Gewalt nicht das letzte Wort haben würden.
II
Man muss sich den Horror nicht ausdenken.
Man braucht nur hinzusehen und denen zuzuhören,
die Verfolgung, Vergewaltigung, Folter oder Krieg erlitten,
um unmittelbar die Angst vor dem zu empfinden,
was Menschen Menschen antun können.
Man muss sich die Folgen nicht ausmalen.
Man braucht nur hinzusehen,
wie Waffen in den Kriegen weltweit eingesetzt werden,
um zu begreifen, welche Gefahr, welche Zerstörungsgewalt
von diesen Waffen ausgeht.
Man muss nicht Meteorologie oder Physik studieren.
Man muss sich nur daran erinnern,
wie unerträglich heiß es im Sommer sein kann,
wie verzweifelt man war, als der Keller beim Gewitter voll lief,
um zu begreifen, was der Klimawandel anrichtet.
Apokalypse - das Wort bezeichnete ursprünglich keine Literaturgattung,
sondern eine Tätigkeit: etwas aufdecken;
den Schleier, die Hülle wegziehen
und zum Vorschein bringen, was darunter verborgen war.
Dazu braucht es keine besonderen Fähigkeiten.
Jesus traut seinen Jüngern zu, die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Man kann sie nicht übersehen.
So deutlich, wie man das Kommen des Sommers daran erkennt,
dass die Bäume grün werden,
so deutlich kann man erkennen,
was uns bevorsteht, was uns droht.
Man muss allerdings hinsehen.
Nicht jede, nicht jeder kann es aushalten, hinzusehen.
Nicht jede, nicht jeder will hinsehen.
Wie ein Kind sich die Hände vor die Augen hält
und glaubt, dann wäre nicht da, was es nicht sehen will,
so glauben auch wir:
Wenn wir nicht hinsehen, dann ist das Schlimme auch nicht da.
Manche werden richtig böse,
wenn andere trotzdem beschreiben, was sie nicht sehen wollen.
Sie glauben nicht an den Klimawandel, sagen sie.
Sie finden, dass man Putin Unrecht tut - der will doch nur spielen.
Auch die Gefahr, die von Präsident Trump ausgeht,
wollen viele nicht wahr haben - im Gegenteil: Man bewundert ihn
und hätte auch gern so einen Anführer:
Einen, der mal so richtig durchgreift
und sich dabei nicht um Regeln und Gesetze schert.
III
Man muss hinsehen, um die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Auch Leute wie Putin oder Trump sehen hin
und warnen vor dem, was uns ihrer Meinung nach bevorsteht.
Am Freitag wurde die neue Militärdoktrin der USA veröffentlicht.
Darin heißt es, dass Europa untergehen wird,
wenn nicht nationalistische Parteien wie die AfD bei uns,
der Front National in Frankreich, die PiS in Polen die Macht übernehmen.
Dabei war es doch der Nationalismus, der Europa und die Welt
mit zwei furchtbaren Kriegen überzogen hat.
Offenbar kommt zum Hinsehen noch ein Zweites hinzu:
Die Brille, durch die man die Wirklichkeit sieht.
Diese Brillen werden durch politische Schlagworte bezeichnet:
„rechts”, „links”, „konservativ” oder „liberal”.
Auch Jesus sieht durch eine Brille auf die Welt;
auch er ist nicht objektiv, nicht unparteiisch.
Jesus ergreift die Partei Gottes.
Und Gott hat ganz klar gemacht, auf welcher Seite er steht:
Auf der Seite der Schwachen.
Derer, die nicht auf die eigene Macht, die eigene Kraft vertrauen,
sondern auf Gottes Macht und Gottes Kraft.
Die darum das Heil nicht in Waffen und Gewalt suchen,
sondern in Mitgefühl und Nächstenliebe.
Selbst, wer den Klimawandel für eine Erfindung hält,
kann nicht übersehen, dass es katastrophale Überschwemmungen gibt,
in denen Menschen getötet werden.
Menschen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.
Menschen, die sich kein richtiges Haus leisten konnten,
oder deren Haus nicht auf festem Grund stand.
Der kann auch nicht übersehen,
wie Menschen und Tiere unter der Hitze leiden.
Die Hitze macht denen zu schaffen,
die kein Geld für eine Klimaanlage haben,
die nicht in kühlere Gefilde auswandern können,
die durch Alter oder Krankheit besonders anfällig sind.
Es sind die Schwachen, die am meisten unter den Schrecken leiden,
die wir Menschen über diese Welt bringen.
Sie sind es gewohnt, den Kopf einzuziehen,
weil die große Politik ohnehin über ihre Köpfe hinweg gemacht wird.
Diesen Schwachen verheißt Jesus, dass sie aufstehen
und ihre Häupter erheben dürfen,
weil ihre Erlösung da ist.
IV
Manche von diesen Schwachen wären nicht anders als die Starken,
wenn sie nur die Macht, die Mittel dazu hätten.
Darum ist es nicht die gesellschaftliche, die körperliche,
die wirtschaftliche Benachteiligung allein,
es ist auch der Verzicht auf eigene Macht und Stärke,
die einen Menschen zu der, zu dem Schwachen macht,
dem die Verheißung Jesu gilt.
Jesus ruft nicht zum Umsturz, zur Revolution auf.
Denn die Welt ändert sich nicht zum Besseren,
das Reich Gottes bricht nicht an,
wenn die an die Macht kommen, die vorher machtlos waren;
wenn die Reichen arm und die Armen reich werden.
Das Reich Gottes wächst da, wo Menschen auf Macht verzichten.
Wo sie nicht auf Gewalt, auf Waffen vertrauen,
sondern allein darauf, dass Gottes Liebe sich durchsetzen wird,
und wo sie diese Liebe zum Maßstab
und zum Antrieb ihres Handelns machen.
Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen.
Aber sie werden gebraucht, heute dringender denn je.
Wir werden gebraucht.
Denn wir Christinnen und Christen,
wir sind das Salz der Erde.
Wir sind diejenigen, die sich trauen, hinzusehen
und die Zeichen der Zeit zu erkennen.
Wir sind diejenigen, die auf die Wunden hinweisen,
die unser Lebensstil dieser Welt schlägt,
und die als Salz in diesen Wunden brennen.
Wir sind diejenigen, die nicht aufhören, nach Frieden zu suchen,
wenn für den Krieg gerüstet wird.
Wir leben im Wissen, dass das Reich Gottes nahe ist.
Es blitzt dort auf,
wo Menschen für andere zum Mitmenschen werden.
Wo sie Gott die Ehre geben
und nicht einem Land, einem Anführer oder einer Ideologie.
Wo sie sich vom Brausen und Wogen der Meinungen
nicht irre machen lassen, sondern einen kühlen Kopf bewahren,
weil sie auf Gottes Wahrheit, Gottes Macht
und Gottes Liebe vertrauen.